Karen Duve: "Auf Fleisch zu verzichten fällt schon schwer"

Foto: Kerstin-Ahlrichs

Früher hat Karen Duve vorzugsweise eine fertige Grillhähnchenpfanne im Supermarkt erstanden. Jetzt isst sie kein Fleisch mehr, weil sie Tierhaltung, wie sie heute betrieben wird, als "barbarisch" empfindet. "Keiner von uns würde Tiere in absurd großen Mengen in dunkle, dreckige Hallen sperren oder ein Tier, das nach der Betäubung im Schlachthof wieder aufwacht, einfach weiter zerlegen. Aber genau das passiert. Ich wollte an diesen Verbrechen nicht mehr teilhaben", schildert die deutsche Autorin. Duve hat in einem Selbstversuch ein Jahr lang verschiedene Ernährungs- und Lebensweisen ausprobiert: biologisch, vegetarisch, vegan, frutarisch. Im Vorfeld ihres Wienbesuchs - fast genau ein Jahr danach - hat sie Marietta Türk verraten, was sich für sie seitdem verändert hat.

derStandard.at: Was haben Sie heute gefrühstückt?

Duve: Ein konventionelles Aufbackbrötchen, Rührei von meinen eigenen Hühnern, Biochampignons und Tomaten von meinem Nachbarn.

derStandard.at: Es ist jetzt ein Jahr her, dass Sie den Selbstversuch abgeschlossen haben. Was ist davon geblieben?

Duve: Eine Woche nach Versuchsende habe ich wieder Fisch gegessen und festgestellt, das geht jetzt nicht mehr - ich habe zu viele Informationen und Bilder im Kopf. Seitdem esse ich vegetarisch. Die sicherste Methode, wenn man verhindern will, dass fürs Mittagessen Tiere gequält werden. Deswegen esse ich auch deutlich weniger Milchprodukte, allerdings immer noch mehr, als ich ursprünglich vorhatte. Von den Veganern habe ich übernommen, dass ich keine Produkte aus Leder kaufe. Insgesamt versuche ich möglichst viele Bioprodukte oder bei meinen Nachbarn zu kaufen. Das klappt mal besser, mal schlechter.

derStandard.at: Das heißt, Sie haben sich auf Basis Ihrer Erfahrungen Ihre eigene Konsumphilosophie gebastelt.

Duve: Nein. Ich sehe das eher pragmatisch. Machbar wäre durchaus mehr. Ich bin nicht vollkommen zufrieden mit mir. Dafür bin ich sicher, dass ich das, was ich mir vorgenommen habe, durchhalten kann.

derStandard.at: Lockt die Grillhähnchenpfanne um 2,99 Euro noch?

Duve: Nein, aber generell auf Fleisch zu verzichten fällt schon schwer, denn das habe ich vorher sehr gerne gegessen. Das ist auch saisonabhängig - in der Weihnachtszeit greife ich schon einmal auf Fleischimitate aus Soja- oder Weizeneiweiß zurück.

derStandard.at: Wann haben Sie sich in der Versuchszeit am besten gefühlt? 

Duve: Erstaunlicherweise bei der am meisten einschränkenden Ernährungsweise, dem Frutarismus. Da war ich geradezu ernergiegeladen. Begonnen hat das in der veganen Phase. Ich glaube, dass Milchprodukte für meinen Körper nicht gut sind. Dennoch greife ich aus Gewohnheit jetzt wieder darauf zurück. Als Frutarierin habe ich natürlich auch am wenigsten Leid und Schaden angerichtet. 

derStandard.at: Welches Lebens- oder Ernährungsmodell ist für Sie das überzeugendste?

Duve: Das vegane, aber für mich ist es zu anspruchsvoll, das habe ich nicht geschafft. Ich lebe jetzt also unter meinen moralischen Wertmaßstäben.

derStandard.at: Hatten Sie während des Selbstversuchs Mangelerscheinungen?

Duve: Dafür war die Zeit zu kurz, es waren ja jeweils nur zwei Monate pro Ernährungsweise. Aber wenn man vegan lebt, ganz ohne tierische Produkte, oder sogar frutarisch, muss man schon Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Vitamin B12 ist dann unter anderem wichtig. Manche schaffen es ohne. 

derStandard.at: Sie schreiben über Ihre gesundheitlichen Probleme: Übergewicht, drohender Diabetes. Haben Sie das im vergangenen Jahr in den Griff bekommen?

Duve: Nein. Man kann auch als Vegetarier viele Ernährungssünden begehen. Zwar sind die meisten Vegetarier und Veganer deutlich gesünder und schlanker als der Durchschnittskonsument, aber ich gehöre zu den so genannten Pudding-Vegetariern. Allerdings habe ich jetzt einen besseren Cholesterinspiegel.

derStandard.at: Ihnen ging es bei dem Versuch ja nicht um Ihre eigene Gesundheit, das haben Sie immer wieder betont.

Duve: Es ging mir um die Gesundheit der Hühner, Schweine und Rinder, die ich bisher gegessen hatte. Ich habe in der Zeit auch nicht mehr Sport gemacht sondern eher weniger, weil ich so viel am Schreibtisch sitzen musste. 

derStandard.at: Es gibt momentan mehrere Bücher am Markt, die sich dem Thema Tiere essen widmen. Warum gerade jetzt?

Duve: Weil die Diskrepanz zwischen dem, wie Tiere gehalten werden und dem, wie gern die meisten Menschen Tiere eigentlich haben, immer größer wird. Die Zustände in der Massentierhaltung sind von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Jeder hat diese Bilder schon einmal im Fernsehen gesehen. 

derStandard.at: Warum macht es dann nicht bei der breiten Bevölkerung Klick?

Duve: Weil Lösungsmöglichkeiten, die Verzicht erfordern, einfach nicht beliebt sind. Aber wenn wir unseren extrem hohen Fleischverbrauch nicht drosseln, werden auch wir selber die Folgen zu tragen haben. Wir tragen sie bereits. Kein Tag vergeht, an dem im Fernsehen nicht Meldungen über extreme Unwetter auf der ganzen Welt laufen. Klimaerwärmung und Fleischproduktion - das hängt direkt miteinander zusammen.

derStandard.at: Die Bio-Ecken in den Supermärkten werden immer größer. Ist das zumindest ein Anfang?

Duve: Es ist besser als nichts. Ich glaube, dass man sich bei pflanzlichen Bio-Produkten einigermaßen darauf verlassen kann, dass sie schonender hergestellt worden sind. Tierische Bio-Produkte sind meist Augenauswischerei. Die Verbraucher denken, dass Bio-Tiere ein schönes Leben haben, dass die Rinder auf der Weide stehen und die Schweine im Schlamm wühlen können. Tatsächlich geht es dann nur um einen Quadratmeter mehr Platz und einen betonierten Mini-Auslauf. Es gibt schon Bioverbände wie Demeter und Bioland, deren Vorgaben darüber hinausgehen, aber das ist leider nur ein ganz kleiner Teil davon. 

derStandard.at: Sollen wir als Konsumenten generell ungemütlicher sein, viel mehr hinterfragen?

Duve: Eigentlich ist es eine Zumutung, dass der Verbraucher im Supermarkt aufpassen soll, nicht an einem Verbrechen beteiligt zu sein, wenn er bloß fürs Abendbrot einkaufen will. Das ist nicht seine Aufgabe und damit ist er auch überfordert. Es müsste bereits auf politischer Ebene entschieden und kontrolliert werden, dass Produkte, die aus Kinderarbeit stammen oder wofür im großen Stil Tiere gequält werden, gar nicht erst in die Supermarktregale gelangen.

derStandard.at: Sie haben sich vorgenommen, sich dieses Jahr jeden Tag von einem Gegenstand zu trennen. Hat das funktioniert?

Duve: Leider nicht. Ich habe das nur die ersten vier Tage geschafft, weil ich ständig aufgrund des Buches auf Reisen war. Es sieht so aus als müsste ich mich am Ende des Jahres noch von 361 Dingen trennen, wenn ich mein Soll schaffen will (lacht). Aber es hat geklappt, dass ich deutlich weniger kaufe. (derStandard.at, 5.10.2011)