Vereint durch Maotai: Die Kontrahenten Mao und Tschiang Kai-schek im Museum der Brennerei.

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Henry Kissinger und Zhou Enlai 1972 in Peking.

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Eine gigantische Faust bricht so unerwartet aus der Böschung, dass Fahrer instinktiv die Spur wechseln. Die Gipsskulptur wirkt jedoch nicht bedrohlich. Im Gegenteil: Sie umklammert ein Schnapsglas. Die neue Autobahn in Südwestchinas Provinz Guizhou ist die einzige der Welt, die Fahrer zum Trinken animiert. Sie führt von der Provinzmetropole Guiyang zum 230 Kilometer entfernten Bergnest Maotai, das für seinen gleichnamigen Hirseschnaps berühmt wurde.

Werbetafeln an der Schnellstraße preisen ihn als "Guo-Tai" an, den Staatsschnaps der Volksrepublik. Alle ihre Gäste kippten ihn auf Banketten in der Großen Halle des Volkes. Henry Kissinger warnte US-Präsident Richard Nixon vor dem "tödlichen Gebräu": Es werde "nur deshalb nicht als Flugbenzin verwendet, weil es sich zu leicht entzündet". Chefdiplomat Zhou Enlai sah dagegen im Maotai ein "Wunderelexier der Außenpolitik", den destillierten "Geist Chinas". Peking will ihn nun aus der Flasche lassen.

Kurz vor dem Tal des Roten-Wasser-Flusses, wo das malerische Städtchen mit seinen 53.000 Einwohnern in den Hügeln klebt, taucht die zuprostende Riesenhand auf. "Man hebt sein Glas aber anders", sagt Ji Keliang, der Chef des Alkoholkonzerns. "Halten Sie den Schaft zwischen Daumen und Zeigefinger." Seit 47 Jahren leitet der "Herr von Maotai" das heute an der Börse notierte Unternehmen. Der 73-Jährige ist Chinas dienstältester Manager.

Im Herbst-Rating 2011 des Fachdienstes Interbrand rückte Maotai unter Chinas zehn wertvollsten Marken auf Platz 8. Der Konzern plant eigene Auslandsfilialen. Peking will aus dem 53-prozentigen Teufelszeug eine globale Marke machen, mit der die Welt auf seinen Aufstieg anstoßen soll.

1964 erhielt der gelernte Gärtechniker Ji den Marschbefehl nach Maotai. Nach den Wirren von Maos "großem Sprung nach vorn" sollte er die Schnapsbrennerei auf Vordermann bringen. Den Auftrag erteilte Premier Zhou Enlai. "Ich landete im Mittelalter. 300 Menschen schufteten in uralten Vergärungsbecken bei unerträglichen Temperaturen."

Heute arbeiten 12.000 Beschäftigte für eine Reihe von Großfabriken und an Fließbändern der deutschen Firma Krones. Maotai will hunderte Millionen Euro in die Modernisierung von Produktion, Logistik und Infrastruktur investieren. Es ließ die Anbauflächen für Gaoliang-Hirse verdoppeln, behielt aber die uralten Verfahren zur fünf Jahre dauernden Schnapsherstellung aus Hirse und Weizen bei. Ji vergleicht den Schnaps, der nur im Flusstal von Maotai hergestellt werden kann, mit Chinas Pandabären. Auch Maotai sei "ein lebendes Fossil".

Bevor er sein Glas mit dem Trinkspruch "Ganbei" (Leert den Becher) in einem Zug austrinkt, verkostet Ji den ersten Schluck. Maotai dürfe nur aus Miniaturgläsern ex getrunken werden. Die Zunge testet mit. An ihrer Spitze schmecke er die Süße, an ihren Seiten Säure und Schärfe, am Zungenende das leicht Bittere des Maotai. Er genieße sein duftiges Bouquet und den würzig feinen Nachgeschmack.

Ausländer können solche Schwärmerei schwer nachvollziehen. Beim Staatsbankett, das Premier Zhou Enlai 1972 für die US-Delegation unter Nixon gab, verschlug es mitgereisten Journalisten nach dem ersten Mundkontakt die Sprache. Sie beschrieben Maotai als "weißen Blitz", der in ihre Kehlen einschlug. Dan Rather von CBS kam es vor, als schlucke er "flüssige Rasierklingen".

Kissinger erzählt in seinen Memoiren, wie es Peking fast gelang, mit Maotai das Weiße Haus abzufackeln. Zhou Enlai hatte Nixon demonstriert, wie leicht sich Maotai entzünden lässt, und ihm zwei Flaschen geschenkt: "Nixon wollte nach seiner Rückkehr in Washington seiner Tochter Tricia zeigen, wie hochprozentig das Getränk war. Er goss eine Flasche davon in eine Schüssel und hielt ein brennendes Streichholz darüber. Zu seinem Schrecken zersprang die Schüssel. Der brennende Maotai ergoss sich über den Tisch. Nur mit vereinten Kräften gelang es der Familie, den Brand zu löschen und eine nationale Tragödie zu verhindern."

53 Prozent Alkohol: So etwas verschrecke eben Ausländer, meint Ji. Maotai sei besonders gut verträglich und verursache keine Kopfschmerzen. Ein kompliziertes Fermentations- und Veredelungsverfahren garantiere seine Reinheit. In 250-Liter-Amphoren reift der Schnaps weitere fünf oder 15 Jahre. "Im Maotai ist nichts außer Hirse, Weizen und das, was Mikroorganismen daraus machen."

Desinfektionsmittel

Zhou Enlai verriet Nixon, warum Peking so große Stücke auf Maotai hielt, dass es am Abend des 1. Oktober 1949 den Schnaps zum Staatsbankett der neu gegründeten Volksrepublik auftischen ließ. Der von Familienbetrieben gebraute Hirseschnaps gehörte als regionale Spezialität schon 1915 bei der Weltausstellung Panama-Pacific in San Francisco zu den prämierten Produkten. Mao und seine Guerillaarmee kamen 1935 während ihres "Langen Marsches" nach Maotai. Der Schnaps belebte nicht nur ihre Lebensgeister, sondern desinfizierte auch ihre Wunden. Mit dem Hirseschnaps stießen 1945 auch Guerillaführer Mao und General Tschiang Kai-schek in der Flußstadt Chongqing auf die Kapitulation des gemeinsamen Feindes Japans an. Ihr Burgfriede endete rasch. 1949 verlor Tschiang den Bürgerkrieg und floh nach Taiwan.

2010 wurden 26.000 Tonnen Schnaps produziert. Doppelt so viel sollen es 2020 sein. Für den Sprung auf den Weltmarkt setzt man zuerst auf 50 Millionen Auslandschinesen und hunderttausende Chinarestaurants. Eine Halbliterflasche Maotai kostet im Handel mehr als 1600 Yuan, rund 180 Euro. Es ist der teuerste Schnaps Chinas. Bei einer Auktion in Peking im Frühjahr 2010 erzielte ein 1959er Maotai 110.000 Euro. Die südchinesische Zeitschrift Nanfengchuan beschreibt die Faszination für die heutige Gesellschaft. Maotai stehe für "puren Luxus" und sei zugleich wie ein sozialistisches Szepter der "politischen Macht". Internetblogger nennen es profaner ein "hochprozentiges Schmiermittel" der herrschenden Klasse. "Solange Korruption grassiert, wird auch der Preis von Maotai weiter steigen."

Ji möchte davon nichts wissen: "Maotai ist ein Kunstwerk." Das Ausland werde das besser verstehen, "wenn es uns gelingt, Chinas Trinkkultur dem Westen näherzubringen". Darüber tausche er sich oft mit Frankreichs Cognac-Erben Jean Paul Camus aus. Seit sieben Jahren sind sie Freunde. Camus hat auch eine Vertriebspartnerschaft mit Maotai aufgebaut.(Johnny Erling aus Maota, DER STANDARD; Printausgabe, 4.10.2011)