Die sonntägliche Liturgie besagt, dass man beim Tatort spätestens zur Halbzeit einen ersten Blick auf die Uhr wagt: Wann ist der Blödsinn vorbei? Es muss doch schon mindestens eine halbe Stunde später sein. Schuld daran tragen nicht nur mit privaten Wehwehchen der Ermittler sowie sozialen Themen wie Menschenhandel, Kindesmissbrauch oder Neonazi-Klimbim vollgestellte Drehbücher für die Kommissare in Köln, München und den Bergen Tirols. Speziell am Bodensee und in Münster (hier im Bild) gibt man es mit freiwilligem bis unfreiwilligem Kabarettismus gern auch billig.

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Eine große Ausnahme bilden hier seit Jahren die Tatorte aus Kiel. Mit Kommissar Borowski, den Axel Milberg hervorragend misanthropisch und verklemmt gibt, und vielfach auch den Drehbüchern Sascha Arangos ist dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein großer Glücksfall beschieden. Er setzt eben nicht auf platte Handlung und Klischeebeförderung.

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Psychologisch zurückhaltend, mehr andeutend als aussprechend, werden hier gut zwischen aufblitzendem schwarzem Humor und großer existenzieller Traurigkeit austarierte Geschichten erzählt. Sie setzen nicht auf alles doppelt und dann noch einmal erklärende Dialoge, sondern geben dem Zuschauer die Möglichkeit, selbst mitzufühlen, die Szenen mit Bedeutung aufzuladen.

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Großartig jetzt auch die Folge Borowski und die Frau am Fenster. Sibylle Canonica spielte eine vom Leben und der Einsamkeit gebrochene sadistische Tierärztin in der Provinz, die ihren Nachbarn stalkt und dessen Lebensgefährtin tötet, mit einer derartigen Eiseskälte wie Verzweiflung, dass einem angst und bang wurde. Der Tatort des Jahres. Mindestens. Aber das ist jetzt keine Kunst. (Christian Schachinger, DER STANDARD; Printausgabe, 4.10.2011)

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