Angesichts der von zwei Berliner Fotografinnen in Szene gesetzten Aktbilder ist man irritiert. Aber nicht wegen der üblichen Präsentation nackter Brüste. Das Provokative besteht darin, dass diese fehlen. Naturgemäß ist man schockiert, wenn man in unserer grenzenlos überästhetisierten Zeit plötzlich mit der Realität schmerzhafter Krankheit konfrontiert wird. Das Frappierende an den Fotos ist, dass sie weder ins Voyeuristische abgleiten, noch mittels institutionalisierter Betroffenheitsmaschinerie zu einer Art Sozialporno verkommen. Im Gegenteil. Trotz offensichtlicher Visualisierung der vernarbten Folgen von Mastektomie und Chemotherapie präsentieren die Fotos starke, selbstbewusste Frauen, kämpferisch und sensibel. Dieser Kunstgriff gelingt nicht zuletzt aufgrund der Inszenierung der Protagonistinnen als "Amazonen": ein der griechischen Mythologie entlehntes, matriarchalisch organisiertes, nur aus Frauen bestehendes Volk, deren Kriegerinnen der Legende zufolge bekannt waren, die rechte Brust zu amputieren, um besser mit Bogen und Speer hantieren zu können.

Uta Melle, Kontakterin einer Berliner Werbeagentur, startete das Projekt nach ihrer Brustkrebs-Diagnose, um Mut zu machen; sich selbst und anderen. In den Fotokünstlerinnen fand sie geistige Verbündete, die ihr Konzept mit angemessenem Respekt realisierten. Jackie Hardt, die Melle ein "Brustabschieds-Shooting" geschenkt und de facto das Projekt initialisiert hatte, inszenierte in Form des Piktoralismus. Pate standen Gemälde alter Meister. Ihre Porträts wirken wie mit satten Ölfarben auf Leinwand aufgetragen, die Modelle posieren mit martialischen Helmen, Schulterklappen, Armschienen, umhüllt von zartem Organza oder barocken, schweren Brokatstoffen, mit ernster Miene, ganz im Sinne der Poseure vergangener Zeitalter. Hier lässt sich manche Amazonenkönigin ausmachen: etwa Penthesilea, die gegen Achilles, oder Antiope, die gegen Theseus gekämpft haben soll.

Kollektiv zürnender Erinyen

Diametral anders erfolgte die Darstellung von Esther Haase. Sie organisierte die Amazonen als wildes, revoltierendes Volk. Ein Kollektiv zürnender Erinyen scheint den "Sturm auf die Bastille" zu üben. Ihre Bilder zitieren Kunst und Kulturgeschichte. Haase greift die Optik von Werbewelt und Popvideos auf, konterkariert, ironisiert sie. Auf einer Serie erscheint das martialische Volk, dem Nebel entsteigend, nur in Lack und Leder, SM-Szenarien imitierend, laut, schrill, kämpferisch. Inszeniert wie bei Helmut Newton, "sexed up" wie so manches Versace-, Gucci-, Philipp-Plein- oder Gaultier-Sujet. Nebenbei fallen auch leise Töne, wenn die schizophrene Paarung von Erotik und Sentiment à la Aguilera oder die öffentliche Intimität eines "Bed-in" von John Lennon & Yoko Ono karikiert werden. Der nahezu fröhlich inszenierte "revolutionäre Marsch der Empörung", die exhibitionistischen Demonstrationen sind visualisierte Entrüstung, wider Scham, wider falsch verstandene Konventionen, wider die Ignoranz. Persifliert oder ernsthaft, gemein ist allen Fotos - Mythologie, Kunstgeschichte sowie unsere aktuelle sexualisierte, aber emotionslose Konsumgesellschaft zitierend - der Aufruf, sich zu überwinden, selbstbewusst zu sein, kritisch, authentisch.

Letztlich üben die Fotos profunde Gesellschaftskritik. Es geht darum, Mut zu machen, Kranke nicht zu stigmatisieren, sondern zu integrieren. Es geht darum, die von Werbe- und Medienwelt vorgegaukelten, von Mode- und Kosmetikindustrie pervertierten Ideale zu hinterfragen. Eine der betroffenen "Amazonen" formuliert klar: "Schönheit bedeutet, innere Kraft nach außen zu übertragen." (Gregor Auenhammer, DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2011)