Berlusconi hat so manche Krise überstanden, diese hier aber wird nicht spurlos an ihm vorüberziehen. Zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 möchte er unbedingt noch durchhalten. Und selbst das ist nicht in Stein gemeißelt. Die Popularität des Premiers, der das Land zum internationalen Gespött macht, ist auf historischem Tiefstand, die eigene Partei zerfleischt sich, die Wirtschaft geht vor die Hunde, die Prozesse und Affären rund um Berlusconi häufen sich, und selbst die Kirche wendet sich zusehends ab. Berlusconi schäumt und tobt und wütet, doch dass er eine Katastrophe für Italien ist, das weiß nicht mehr nur das Ausland. Die Opposition baut derweil ihren Vorsprung aus und sieht sich naturgemäß im Aufwind.

Die stärkste Oppositionspartei, die Demokratische Partei (Partito Democratico, PD), spekuliert auf vorgezogene Neuwahlen und rüstet sich für eine Politik nach Berlusconi. Ziel ist das Scheitern Berlusconis und das Bilden einer Übergangsregierung, das in erster Linie endlich die Änderung des Wahlrechts durchpeitschen soll. Reformiert werden soll das umstrittene, verkorkste Wahlrecht, das der Premier auf seine Bedürfnisse maßgeschneidert und kurz vor der Wahl 2006 durchgeboxt und das ihm eine Wahl später (2008) tatsächlich zum Wahlsieg verholfen hatte. Die Optik war schief, die Absicht klar, das Resultat vorhersehbar: Die ohnehin notorische Instabilität des italienischen Parlaments wurde verstärkt, Ministerrücktritte, Misstrauensvoten und vorgezogene Neuwahlen standen an der Tagesordnung.

Erreicht werden soll ein Wahlrecht, gemäß dem der Großteil der Abgeordneten nach dem Mehrheitsprinzip und der Rest nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt werden. Die "Mehrheitsprämien" für politische Allianzen sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat sollen abgeschafft, die Möglichkeit, Vorzugskandidaten anzugeben, wieder eingeführt werden.

Eine Million Unterschriften sammelte die Opposition für ein Wahlrechtsreform-Referendum in den vergangenen Wochen bereits ein. Die vorhergehenden Versuche, das Wahlrecht per Referendum zu kippen, scheiterten bisher stets an der niedrigen Beteiligung.

Es ist die Stunde der Opposition. Eigentlich. In Zeiten des Chaos, wo die Regierung still steht und Berlusconi zum Auslaufmodell verkommt, stehen die Zeichen für das Mitte-Links-Bündnis PD so gut wie nie. Der PD aber steht vor allem ihr alter Hauptgegner im Weg: Die PD selbst.

Wenn die Italiener auch dem neuesten Referendum kaum Beachtung schenken, dann liegt das nicht nur an der Politikverdrossenheit der Bevölkerung. Die PD ist heillos zerstritten, es mangelt an gemeinsamen Positionen, Zielen, Anführern und Rückendeckung für diese. Selbst über die Frage, ob die Reform des Wahlrechts nach deutschem, spanischem oder französischem Modell erfolgen soll, wurde erst einmal lauthals gestritten.

Mit viel mehr als den fast täglichen Rücktrittsforderungen Berlusconis konnte die Opposition bisher nicht aufwarten. Dass die Linke schon lange nicht mehr die Massen hinter sich scharen kann, ist kein neues Phänomen. Dass Berlusconi überhaupt so lange durchhalten konnte, ist auch ein Verdienst der größten Oppositionspartei Italiens. Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde. Dass sie Berlusconi selbst in Zeiten wie diesen nicht gefährlich werden kann, erstaunt trotzdem ein Mal mehr. Die Misere, in der Berlusconi steckt, hat viele Gründe, mit der Arbeit der Opposition aber hat sie rein gar nichts zu tun. Scheitert Berlusconi, steht auch die Opposition an einem Scheideweg. Das Einzige, was sie bisher geeint und verbunden hat, war der Anti-Berlusconismus.

Politikmachen in Italien, das beschränkt sich seit langer Zeit auf das Sichern der eigenen Vorteile und das Kritisieren und die Diffamierung des jeweiligen Gegners. Berlusconi wird das nicht mehr ändern. Möchte die Opposition etwas daran ändern, dann braucht es mehr als das Referendum. Doch ohne Entschluss, Programm und Weitblick kann keine Schlacht gewonnen werden. (derStandard.at, 3.10.2011)