Auf der Burger-Wiese tobt auch ein verzweifelter Kampf um Erlösung durch Ekstase.

Foto: Steirischer Herbst

Graz - Hätten die besorgten Christen nicht nur draußen (sich an menschenhohen Kreuzen festhaltend) sehr friedlich protestiert, vielmehr auch dieser Produktion des Steirischen Herbstes beigewohnt, sie hätten nicht nur die Besucher des Gólgota Picnics "in unsere Gebete" eingeschlossen, wie sie versprachen. Sie hätten wohl mindestens auch für die etwa 11.000 strengen Geruch verbreitenden Burger-Brote ein Gebet eingelegt, auf denen die Protagonisten im Grazer Orpheum ihre Arbeit verrichten.

Zunächst ist das natürlich eine wohlgeordnete Brotwelt mit ein paar Klappstühlen, welche die Schauspieler betreten. Einer redet sich sanft in Rage. Und auch jener die Worte begleitende Vorgang, bei dem sich zwei mit Tüchern vermummen und ihr Haupt mit Gemüse schmücken, verströmt noch das Flair eines zwar schrulligen, aber doch idyllischen Beisammenseins. Nach und nach entfaltet sich in dieser Arbeit von Regisseur Rodrigo Garcia allerdings ein enigmatischer Aktionismus, der wie eine verzweifelte, bilderpralle und textlastige Abrechnung mit der modernen, auch christlich geprägten Welt daherkommt.

Brot und Würmer

Wenn am Ende eine verwüstete Brot-Landschaft zurückbleibt, hat man denn auch reichlichst Bilder und Worte konsumiert: Da wird einer auf den Boden in Kreuzigungsposition angenagelt. Da werden einem Liegenden Kilos von Faschiertem um den Kopf gepackt. Und es wird auch der Verzehr von Burgern filmisch auf eine Leinwand übertragen, damit man die Ausspeiung miterleidet.

Auch einen Turmbau gibt es in Burgerform: Eine Schicht Brot, eine Schicht mit lebenden Würmern, eine Schicht Brot, zwischendurch etwas Salat drauf und dann wieder Würmer, Brot. Und auf das Ganze noch ein Schildchen mit der Aufschrift "Babel". Ja: Hier ist das Christentum mit seiner Symbolgeschichte und seiner Zentralfigur einer wütende Anklage ausgesetzt. Als Lehre, die unter dem Deckmantel des Humanen das Inhumane bewirkte. Klar, dass Luzifer mittlerweile arbeitslos ist. Alles Üble wurde schon begangen - von verführten Erdbewohnern selbst.

Die Anklage, die auch Konsumismus und Revolutionen von ihrer Wut nicht ausnimmt, mündet im Körpertheater. Mit Farbe bespritzt, schlingen sich Körper aneinander, bilden Skulpturen, die wieder in sich zusammenfallen. Es scheint in diesem Theaterkosmos die alles Individuelle auflösende Orgie der einzige Ausweg.

Diese bisweilen rätselhafte Theaterüberdosis zeugt in jedem Fall von markanter Fantasiekraft und mündet in einer Überraschung: Pianist Marino Formenti sitzt nackt am Flügel und spielt profund Haydns Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze. Da hätten auch die besorgten Christen gestaunt. So viel Reduktion auf die Sprache der Musik hätte ihnen (bei geschlossenen Augen natürlich) das Gefühl vermittelt, hier suche ein Wutregisseur gar Versöhnung. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe 3.10.2011)