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Die griechische Gewerkschaft PAME verbrennt Einkommenssteuerbescheide.

Foto: Reuters/Kolesidis

Man ist, was man isst. Dieses Sprichwort kommt nicht von ungefähr. Das wichtigste Element darin ist die Zeitkomponente. Je länger man einem Verhalten frönt, desto schwerer ist es, sich seiner wieder zu entledigen. Damit spannen wir den Bogen zur griechischen Steuermoral. Die Griechen geben viel Geld für ihr Militär aus und zahlen nicht gerne Steuern. Geschätzte 40 Prozent der Wertschöpfung erfolgen am Fiskus vorbei. Einerseits ist das der hohen Steuer- und Abgabenquote geschuldet, andererseits kämpfen die Regierungen seit dem frühen 19. Jahrhundert mit der Einstellung ihrer Landsleute.

Alles beginnt in den 1830-er-Jahren. Das der osmanischen Herrschaft frisch entschlüpfte Griechenland ist zwar souverän, wird aber von den europäischen Großmächten, allen voran Großbritannien und Deutschland, in eine Monarchie gedrängt. Erster König wurde der bayerische Prinz Otto. Er verdankte seine Weihe neben der großen Politik auch der Spendenfreude des Bayern-Königs Ludwig I., der als bekennender Philhellene die griechische Sprache förderte und Hellas-Expeditionen finanzierte.

Bayerische Finanzer für Hellas

Da der junge griechische Staat Anleihen bei seinen Stiftermächten aufnahm, brauchte er dringend ein funktionierendes Steuersystem, um die Schulden auch bedienen zu können. Daher brachte König Otto bayerische Finanzbeamte ins Land. Weiß-blaue Effizienz ohne nationalen Schulterschluss brachte aber wenig. Die in den Gebirgsregionen Griechenlands lebenden Unabhängigkeitskämpfer, Klephten genannt, waren stark bündisch organisiert und verstanden sich auch in Friedenszeiten als über dem Staat stehend. Die aus Athen kommende Staatsgewalt wurde notfalls mit Waffengewalt hinauskomplimentiert. Wahrscheinlich hätte dem unlängst vorgebrachten Vorschlag des EU-Energiekommissars Günther Oettinger, EU-Beamte in Griechenland die Steuern eintreiben zu lassen, ein ähnliches Schicksal geblüht.

Das denkbar schlechteste Vorbild für die Landbevölkerung gab aber die Staatsführung selbst ab. Denn nur ein kleiner Teil der Kredite fand seinen Weg in die Realwirtschaft. Ein gewichtiger Teil wurde sofort als Spesen und Provisionen verbucht. Viel Geld floss - das ist übrigens auch heute noch so - in das Militär. Infrastruktur und Bildungswesen kamen zu kurz, es wurde kaum in Bahntrassen, Straßen, Häfen, Schulen oder eine funktionierende Verwaltung investiert.

Ohne Wirtschaft kein Schuldendienst

Ohne eine Ankurbelung der Wirtschaft, ohne Steuereinnahmen, konnten die Griechen ihre Schulden nicht tilgen. Neue Kredite wurden ihnen nicht gewährt, zudem mussten die bayerischen Finanzbeamten 1843 auf Druck der Bevölkerung abziehen. Vollends den ökonomischen Knock-out gab es schließlich durch den Krim-Krieg (1853-1856), in welchem die griechischen Häfen drei Jahre lang gesperrt waren. König Otto I. wurde daraufhin - 20 Jahre nach seinen Beamten - aus dem Land geworfen. Ihm folgte der Däne Georg I.

1875 lag die griechische Wirtschaftsstruktur brach. Die Einfuhren übertrafen die Ausfuhren um rund 60 Prozent. Exportschlager Nummer eins waren Korinthen (Rosinen). Der mit vier Prozent sehr geringe Anteil an Arbeitern war ein Zeichen für die auf sich wartende Industrialisierung des Landes mit seinen damals 1,7 Millionen Einwohnern, das berichten Niels Kadritzke und Michalis Psalidopoulos in der "Berliner Zeitung".

Jeden zweiten Arbeitsplatz in dieser Zeit stellte die Landwirtschaft. Von den Bauern war rein steuerlich nicht viel zu holen. Viel gab es nicht zu besteuern, und auch die ungesicherten Grundeigentumsverhältnisse waren der Zahlungswilligkeit der Landwirte nicht zuträglich.

Premier Trikoupis gelingt das Undenkbare

Der Weg zu neuem ausländischen Kapital wurde mit einem neuen Politiker beschritten. Dem in England ausgebildeten Ministerpräsidenten Charilaos Trikoupis gelang es, sich 1879 mit den Gläubigern auf eine Umschuldung zu einigen, im Rahmen derer eine neue Anleihe begeben wurde. In den nächsten zwölf Jahren legte die Monarchie sechs weitere Anleihen auf. Ein Gesamtvolumen von 630 Millionen Golddrachmen bedeutete allerdings, dass der Schuldendienst von sieben Prozent auf über ein Drittel des Staatshaushaltes stieg.

Dieses Mal wollten sowohl die Griechen, als auch die Gläubiger klüger sein. Letztere ließen sich das entliehene Kapital mit Steuer- und Zolleinnahmen besichern. Die Hellenen wiederum wollten nun garantieren, dass das Geld auch sinnvoll eingesetzt wird. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die politische Symbolik. Trikoupis erkannte, dass in seiner zur Schau getragenen Reformbereitschaft der Schlüssel zum Wohlwollen der westlichen Mächte lag.

Geld gleich Griechen ungleich Effizienz

Doch das Prozedere wiederholte sich. Ein gewichtiger Teil der Anleihen landete bei internationalen Banken und reichen Griechen, die bei der Auflage der Papiere mitschnitten. Zudem wurden alte Schulden getilgt. Der Finanzwissenschaftler Andreas Andreadis hat damals errechnet, dass nur 62 Prozent des entliehenen Kapitals für Investitionen übrigblieben.

Der Hauptteil davon floss abermals in die Rüstung, da die griechische Politik von der Idee eines Großgriechenlands (megali idea) besessen war. Auch wenn dieses Mal mehr Gelder ihren Weg in Telegrafennetze, Eisenbahnlinien, Häfen, und Polizeiausbildung fanden, die Zeichen für eine gelungene Schuldentilgung standen denkbar schlecht.

Weiter geschont wurden zudem die Reichen. Premier Trikoupis setzte auf eine Art Thrickle-down-Effekt. Die Vermögenden des Landes sollten möglichst wenig belastet werden, um privatwirtschaftliche Investitionen anzukurbeln. Diese sollten dann wiederum zu einem Mehr an Infrastruktur, Beschäftigten und Steuern führen.

Da aber die Privatinvestitionen auf sich warten ließen, endete Hellas wieder in einer veritablen Staatspleite. "Dystichos eptochevsamen" ("Leider sind wir bankrott"), erklärte Premier Trikoupis im Dezember 1893. Und die Gläubiger mussten wieder einsehen, dass sich ihre Besicherungen als wertlos herausstellten. Griechenland war souverän, konnte wie wollte nicht zahlen.

Europa nimmt Hellas unter Kuratel

Die geprellten Investoren versuchten nun über die Staatsdiplomatie zu ihrem Recht zu kommen, bekamen von der Politik aber eine Abfuhr. „Die Anleger hätten um ihr Risiko gewusst, ihre Rettung könne nun nicht Sache des Staates sein, staatliche Hilfe würde sie in Zukunft noch leichtsinniger machen", so beschreibt Korinna Schönhärl in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die damalige Position des deutschen Außenministeriums.

Vier Jahre später kam aber alles anders. Hellas zog in einen Kurzzeit-Krieg um die unter osmanischer Herrschaft stehende Insel Kreta, den man verlor. Nun schuldete man den Türken eine Kriegsentschädigung. Neues Geld gab es von Westeuropas Investoren aber nur gegen die Bedingung, auch für die alten, seit der Staatspleite 1893 nicht mehr bedienten, Schulden aufzukommen. Um das beim dritten Anlauf auch wirklich sicherzustellen, zwang man Griechenland, seine finanzielle Souveränität aufzugeben. Es wurde unter Kuratel einer sogenannten Internationalen Finanzkommission (IFK) gestellt. Sie kontrollierte die für den Schuldendienst zweckgebundenen hellenischen Staatseinnahmen. Dass damit der Spielraum für Investitionen im Land selbst gering war, verstand sich von selbst. Viele Griechen wanderten in diesen Jahren in die USA oder Europa aus. Tilgungsraten und Zinsen wurden übrigens bis zum Einmarsch deutscher Truppen im Jahre 1941 gezahlt.

Nahezu jedes Land war einmal bankrott

Parallelen zur Jetztzeit drängen sich auf. Auch heute hapert es bei der Steuermoral, auch heute ist das Land hoch verschuldet, auch heute steht Hellas unter Kuratel der europäischen Mächte.

Das ist eine - im wahrsten Sinne des Wortes - griechische Tragödie. Wie die aus dem antiken Bocksgesang stammende Urform des Theaters, wurden und werden auch Staatspleiten auf der ganzen Welt "gespielt". So hat es Deutschland, Vorgängerstaaten wie Preußen inklusive, auf acht Insolvenzen gebracht. Ungarn hat sieben Mal, Portugal und die Türkei sechs Mal und Russland fünf Mal angeschrieben, wie aus Recherchen der Schoeller-Bank hervorgeht.

Den Rekord hält übrigens Spanien mit ganzen dreizehn Bankrotten. Vier davon gehen alleine auf das Konto König Philipps II., der von 1556 bis 1598 im iberischen Sattel saß. Um sein Weltreich, das von den amerikanischen Kolonien bis zu den Philippinen reichte, zusammenzuhalten, waren Kriege nötig. Immer wenn er die für die Finanzierung nötigen Schulden nicht begleichen konnte, erklärte er die royale Pleite.

"Historisch verhält es sich so, dass es Regierungen ab einer Zinsbelastung von 25 Prozent der Steuereinnahmen schwer haben, ein vernünftiges Budget aufzustellen", heißt es in dem 2010 erschienenen Bericht der Schoeller-Bank. Griechenland hat diese Marke überschritten. In Österreich wird diese Belastung bis 2015 auf rund 19 Prozent der Nettosteuereinnahmen oder 9,54 Milliarden Euro ansteigen, prognostiziert der Rechnungshof in seinem vor zwei Wochen erschienenen Bundesrechnungsabschluss 2010. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 3.10.2011)