"Angelo X", 2006/2011
Robert Sturm in Kooperation mit Research group on Black Austrian History

Foto: Robert Sturm

Von außergewöhnlichen Persönlichkeiten wurden im 18. Jahrhundert noch Kopfabgüsse gemacht. So wie auch von Angelo Soliman nach seinem Tod.

Kopfabguss Angelo Soliman, 1796; Städtisches Rollett-Museum, Baden

Foto: Städtisches Rollett-Museum, Baden

"In den Portraits aristokratischer Damen mit "Mohrendienern", stellt der "Mohr" immer die angedeutete Sexualität dar...Die Muschel ist eigentlich die Vagina und die rote Koralle wurde zerstoßen und als Aphrodisiakum genommen", so Kurator Philipp Blom.

Louise de Kérouaille, Duchess of Portsmouth (mit Diener), 1682, Pierre Mignard; National Portrait Gallery, London

Foto: National Portrait Gallery, London

Philipp Blom ist Historiker, Publizist und Gastkurator der diese Woche am Mittwoch eröffneten Ausstellung über Angelo Soliman im Wien Museum.

Foto: Peter Rigaud

Der Deutsche Philipp Blom ist Historiker, Publizist und Gastkurator der diese Woche am Mittwoch eröffneten Ausstellung über Angelo Soliman im Wien Museum. Ihm geht es darum, die historische Figur Angelo Soliman in ihrer Mehrdimensionalität und der kulturhistorischen Einbettung zu zeigen, "denn es gibt nicht nur einen Angelo Soliman, es gibt viele Angelo Solimans." Im Interview spricht er auch über die divergierenden Afrika-Bilder voll von Exotismus, Sinnlichkeit und Stereotypen. Und über den unreflektierten Rassismus in Österreich.

daStandard.at: Was hat Sie dazu bewogen eine Ausstellung über Angelo Soliman, der zu Lebzeiten Kammerdiener und Erzieher beim Fürsten von Liechtenstein war und nach seinem Tod im Naturalienkabinett als ausgestopfter, halbnackter "Wilder" aus Afrika ausgestellt wurde, zu kuratieren?

Philipp Blom: Die Figur hat mich schon längere Zeit interessiert, weil es einerseits eine bizarre Geschichte ist, aber hinter dieser bizarren Geschichte auch ein persönliches Schicksal liegt. Es ist eine faszinierende Geschichte, weil sie auf verschiedenen Ebenen passiert. Auf der einen Seite ist Soliman das Opfer, der Sklave, fern der Heimat und in seinen Lebensmöglichkeiten sehr stark beschnitten. Aber das ist nur eine Facette. Es geht mir nicht darum Soliman als groteskes Opfer oder idealen Menschen darzustellen, sondern darum einen Menschen in seinen Lebensumständen darzustellen. Jemanden für sich selbst sprechen zu lassen.

daStandard.at: Was wissen wir über Soliman?

Philipp Blom: Er ist der erste nicht-europäische Migrant in Wien, über den wir durch Briefe und Dokumente genug wissen, um ihn persönlich zu erschließen. Auf der anderen Seite gibt es ganze Dimensionen seines Lebens, die sich uns nur durch Spekulation erschließen lassen, wie sein Privatleben. Aber man darf ihn nicht auf die Rolle des Afrikaners festnageln. Erstens ist es das, was Europa im 18. Jahrhundert mit ihm gemacht hat, ihn in dieses orientalistische Kostüm zu stecken. Aus dem müssen wir ihn rausholen. Schließlich wurde er seit dem achten Lebensjahr in Europa erzogen. Ja, er war vom Fürsten abhängig und durfte nicht heiraten. Genau dasselbe kann man über Joseph Haydn sagen, der auch die Livree seines Herren tragen musste. Es war eine Zeit vordemokratischer Bürgerrechte, in der die Abhängigkeit, wie Soliman sie erlebt hat, eine allgemeine Kondition für Nicht-Aristokraten war. Bewundernswert an Soliman ist, dass er versuchte sich zu emanzipieren. Seine Tragödie ist aber gleichzeitig, dass er nur durch Assimilation überhaupt erfolgreich war.

daStandard.at: Wie ist ihm diese Emanzipation gelungen?

Philipp Blom: Er heiratete heimlich, kaufte ein Haus, wurde Mitglied der Freimaurer, alles sehr individualistische Schritte der Lebensgestaltung. Andererseits trug er auch noch nach seiner Pensionierung das orientalische Kostüm, was ihm den Respekt der Außenwelt erbrachte. Das macht ihn zu einer interessanten historischen Figur, dass es da kein monolithisches Narrativ über ihn gibt. Es geht in der Ausstellung ja nicht darum ihn zu überhöhen, sondern ihn kennen zu lernen, sein Leben und seine Lebensmöglichkeiten aufzuschlüsseln. Dadurch ergibt sich ein größerer kultureller Kontext. Wir zeigen Darstellungen von Afrikanern, Stereotype und Rollenbilder zu der Zeit.

daStandard.at: Die Mehrdimensionalität der Lebensgeschichte von Angelo Soliman spiegelt sich also auch in der Ausstellung wider.

Philipp Blom: Die Objekte müssen in einer Spannung arrangiert sein. Im Prinzip bestehen ja nur über seine Wiener Zeit Dokumente, daher musste viel rekreiiert und imaginativ gearbeitet werden. Der erste Raum zum Beispiel zeigt wie Europäer Afrika im 17. Jahrhundert sahen. Als ein Fabelland voller Monster und seltsamer Rituale. In der Ausstellung wird das mit Objekten aus der Region, aus der Soliman wahrscheinlich kam, kontrastiert. Das ist sehr überraschend. Man kommt von den Fantasiekonstruktionen der Europäer und sieht dann Einblicke in eine islamische Kultur Afrikas, die nichts mit Tanzmasken und Fetisch-Symbolen zu tun hat, sondern ästhetisch sehr geometrisch, abstrakt und nüchtern ist. Es war mir sehr wichtig zu zeigen, dass diese Figur Angelo Soliman nicht erst in Wien zum Menschen geworden ist. Dass es nicht wieder als "Wiener Gschichtl" erzählt wird, sondern man der Tatsache Raum gibt, dass er aus Afrika kam.

daStandard.at: Wie hat sich das Bild des Afrikaners im Laufe der Jahrhunderte verändert? Diese Thematik wird ja auch in der Ausstellung behandelt.

Philipp Blom: Das war damals natürlich auch eine exotistische Mode. Und es gab immer einen unterschwelligen Sensualismus. In den Portraits aristokratischer Damen mit "Mohrendienern", stellt der "Mohr" immer die angedeutete Sexualität dar, der einer Fürstin neben Kaffee auch rote Rosen, mit Perlen gefüllte Muscheln und eine rote Koralle reicht. Die Muschel ist eigentlich die Vagina und die rote Koralle wurde zerstoßen und als Aphrodisiakum genommen. Da zeigt die aristokratische Dame ihre andere, dunkle Seite, ihre eigene Sinnlichkeit. Das heißt aber auch, dass die Afrikaner sehr stark auf die Kreatürlichkeit, die Triebhaftigkeit festgeschrieben wurden. Und ich glaube, dass hat sich nicht sehr geändert, das rassistische Vorurteil ist immer noch stark.

daStandard.at: Wie schwer war es, den Blick auf Angelo Soliman zu richten, ohne sich auf das grausame Kapitel der Leichenschändung zu fokussieren?

Philipp Blom: Es war eine große Herausforderung, wie man mit der Tatsache seiner Ausstopfung und Ausstellung umgeht. Da gibt es eine starke Zweiteilung, und das ist ja auch die Tragödie daran. Damals ging man mit Körpern anders um. Der Abguss seines Kopfes ist etwas, das uns heute befremdet. Dr. Gall, der diese Kopfabgüsse in Auftrag gegeben hat, sammelte alle Menschen, die außergewöhnlich waren, auch gute Wissenschaftler zum Beispiel. Unter Soliman im Rollet-Museum steht eine Büste von Kaiser Joseph, dem Zweiten. Der Abguss war also kein kolonialistischer Akt. Die Ausstellung ist natürlich etwas Anderes, zumal solche Ausstopfungen nur Afrikaner betrafen. Das eigentliche Skandalon ist das Soliman nicht als Angelo Soliman, der große "Hofmohr", Hauslehrer eines zukünftigen Fürsten und kaiserlicher Gesellschafter ausgestellt wurde, sondern halbnackt als Wilder in Straußenfedern, Glasperlen und Muscheln. Und Sie müssen sich vorstellen, dass zumindest einige der Menschen, die das Museum besuchten, ihn persönlich kannten.

daStandard.at: Zeigt das nicht auch die Verlogenheit der feinen, höfischen Gesellschaft, die den präparierten Leichnam eines ehemaligen Mitglieds in einer Ausstellung begaffte?

Philipp Blom: Natürlich. Wobei ich fast sicher bin, ohne Ihnen dafür Beweise liefern zu können, dass das direkt auf Betreiben des Kaisers geschehen ist. Soliman war Hauslehrer des nächsten Fürsten Liechtenstein und ausgezeichnet vernetzt in der Wiener Elite. Ein kleiner Museumsdirektor konnte den Leichnam nicht einfach so beschlagnahmen, ausstopfen lassen und ins Museum stellen. Der Kaiser war nicht nur selbst besonders an Naturgeschichte interessiert, sondern auch ausgesprochen bigott. Er hat ja die zögerlichen aufklärerischen Tendenzen seines Vor-Vorgängers, Jospeh II, und die Wiener Jakobiner stark bekämpft. Soliman repräsentierte dieses aufklärerische Wien sehr stark. Die Ausstopfung hatte wohl schon eine Watschen-Wirkung gegenüber den aufgeklärten Kreisen, die ihn zu Lebzeiten mit offenen Armen empfingen. Dieser Akt, einen Menschen wieder zum Objekt zu machen, und zwar diesmal zu einem dezidiert rassistischen, kolonialistischen Akt, scheint schon symbolisch zu sein. Das ist mehr als nur wissenschaftliche Neugier, und das macht diesen Akt auch so monströs. Das ist ja auch posthume Beleidigung.

daStandard.at: Ein öffentliches Degradieren...

Philipp Blom: Ja, er hat zwar in der Zivilisation viel erreicht, aber unten drunter hatte er immer noch die Federkrone auf und die Glasperlen an, das sagt die Ausstopfung aus. Soliman war immerhin auch getauft. Einen Christen, der kein Verbrecher war, so in ein Museum zu stellen, verstieß ja gegen die Sakramente. Aber auch dahinter stand letztendlich: "Es bleibt doch nur ein Afrikaner, das sind mindere Menschen."

daStandard.at: Wobei es damals schon Kritik an der Leichenschändung gab.

Philipp Blom: Gerade von der Katholischen Kirche hat es Kritik gegeben. Vom Kardinal, der Soliman schon zu Lebzeiten unterstützte und darauf hinwies, dass die Ausstopfung barbarisch ist. Angelo Solimans Tochter Josephine hat auch vehement dagegen protestiert und ist dann, als sie an der österreichischen Bürokratie scheiterte, weit weggezogen aus Wien. Und da stand Solimans Leichnam dann zehn Jahre im kaiserlichen Naturalienkabinett.

daStandard.at: In der Ausstellung kommen in Video-Installationen auch AfrikanerInnen, die heute in Wien leben, zu Wort.

Philipp Blom: Es war mir sehr wichtig, dass es nicht nur eine historische Ausstellung bleibt. Darum habe ich acht AfrikanerInnen dazu befragt, was sie von dieser Geschichte halten. Das war sehr interessant. Erst mal war es vielen persönlich sehr wichtig zu wissen, dass schon vor 250 Jahren Afrikaner hier lebten und dass die beim Fürsten in einer guten Stellung gearbeitet haben. Das hat sie aber auch sehr nachdenklich gemacht. Solimans Leben war zwar einerseits ganz stark davon geprägt, dass er sich assimiliert und die orientalischen Erwartungen seiner Zeitgenossen erfüllte. Aber er wurde nicht systematisch aus rassistischen Gründen benachteiligt und hatte ein erfolgreiches Leben.

daStandard.at: Systematischer Rassismus ist im heutigen Österreich aber sehr wohl präsent.

Philipp Blom: Es gibt meiner Wahrnehmung nach in Österreich, stärker als in anderen Ländern, in denen ich gelebt habe, einen unreflektierten Rassismus. Wo es nicht um Rassenhass oder Ablehnung geht, sondern einfach um Ausgrenzung, Anderssein und dadurch um eine andere Behandlung. Natürlich ist der politische Diskurs hier manchmal sehr hässlich. Auch die Pressekolportage über Afrikaner als asoziale Drogendealer passiert ungenierter als in anderen Ländern. Ich habe Menschen kennen gelernt, die seit Jahren auf einen Asylbescheid warten. Einer davon seit 13 Jahren. Das heißt 13 Jahre lang gefesselt und geknebelt zu sein, nicht arbeiten zu dürfen. Jemanden so lange auf Eis zu legen ist unmenschlich und eines Staates wie Österreich eigentlich nicht würdig. (Güler Alkan, 30. September 2011, daStandard.at)