Die Wohnhausanlage "Am Schöpfwerk" befindet sich Wien-Meidling. Dabei handelt es sich eigentlich um zwei Wohnanlagen. Die "Alte-Schöpfwerk-Siedlung" wurde von 1951 bis 1957 errichtet und war beispielhaft für das "Soziale Schnellbauprogramm" des wohnungsknappen Nachkriegs-Wien mit eher nüchternem Baustil. Das 1981 fertiggestellte "Neue Schöpfwerk" hingegen wurde als moderner Gebäudekomplex, als "Stadt in der Stadt" mit guter Infrastruktur und Nahversorgung geplant. Ganz wie bei den Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit. Eine Katholische Kirche mit Seelsorgezentrum gab es in diesen Gemeindebauten allerdings nicht. In der Schöpfwerk-Siedlung schon. Der stufenartige Bau der Pfarre entspricht auch ganz dem Baustil der Anlage.

Foto: Mascha Dabic

Das Architektenteam rund um Viktor Hufnagl wollte Monotonie vermeiden. Mit seinen vier miteinander verbundenen Bauteilen - von den Zwillingshochhäusern bis zu den Oktagonen mit den differenzierten Bebauungsformen - wurde die Siedlung wie andere Großprojekte der 1970er als urbane Fußgänger-Anlage mit viel Freiraumflächen geplant. Die Architekten ließen sich von kommunalen Wohnbauprojekten der Zwischenkriegszeit inspirieren, indem sie zahlreiche Höfe, Grünanlagen und Durchgänge anlegten und auch bei der Gestaltung der Fenster und Balkone bei den großen Vorbildern der Zwanziger und Dreißiger Jahre Anleihe nahmen. Auf Verzierungen und Ornamente wurde jedoch weitgehend verzichtet.

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Heute ist der Hochhaus-Komplex Wohn- und Lebensraum für rund 8000 Menschen, die auf 62 Stiegenhäusern mit 2151 Wohnungen verteilt sind. Es gibt eine Apotheke, Ärzte, einen Friseur, Kindergärten, eine Volksschule und eine kooperative Mittelschule. Die Wohnungstypen reichen von Wohnungen mit drei bis vier Zimmern zu großzügigen Terrassen- und Atelierswohnungen. Anfang der 1980er war die Siedlung noch Prestigeobjekt des wiederbelebten kommunalen Wohnbaus. Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten sollten hier leben. Familienfreundlich sollte es sein, wie diese Plastik mit Kind, Mutter und Vater hier im Bild symbolisiert.

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Aber so reibungslos klappt das Zusammenleben in der Großwohnsiedlung doch nicht. Eine Polizei-Wachstube soll für Ordnung sorgen. Dieser Bewohner, der aus Bosnien stammt, fühlt sich deswegen aber nicht sicherer. Er lebt seit fünf Jahren hier und ist überhaupt nicht zufrieden. "Meine Stiege ist eine der schlimmsten. Jede Nacht werden Scheiben kaputt geschlagen, betrunkene Jugendliche brüllen herum und lassen ihren Mist liegen. Aber es wird nichts dagegen unternommen. Schon seit Jahren nicht", beklagt er sich über die fehlende Lebensqualität und geht mit seiner Tochter zum Einkaufen in Richtung Arkadengänge.

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Waren die Durchgänge einst als gestalterische Elemente und soziale Kontaktzonen zugleich errichtet, wirken sei heute eher verwahrlost. Es gibt hier zwar einen kleinen Supermarkt, aber davor versammeln sich schon vormittags kleine Grüppchen alkoholisierter Gemeindebau-Bewohner, die ihre Bierdosen achtlos ins Grüne werfen und lautstark versuchen das Lallen des Gegenübers zu verstehen. Zusammen mit dem verwahrlosten Flair erinnert das eher an den Karlsplatz als an eine Wohnhausanlage für Familien.

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Die Bewohner scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Eine arabisch-stämmige Frau, die in Schwarz gekleidet ist und ein Kopftuch trägt, kauft gerade beim türkischen Lebensmittelgeschäft in den Arkadengängen Gemüse ein und erzählt, dass sie sich hier wohl fühlt und keinerlei Probleme mit den Nachbarn hat. Mehr Supermärkte hätte sie gerne hier. Der Besitzer des Lebensmittelgeschäftes kann sich nicht über fehlende österreichische Kundschaft beklagen. "Die kaufen hier mehr ein als die Türken und lieben unsere Pizzen." Kinder hingegen lieben die bunten Naschwaren an der Theke und gehören auch zur fixen Kundschaft.

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Die Arkadengänge bieten aber nicht nur Einkaufsmöglichkeiten. Für Leseratten gibt es hier in der Außenstelle der Städtischen Bibliothek ausreichend Lesestoff. Das Interesse scheint aber nicht bei allen gegeben zu sein. Für einen blondhaarigen Buben im Alter von zehn Jahren, der in der Stiege gleich gegenüber der Bibliothek wohnt und gerade auf dem Weg zum Skaterpark ist, stellen diese Räumlichkeiten ein unbekanntes Territorium dar. "Da war ich in meinem ganzen Leben noch nicht drin", sagt er und düst mit seinem Skateboard ab.

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Skateboard-Fahren ist übrigens wie Radfahren und Fußballspielen strengstens verboten im Gemeindebau.

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Die Kinder lassen sich den Spaß dennoch nicht nehmen. In der Grünanlage, die auch "Hügelpark" genannt wird, können sich die Kleinen ungehindert beim Fußballspielen und auf dem Spielplatz austoben. Ältere Kinder und Jugendliche zieht es eher auf den Skaterplatz und die Ballspiel-„Käfige" rund um die sehr nahe gelegene U6-Station "Am Schöpfwerk".

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Auch Erwachsene können hier die Sonnenstunden genießen, sofern sie nicht schon bei der angegliederten Kleingartenanlage, die für Schrebergarten-Flair inmitten des Gemeindebaus sorgt, Mitglied sind.

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An Samstagen wird der wöchentliche Flohmarkt vor dem Platz der Volks- und Kooperativen Mittelschule veranstaltet. Hier können die Bewohner Kleidung, Schuhe, Geschirr und Spielzeuge an den Mann oder die Frau bringen, oder aber selbst neue alte Sachen erstehen.

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Müll im Niemandsland: Für diesen Müll fühlt sich niemand zuständig. Wiener Wohnen und die Schule schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu, und die Anrainer haben das Nachsehen, erzählt eine sichtlich verärgerte Bewohnerin.

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Die Besitzerin dieses Flohmarktstandes lebt seht mehr als zehn Jahren hier und kann sich im Großen und Ganzen nicht beklagen. Zur Anonymität des riesigen Wohnkomplexes befragt, antwortet sie achselzuckend. „Das ist halt so. Kaum sieht man den Nachbarn im Aufzug, ist er auch schon weg." Sie mache aber oft bei Veranstaltungen des Nachbarschaftszentrums und in der „Bassena" mit.

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Der "Club Bassena" ist ein bunter Fleck in der Betonlandschaft. Hier soll durch diverse Aktivitäten und Gemeinwesenarbeit der soziale Zusammenhalt gestärkt werden. Die Räumlichkeiten können von den BewohnerInnen frei genutzt werden, z.B. für Gymnastik , Break-Dancing-Einheiten oder private Feiern. In der Bassena entsteht regelmäßig auch die Stadtteilzeitung "Schöpfwerk Schimmel".

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Die Per-Albin-Hansson-Siedlung-Ost ist ebenfalls eine Stadt in der Stadt. Benannt nach dem schwedischen Sozialdemokraten Per Albin Hansson wurde diese Anlage von 1966 bis 1977 als Ergänzung zu den bereits bestehenden Stadtrand-Siedlungen Per-Albin-Hansson-Siedlung West und Nord östlich der Favoritenstraße errichtet. Die PAHO, wie die Siedlung abgekürzt genannt wird, besteht weitgehend aus fünf- bis achtgeschossigen Fertigteilblocks. Eine Bus- und eine Straßenbahnlinie führen ins Zentrum.

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Nur wenige Haltestellen weiter befindet sich der am Stockholmer Platz gelegene Olof-Palme-Hof, der ebenfalls zum PAHO-Gesamtkomplex zählt. Stockholm, Per Hansson Albin, Olof Palme - die schwedischen Bezeichnungen und Namen sind kein Zufall. Der schwedische Sozialdemokrat Per Hansson Albin hatte 1945 maßgeblich mitgewirkt, die Hilfsaktionen für die hungernde Wiener Bevölkerung einzuleiten. Von außen mag der Olof-Palme-Hof wie ein Betonklotz wirken, aber der neugierige Beobachter wird eines Besseren belehrt.

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Terrassenförmige Fassaden, durchsetzt mit viel Grün auf den Balkonen, schaffen hier eine angenehme Wohnumgebung, die von der nahe gelegenen und stark befahrenen Favoritenstraße nichts ahnen lässt.

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