Schlomo Sand, Autor von "Die Erfindung des jüdischen Volkes".

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In 15 Sprachen wurde sein internationaler Bestseller über den „Gründungsmythos Israel" schon übersetzt, erklärt der Professor für Geschichte stolz, und deutet mit der Hand auf das Bücherregal, in dem alle Bände aufgereiht stehen. In seinem provokativen Buch dekonstruiert er auf 456 Seiten das nationale Gedächtnis Israels. Diese „Erinnerungslandschaften" seien ab dem 19. Jahrhundert erst von Intellektuellen zusammengefügt worden. Die Bibel wurde dabei oft unhinterfragt als historischer Beleg herangezogen. „Mittels einer fruchtbaren Phantasie" wurde eine Ahnenreihe „bis hin zum jüdischen Volk von heute" erfunden, schreibt er. Das „jüdische Volk", wie es heute verstanden wird, sei also eine „Erfindung" der Vergangenheit.

Lange hatte er Angst über „diese Monster", wie er die heiklen Themen nennt, zu schreiben. Deswegen sei sein Buch zu Beginn sehr theoretisch, und erst ab dem dritten Kapitel „wirklich interessant und mutig", gibt er zu. Für Geschichtsromantik hat Shlomo Sand jedenfalls wenig übrig. Ebenso kritisiert er die israelische Staatsdoktrin von heute. „Wenn amerikanische Juden als bessere Israelis gelten als Nicht-Juden mit Staatsbürgerschaft, dann beruht unser Land auf rassistischen und undemokratischen Prinzipien", erklärt er. Die Definition Israels als jüdischer Staat diskriminiere insbesondere die mehr als eineinhalb Millionen arabischen Israelis. Immer wieder wird PA-Präsident Mahmud Abbas aufgefordert, den jüdischen Staat anzuerkennen. „Aber das wird er nicht tun, weil er damit 25 Prozent der Bevölkerung als Staatsbürger zweiter Klasse deklarieren würde", meint der 65-jährige Historiker.

Erst in seiner jüngsten Rede benannte Benjamin Netanyahu vor der UN-Generalversammlung die „Verweigerung der Palästinenser den jüdischen Staat anzuerkennen" als „Kern des Konflikts." Für Sand hat das Pochen auf diese Anerkennung mehr mit Netanyahus Abhängigkeit von der jüdischen US-Lobby zu tun, als mit den Interessen Israels. „Denk doch mal nach. Ist Woody Allen als amerikanischer Jude ein besserer Israeli als Araber, die hier geboren wurden?", meint er. Die israelischen Politiker würden allzu gerne den Preis für den „Zweitwohnsitz der jüdischen Diaspora" zahlen. Auch wenn er Israel grundsätzlich als „pluralistische Demokratie" anerkennt, sei der Rassismus in einem jüdischen Staat implizit, weil dieser langfristig zu einem exklusiven Klub werde.

Aber besteht nicht auch die Gefahr, dass jüdische Israelis irgendwann die Bevölkerungsmehrheit verlieren, wenn der jüdische Charakter nicht weiterhin verteidigt wird? „Israel soll eine Zuflucht für alle verfolgten Juden bleiben. Das kann ich unterstützen. Aber es muss auch eine Demokratie für alle seine Bürger bleiben", erklärt er. Genau Deshalb sei auch ein palästinensischer Staat neben Israel wichtig. Aber die israelische Regierung würde ohnehin keinen Palästinenserstaat akzeptieren, ist er sich sicher. Denn wie er selbst seien auch die Politiker in der Schule darüber unterrichtet worden, dass Judea und Samaria, wie viele Israelis das Westjordanland nennen, Teil Israels sind. „Und wir sind der einzige Staat, dessen Außenminister (Lieberman) mit seiner Familie in einer Siedlung auf besetztem Land wohnt", sagt er in zornigem Ton.
Gerade erst hat Shlomo Sand sein zweites Buch fertiggestellt, „das bestimmt auch ins Deutsche übersetzt wird", meint er, und fügt hinzu: „Ich schreibe diese Bücher, um damit gegen Rassismus anzukämpfen." (Andreas Hackl, derStandard.at, 29.9.2011)