Randa Kassis ist Autorin und Sprecherin des syrischen Exiloppositionsbündnisses "Koalition demokratischer und laizistischer Kräfte". Sie lebt und arbeitet in Paris.

Foto: Randa Kassis

"Wir kämpfen für den Sturz von Assad, aber wir haben Angst, dass Syrien in die Hände der Islamisten fällt", sagte die Sprecherin eines syrischen Oppositionsbündnisses an dessen Gründungstag Ende September in Paris. Randa Kassis erklärt im derStandard.at-Interview, warum es keinerlei Aussicht auf eine Einsicht Assads gibt und weshalb die Gefahr so groß ist, dass Syrien nach Assad unter das nächste Unterdrückungsregime gerät.

derStandard.at: Ist es überhaupt möglich, vom Ausland aus die Geschehnisse in Syrien zu beeinflussen?

Randa Kassis: Die Opposition, egal ob inner- oder außerhalb Syriens, hat keinen realen Effekt auf die Proteste im Land. Aber die Oppositionsparteien außerhalb haben die wichtige und nützliche Aufgabe, die internationale Gemeinschaft auf die Forderungen der Demonstranten aufmerksam zu machen. Sie können legitime Repräsentanten aller Demonstranten sein.

derStandard.at: Wie begründen Sie die von Ihrer Plattform formulierte Sorge, dass Syrien in die Hände von radikalen Islamisten fallen könnte, sollte Assad die Macht aufgeben?

Randa Kassis: Über Jahrzehnte hinweg war das syrische Regime bestrebt, Intellektuelle und Massen auseinanderzuhalten. Das war eine politische Strategie, die ein schwerwiegendes politisches Vakuum entstehen ließ. Zur selben Zeit hat das Regime aber zugelassen, dass ein wahabitisch geprägter fundamentalistischer Islam mit der finanziellen Hilfe saudischer Kleriker und Politiker gedeihen konnte. Über ein breit gefächertes Sozialprogramm gewannen die Islamisten die Herzen und Köpfe der Massen. Gleichzeitig konnte das Regime Minderheiten davon überzeugen, dass es ihnen Schutz bietet.

derStandard.at: Burhan Ghalioun, der Vorsitzende eines syrischen nationalen Übergangsrates, der im August gegründet wurde, hat zu einem Dialog mit den Islamisten aufgerufen. Der bessere Weg?

Randa Kassis: Wir wissen, dass Islamisten keinerlei ideologische oder politische Flexibilität an den Tag legen. Wir beobachten deren Arbeit, es besteht kein Zweifel, dass sie auch einige Intellektuelle mit Affinität zum Säkularismus vorschieben, um ihre Ansprüche zu rechtfertigen. Es ist wahr, dass wir die Islamisten nicht ausschließen können, denn sie repräsentieren ungefähr 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, aber wir müssen Prinzipien formulieren, unsere Sicht der Dinge darstellen und Kompromisse machen aber die auch fordern. Wir müssen sie quasi dazu bringen, Unterschiede auf demokratische Weise zu respektieren. Ich bin nicht gegen Verhandlungen oder einen Dialog mit den Islamisten aber ich bin gegen die totale Hegemonie.

derStandard.at: Ein anderer syrischer "Übergangsrat" wurde im September in der Türkei gegründet. Wäre es nicht sinnvoller, alle oppositionellen Kräfte zu bündeln und an einem Strang zu ziehen?

Randa Kassis: Wir arbeiten daran. Aber das Problem liegt in den Ambitionen einiger Opponenten. Natürlich hat jeder das Recht individuell Ambitionen zu entwickeln, aber zuallererst sollten wir alle unsere Kräfte bündeln, um Syrien vor dem militärischen Unterdrückungsapparat zu retten. Unser Ziel ist es, das Regime von Bashar al-Assad in die Knie zu zwingen. Danach können die konkurrierenden politischen Kräfte sich in eine Debatte um eine Übergangsregierung und demokratische Wahlen stürzen. Meiner Meinung nach sollte allerdings niemand aus der Übergangsregierung auch in der neu gewählten Regierung dabei sein, um den aktuellen Wettbewerb zu entschärfen.

derStandard.at: Wer sollte in der Übergangsregierung sein?

Randa Kassis: Ich bin davon überzeugt, dass der säkulare Weg der beste wäre, um mehr als 50 Prozent der Bevölkerung zufriedenzustellen. Etwa 35 bis 40 Prozent der syrischen Bevölkerung setzt sich aus ethnischen und religiösen Minderheiten zusammen. Mindestens 15 Prozent der Sunniten wünschen sich ebenfalls eine säkulare Partei an der Macht. Natürlich muss diese säkulare Partei auch alle anderen Gruppen und Parteien akzeptieren. Aber wir sollten eine neue Verfassung bekommen, die den Wünschen und Erwartungen aller gerecht werden kann.

derStandard.at: Momentan wirkt es allerdings so, als würde sich Assad nicht so schnell von der Macht zurückziehen. Er beharrt immer noch auf der Sichtweise, dass die Demonstranten alle Kriminelle sind, die die innere Sicherheit gefährden.

Randa Kassis: Assad wird weder in naher noch in ferner Zukunft seinen Machtanspruch aufgeben. Reformprogramm kann er keines starten, weil er und seine Famile die korruptesten Personen weit und breit sind. Ich denke, dass alles mit dem Mut und dem Willen der Demonstranten steht und fällt. Nur sie können Syriens Weg in die Zukunft ebnen.

derStandard.at: Stecken die Demonstranten nicht einer Einbahnstraße? Kann es ohne internationale Hilfe weitergehen?

Randa Kassis: Ich denke, dass wir zwei Möglichkeiten haben, um das Regime zu stürzen. Die eine Möglichkeit wäre, dass einige Generäle die Macht ergreifen, zumindest für eine Übergangsphase, bis eine neue Regierung installiert werden kann. Der zweite Weg wäre, an die internationale Gemeinschaft zu appellieren, eine Militärintervention zu starten. Meiner Meinung nach sollten sich alle Opponenten schleunigst darauf verständigen, um einen internationalen Militäreinsatz anzusuchen. (mhe, derStandard.at, 29.9.2011)