Nur zwei Stunden islamischer Religionsunterricht pro Woche, und trotzdem so viel Wirbel. Die Schüler des Islamischen Realgymnasiums Wien (IRGW) verstehen nicht ganz, was daran so besonders sein soll.

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Ich würde dir ja die Kamera abknöpfen, aber die Journalistin ist da", sagt einer der Burschen auf dem Schulhof des Islamischen Realgymnasiums Wien (IRGW), einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht im 15. Wiener Gemeindebezirk, zum Fotografen. Die Kinder kennen das: Reporter, Kameraleute, Politiker - sie alle kommen, um sich ein Bild zu machen von der "türkischen Schule", sogar aus dem Ausland waren sie schon da.

"Muslim-Sightseeing" nennt Schuldirektor Ludwig Sommer das Phänomen. Auf dem Pausenhof drängen sich die Kinder, vielen geht die Aufmerksamkeit auf die Nerven. "Sollen wir sprechen gut Deutsch?", fragt ein anderer Bub mit bayrischem Akzent. Er kokettiert mit dem Migranten-Image der Medien und Parteiprogramme und wird wohl, wie die meisten der 270 Schüler, hier seine Matura ablegen. Zehn Nationen sind in dem unscheinbaren Gebäude untergebracht, über 60 Prozent kommen aus der Türkei. Sie alle sind Muslime. Nur vier der 34 Lehrer teilen ihren Glauben.

120 Euro Schulgeld zahlen die Eltern dafür, dass ihre Kinder unter ihresgleichen sind. Nicht wenig, wenn man sich die Liste der Berufe ansieht: Taxifahrer, Bauarbeiter, Kebap-Verkäufer - Akademiker sind die Ausnahme.

1999 startete das Schulprojekt, initiiert durch Kenan Ergün, einen der Religionslehrer. Jedes Jahr kamen die Behörden und überprüften die Abläufe, jedes Jahr erhielt das IRGW das Öffentlichkeitsrecht (siehe Wissen). Nun hat es den Status permanent.

Der Unterricht findet auf Deutsch statt, Arabisch und Türkisch wird als Freifach am Nachmittag angeboten - nicht aber in dem Ausmaß angenommen, wie es die Eltern gerne hätten.

Kampf um Anerkennung

Auch viele Integrationsexperten propagieren die Förderung der Muttersprache, damit eine Zweitsprache wirklich erlernt werden kann. Es ist auch die Argumentation von Verbänden, die die Errichtung von türkischen Schulen wollen. "Türkischunterricht sollte für türkische Kinder verpflichtend sein", findet Ercan Karaduman, Sprecher der Union of European Turkish Democrats Austria (UETD). In englischen oder französischen Schulen, wie etwa dem Lycée, sei die Fremdsprache auch Unterrichtssprache. "Wieso also nicht für Türken?"

Für Karaduman steht die Frage im Zentrum, warum die Forderung nach eigenen Schulen überhaupt besteht: "Diskriminierung von Migranten ist an öffentlichen Schulen keine Seltenheit." An einer türkischen Schule müssten die Kinder nicht ständig um Geltung und Anerkennung kämpfen, sondern könnten sich mehr auf den Unterricht konzentrieren. Das käme auch Österreich zugute, ist der in Wiener Neustadt geborene Türke überzeugt.

Direktor Sommer teilt die Forderung nach einer explizit türkischen Schule nicht. Türkisch könnte man grundsätzlich an jeder Schule anbieten. Die Schwierigkeit sei, die Schüler mit anderen Jugendlichen zusammenzubringen. Deswegen gibt es ein interkonfessionelles Fußballturnier, organisiert von Stefan Vukovits. Der Lehrer war zuvor am jüdischen Gymnasium tätig, seit sechs Jahren unterrichtet er Deutsch und Sport am IRGW.

Die Gefahr von Parallelgesellschaften sieht Sommer allenfalls als gegeben. Deswegen versuche er, die Kinder zu mehr Kontakten mit Nichtmuslimen anzuregen. Etwa, indem er Schularbeiten zu der Frage "Wie sind meine Nachbarn" aufgibt. Den Rückzug in Religiosität erklärt er sich mit einer ideellen oder gefühlsmäßigen Leere, die viele gläubige Muslime vorzufinden glauben. Die Diskussion um das Kopftuch sei eine emanzipatorische, viele würden das mit Glaubenskonfrontation verwechseln. Ausreden wie "Mein Kind hat schlechte Noten bekommen, weil es Kopftuch trägt", lässt er bei einem geplanten Schulübertritt nicht gelten. "Wir vermeiden eine Inselflucht von Muslimen." Gute Noten zählen ebenso wie an jeder anderen Schule.(Julia Herrnböck, DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2011)