Mexiko-Stadt - Bei Restaurantbesitzer Raul Trejo (Namen geändert) in Ciudad Juárez waren es vier Männer in einem Geländewagen, bullig, bewaffnet. Mit Kraftausdrücken machten sie ihm klar, dass er fortan Schutzgeld an sie bezahlen müsse, wenn ihm sein Leben und Laden lieb seien. Trejo zahlt - wie auch der Tortillabäcker am Straßenrand, die Blumenverkäuferin und der Taxifahrer.

"Was soll ich denn machen, die Polizei steckt doch mit denen unter einer Decke oder ist total unfähig", sagt er achselzuckend. Doch die Forderungen werden immer höher, die Gewinnspanne für die Unternehmer immer schmaler. Anwälte und Ärzte haben ihre Messingschilder längst abmontiert, viele Restaurant- und Nachtclubbesitzer ihre Läden dichtgemacht.

Schutzgelderpressungen haben in Mexiko sprunghaft zugenommen. 2002 registrierte die Bundespolizei 53 Fälle, 2008 waren es 50.000. Die Dunkelziffer dürfte ein Vielfaches betragen. Normalerweise schweigen die Opfer. Jetzt aber protestierten im einst mondänen Badeort Acapulco Tausende von Lehrern, weil sie in der Woche zuvor Drohbriefe erhalten hatten. "Ab dem 1. Oktober zahlt ihr uns 50 Prozent eures Gehalts. Wer das nicht will, soll abhauen, andernfalls geht es rund", stand in dem anonymen Brief. 140 Schulen schlossen. Am Mittwoch zeigte sich, dass die Drohung ernstgemeint ist: Die Erpresser legten vor einer Schule in Acapulco fünf abgetrennte Menschenköpfe ab.

Normale Kriminelle

So zieht der Drogenkrieg immer weitere Kreise der Gesellschaft in Mitleidenschaft. Der Regierung sind zwar einige große Fische ins Netz gegangen - übrig bleiben aber die untergeordneten Dealer, die gewaltbereiten Killerkommandos, die - wenn plötzlich wichtige Operateure und Drogenrouten wegfallen - ihr Heil in anderen Branchen des organisierten Verbrechens suchen.

Laut Bundespolizei handelt es sich bei der Mehrzahl der Erpresser um normale Kriminelle, Trittbrettfahrer, die sich die Panik der Bevölkerung zunutze machen. Mit Ausnahme der Zetas sind Schutzgelderpressungen auch nach Auffassung des Forschers Martin Barron vom Nationalinstitut für Strafrecht kein Markenzeichen der traditionellen Drogenkartelle. Deren Modus Operandi sei vielmehr, die lokale Bevölkerung mit wohltätigen Gaben für sich einzunehmen statt zu terrorisieren. (wss, DER STANDARD-Printausgabe, 29.9.2011)