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Akt über Salvatore "Lucky Luciano" Lucania, einer der bekanntesten italo-amerikanischen Mafiosi.

Foto: Bonhams/AP/dapd

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Giovanni Vitale, Mafia-Boss in Partinico nahe Palermo, Sizilien, bei seiner Festnahme. Einen Giovanni Vitale gab es auch in Detroit, er war einer der ersten Bosse der sizilianischen Cosa Nostra in Detroit.

Foto: EPA/FRANCO LANNINO

Die USA entwerfen einen Aktionsplan gegen die organisierte Kriminalität und Roberto Saviano spricht von einer „Revolution". Saviano, 1979 in Neapel geboren, ist der international wohl bekannteste Mafia-Experte. Grund ist sein 2006 publiziertes, verfilmtes und in viele Sprachen übersetztes Buch („Gomorrah") über die Camorra in seiner Heimat Kampanien. Seit dessen Publikation steht er auf der Todesliste der Camorra, er lebt unter ständigem Polizeischutz, kann keine zwei Tage am selben Ort verbringen. Der Aktionsplan der US-Regierung bezieht sich unter anderem auch auf die Camorra aus Savianos Heimat im Süden Italiens, die allmählich auch in den Vereinigten Staaten wieder zur Bedrohung wird.

Lange wurde ihr kaum Bedeutung beigemessen. Das lag vermutlich an der vergleichsweise größeren sizilianischen Cosa Nostra und kalabresischen 'Ndrangheta. Oder daran, dass der Einfluss der italoamerikanische Mafia in der vergangenen Zeit allgemein am Schwinden ist. Mit der Einführung des "Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act" (RICO) von 1970 verlor die Mafia in den Vereinigten Staaten zusehenden Auges ihre Macht. Der Rico Act ermöglichte im Falle eines von einer Einzelperson verübten Verbrechens die Klageerhebung gegen sämtliche Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Ein Instrument, mit dessen Hilfe eine große Reihe Mafiosi und Helfer eingesperrt und ganze Familien ausgelöscht wurden. Die Mafia aber ist eine Organisation, die nie ganz ausstirbt.

„Sie sind wieder da"

„Sie sind wieder da", schreibt Roberto Saviano in der aktuellen Zeit-Ausgabe und meint damit den Neuaufstieg der Camorra in den USA. Neben dem mexikanischen Los-Zetas-Kartell, der russischen Mafia-Bruderschaft und der japanischen Yakuza nannte die Regierung in Washington erstmals auch die in den vergangenen Jahrzehnten als kleine Nebenbuhlerin bekannte Mafia im selben Atemzug eine der vier gefährlichsten Verbrecherorganisationen für die wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten. Zuvor hatte sie die „Strategy to Combat Transnational Organized Crime" präsentiert, einen Aktionsplan gegen die international organisierte Kriminalität. Saviano kämpft alleine gegen die Camorra, die USA nun ganz offiziell.

Vorgestellt wurde der Aktionsplan erstmals Ende Juli in einer Pressekonferenz im Weißen Haus, an der unter anderem Justizminister Eric Holder, Heimatschutzministerin Janet Napolitano sowie Sicherheitsberater John Brennan teilnahmen. Eingeleitet wurde sie von einer Mitteilung Präsident Barack Obamas. „Die kriminellen Netzwerke weiten ihre Operationen über die nationalen Grenzen hinweg aus, ebenso ihre Tätigkeitsbereiche und werden insgesamt komplexer und raffinierter. Sie arbeiten sich mit korrupten Regierungselementen zusammen und nutzen ihren Macht und Einfluss, um ihre kriminellen Machenschaften voranzutreiben." Kurz, die organisierte Kriminalität sei am besten Weg, sich zum größten Problem der US-amerikanischen Wirtschaft hochzuarbeiten.

Anfänge der italoamerikanischen Mafia

Die italoamerikanische Mafia kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit den Scharen von italienischen Immigranten. Sie kontrollierten schnell ganze Viertel, hauptsächlich in New York und Chicago, aber auch in Philadelphia, Boston, New Orleans, Tampa, Dallas, Cleveland, Detroit, Buffalo oder Kansas City. Sie machten auf jene Weise Geld, mit der sie in ihrer Heimat groß geworden waren: sie erpressten Geld, für die Vermittlung von Jobs an neue Einwanderer, für den Schütz der Geschäfte. Die Prohibition, das Boomen des Schwarzmarktes, der Handel mit Drogen und Alkohol, leistete ungeheuren Vorschub und half der Mafia beim Einstieg in die Welt des organisierten Verbrechens.

Das FBI schätzt die Mitglieder aller vier Mafia-Organisationen in Italien (Camorra, Cosa Nostra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita) auf 25.000, hinzu kommen 250.000 Mitglieder auf der ganzen Welt. Über 3.000 Mafiosi und Mafiosi-Helfer sitzen laut FBI in den USA, mehrheitlich im Nordosten, im mittleren Westen, in Kalifornien wie auch im Süden des Landes. Die Zentren seien New York, New Jersey und Philadelphia, ihr Geld machte sie vor allem mit Geldwäsche und Drogen.

Guidos

Die fünf Familien, in die sich etwa die sizilianische Mafia in den 1930er Jahren aufgeteilt hat, gibt es immer noch. Die Familie Gambino, Genovese, Colombo, Lucchese oder Bonanno. Heute heißen sie nicht mehr so, alle fünf Familien mussten in den letzten Jahrzehnten starke Machteinbußen in Kauf nehmen. Die alten Traditionen aus der Heimat verschwimmen allmählich, der Kodex der Omertà, die Schweigepflicht, wird über Bord geworfen, wenn Hafterleichterungen entgegenwinken.

Vor allem New Yorks Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani tat sich als Mafia-Jäger hervor. Im Jänner diesen Jahres feierte man den letzten großen Schlag gegen die Mafia, der der kriminellen Organisation das Genick brach. 130 Mafia-Mitglieder wurden in New York, New Jersey und New England festgenommen.

„Was übrig blieb von der alten italoamerikanischen Mafia, ist eine Art Unterwelt, die aber mehr ästhetischen als realen Charakter hat", schreibt Saviano. „In den USA nennt man sie ‚Guidos‘: durchtrainierte, braun gebrannte Jungs mit protzigen goldenen Ringen und Ketten und gegeltem Haar, die ihre Gesichter beim Essen dicht über die Teller hängen und einen Slang reden, der sich nach italienischer Verballhornung anhört. Eine Mafia zum Vorzeigen: Es gibt sogar eine Reality-Show namens Mob Wives, die das Alltagsleben von vier italoamerikanischen Mafiosi-Frauen darstellt, deren Männer allesamt wegen Mafia-Verbrechen einsitzen." (fin, derStandard.at, 28.9.2011)