Nach der Gewalteskalation zwischen serbischen Hooligans im Nordkosovo und Soldaten der Schutztruppe Kfor hat Belgrad am Mittwoch die in Brüssel geplanten Gespräche mit Prishtina abgesagt.

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Prishtina/Belgrad - Die serbische Delegation hat nach den Krawallen am Dienstag im Nordkosovo den am Mittwoch in Brüssel geplanten Dialog mit den Kosovaren kurzfristig abgesagt und längerfristig auf Eis gelegt. Der zuständige EU-Vermittler Robert Cooper sagte: "Der Dialog wird fortgesetzt, wenn die serbische Seite bereit ist, sich wieder einzubringen." Serbien besteht darauf, dass zuvor die Situation an der Grenze im Norden gelöst werden muss.

Dies würde allerdings eine politische Einigung erfordern, die momentan nicht in Sicht ist. Serbien wird zudem im Oktober - auch jenseits der Kosovofrage - höchstwahrscheinlich den EU-Kandidatenstatus bekommen, das Land befindet sich auch im Vorwahlkampf, im Frühjahr wird ein neues Parlament gewählt. Trotz der Einigung auf den Zollstempel akzeptieren Serbien und die Kosovo-Serben jene Grenze nicht, die zwischen den serbisch besiedelten Gebieten im Nordkosovo und Serbien liegt.

Am Dienstag war es zur Eskalation gekommen, weil die EU-Mission Eulex beschlossen hatte, einen illegalen Grenzübergang, der von Serben errichtet worden war, um die beiden legalen und von der Eulex kontrollierten Grenzübergänge zu umgehen, zu schließen.

Die internationale Schutztruppe Kfor, die die Eulex beschützt, hatte deshalb diesen Grenzübergang in der Nacht verbarrikadiert. Lokale Serben - über mehrere illegale Grenzübergänge kommen Waren und illegal Benzin in den Kosovo - versuchten daraufhin die Straßensperre der Kfor mit einem Fahrzeug zu überwinden. 400 bis 500 Demonstranten versammelten sich am Übergang Jarinje. Gegen Mittag kam es dann zu dem Gewaltausbruch.

Gewehr entreißen

Gegen die Kfor sollen Handgranaten und Rohrbomben eingesetzt worden sein. Ein serbischer Hooligan versuchte einem der etwa 150 Kfor-Soldaten, einem US-Amerikaner, das Gewehr zu entreißen. Ein deutscher Kollege, der sich bedroht fühlte, begann zu schießen. Zunächst wurden Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt, erzählte Kfor-Kommandant Erhard Drews wenig später in Prishtina. Drews legt wert darauf, dass die Kfor nur reagiert habe. Bei dem Vorfall wurden drei Soldaten und etwa ein Dutzend Serben verletzt. Einer liegt mit einem Durchschuss des Oberschenkels im Spital.

Während die Kosovo-Serben im Norden sich einerseits durch Barrikaden quasi selbst einsperren, versuchen sie andererseits alle Anläufe Prishtinas, mithilfe von Kfor und Eulex Rechtsstaatlichkeit einzuführen, zu unterbinden. Die Hooligans, so Drews, eine kleine gewaltbereite Gruppe, sei erst später zur serbischen Demonstration am Dienstag gestoßen.

In Serbien löst der Vorwurf, "serbische Extremisten" seien schuld an dem Gewaltausbruch und Belgrad am Abbruch der Gespräche mit Prishtina, blanke Empörung aus. "Kfor schoss mit scharfer Munition auf Serben", "Sie schossen, um mich zu töten", "Wir verteidigen Serbien bis zum Tod", titelten serbische Zeitungen. Präsident Boris Tadiæ verurteilte "die Anwendung der Gewalt gegen die Bürger im Kosovo". Die Kfor sei im Kosovo, um "unbewaffnete Bürger zu beschützen", und nicht um sich mit ihnen anzulegen, erklärte er. Die Serben im Kosovo mahnte Tadiæ sich bei Provokationen zurückzuhalten.

Der serbische Innenminister Ivica Daèiæ sprach von einer "Schande" für die internationale Gemeinschaft. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow protestierte. Kfor-General Drews forderte eine politische Lösung und warnte vor jedem weiteren Schritt seitens Prishtina, den Nordkosovo unter Kontrolle zu bringen. Ganz anders Premierminister Hashim Thaçi, der "sehr bald" auch kosovarische Gerichte im Norden aktivieren will. Thaçi machte am Dienstag auch klar, dass er gegen einen Sonderstatus für den Norden sei, der über den "Ahtisaari-Plan", der eine weitreichende Selbstverwaltung der Gemeinden vorsieht, hinausgeht.

Der österreichische Verteidigungsminister Norbert Darabos, der am Dienstag ebenfalls vor Ort war, betonte, dass die Vorfälle gezeigt hätten, dass die militärische Mission, an der auch 600 Österreicher beteiligt sind, nicht beendet werden könne. (von Adelheid Wölfl und Andrej Ivanji/DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2011)