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Mustafa Ait Idir ist einer von zwei Ex-Guantanamo-Häftlingen, denen respekt.net helfen möchte.

Foto: Reuters/Krstanovic

Die Idee, einen Copyshop aufzumachen, entstand im Rahmen des Menschenrechts-Filmfestivals "This Human World" im Dezember 2010, gemeinsam mit Manfred Nowak (li.) und Wolfgang Petritsch (re.).

Foto: This Human World

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Ait Idir ist Vater von mittlerweile vier Söhnen. Die Familie lebt von etwa 150 Euro im Monat, die Ait Idirs Frau verdient, und einigen Gelegenheitsjobs.

Foto: Reuters/Krstanovic

Die ehemaligen Guantanamo-Häftlinge Mustafa Ait Idir und Hadj Boudella saßen sieben Jahre lang unschuldig im US-Gefangenlager auf Kuba. Drei Jahre nach ihrer Freilassung bekommen sie immer noch keinen Job, keine Kompensation, stehen vor dem finanziellen Ruin.

Durch das Engagement von Manfred Nowak, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, und Wolfgang Petritsch, österreichischer Botschafter bei der OECD in Paris, gibt es nun Hoffnung für die beiden: Über die Projekt-Plattform respekt.net und ihr Spendensystem soll ein Copy-Shop für die beiden finanziert werden. Roland Schmidt, der das Projekt für das Boltzmann-Institut betreut, sprach mit derStandard.at über die Unfassbarkeit, "dass es ein bescheidenes Projekt wie unseres braucht, damit man diesen Leuten hilft."

Unschuldig in Guantanamo

Mustafa Ait Idir und Hadj Boudella, bosnische Staatsbürger algerischer Herkunft, waren 2001, bald nach den Anschlägen vom 11. September, gemeinsam mit vier anderen Männern ("Algerian Six") verhaftet worden, weil sie angeblich Anschläge auf die US-amerikanische und die britische Botschaft in Sarajevo planten. Drei Monate saßen sie in Untersuchungshaft, dann entschied der Oberste Gerichtshof der kroatisch-bosniakischen Föderation, es gäbe keine Beweise, um die sechs Männer weiter festzuhalten. 

Doch bevor sie frei kamen, wurden sie an die amerikanischen Truppen übergeben, die damals im Rahmen der SFOR in Bosnien und Herzegowina stationiert waren, und nach Guantanamo gebracht, wo sie schweren physischen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt waren. 2007 erhielten die "Algerian Six" Zugang zum so genannten Haftprüfungsverfahren vor einen unabhängigen Zivilgericht ("habeas corpus"), das Guantanamo-Insassen bislang verwehrt gewesen war und eine der wichtigsten Entscheidungen hinsichtlich der Rechte von Guantanamo-Häftlingen darstellt. Das Haftprüfungsverfahren stellt fest, ob für eine Inhaftierung ausreichend Gründe vorliegen. Die gab es in den Fällen von Ait Idir, Boudella und drei weiteren Bosniern nicht und ihre sofortige Freilassung wurde angeordnet. Ende 2008 konnten Ait Idir und Boudella nach Bosnien zurückkehren - genauso wie sie nach Guantanamo gekommen waren: gefesselt, mit verbundenen Augen und Gehörschutz.

Ohne Job aus Angst vor radikalen Islamisten

Die USA weigern sich weiterhin, für entlassene Guantanamo-Häftlinge Entschädigungszahlungen zu leisten. Für Ait Idir und Boudella gab es eine einmalige Kompensation von ihrer Heimatstadt Sarajevo. "Doch die war marginal", sagt Roland Schmidt, "wenn es tausend Euro waren, war es viel." Das war vor drei Jahren. Heute sind beide immer noch ohne fixen Job. Hadj Boudella gehe fast gar nicht mehr aus dem Haus, erzählt Schmidt. Ait Idir sei der aktivere Typ, bemühe sich um Gelegenheitsjobs.

Warum die beiden keine feste Anstellung finden, obwohl sie gut ausgebildet sind, lasse sich laut Schmidt nicht nur auf die allgemein hohe Arbeitslosigkeit in Bosnien zurückführen, sondern auch auf die Angst der bosnischen Bevölkerung vor radikalen Islamisten. Während des Bosnienkrieges waren  Muhajedin aus dem Nahen Osten und dem Maghreb nach Bosnien gekommen und mit ihnen ein radikalerer islamischer Einfluss, den es vorher in Bosnien nicht gab. Deshalb halte sich in der bosnischen Öffentlichkeit hartnäckig das Vorurteil, "wer in Guantanamo war, muss ja irgendwie ein Taliban sein oder Al-Kaida angehören."

Projekt Copy-Shop

Wolfgang Petritsch und Manfred Nowak bekleideten zur Zeit der Auslieferung hohe Ämter in Bosnien - Petritsch war Hoher Repräsentant der Internationalen Staatengemeinschaft, Nowak Richter der Internationalen Menschenrechtskammer. Beide hatten versucht, die Auslieferung zu verhindern und waren gescheitert, der Fall ließ sie über die Jahre hinweg nicht los. Sie wollen Wiedergutmachung leisten, obwohl es von ihnen eigentlich nichts wiedergutzumachen gibt.

Petritsch hatte sich auch nach seinem Mandat als Hoher Repräsentant in Bosnien intensiv für die Freilassung der Bosnier eingesetzt. Nowak war als UN-Sonderberichterstatter über Folter immer wieder mit dem Fall von Ait Idir und Boudella konfrontiert. Gemeinsam griffen sie Ait Idirs und Boudellas Wunsch, einen Copyshop gründen zu wollen, auf. Ait Idir hat sich bereits über Bedarf, Maschinen und Preise informiert und ein potenzielles Geschäftslokal ausfindig gemacht. Dem Team erschien ein Copy-Shop als plausible Möglichkeit, ein nachhaltiges Einkommen für die beiden Männer zu generieren, berichtet Projekt-Betreuer Roland Schmidt.

Gesamte Spendensumme muss zusammenkommen

Seit Juli ist auf respekt.net der Projektplan einsichtig, genau wie bei einem Businessplan sind alle Ausgaben aufgelistet, die notwendig sind, um den Copy-Shop adäquat auszurüsten. 24.330 Euro sollen aufgebracht werden, etwas mehr als ein Drittel ist schon durch Spenden hereingekommen, hauptsächlich von Privatpersonen, denn die Idee hinter respekt.net ist, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren. "Wenn sich die Leute die Zeit nehmen und sich mit der Geschichte beschäftigen, ist es nicht schwer zu erkennen, wie ungerecht das Ganze ist und dass man da irgendetwas tun muss," ist Schmidt überzeugt. "Man hat hier die Möglichkeit, mit einem sehr kleinen Beitrag etwas ganz Konkretes gegen die Konsequenzen des 'War on Terror' zu leisten."

Die Mindestspende beträgt zehn Euro und Roland Schmidt hofft, dass der noch offene Betrag bis Anfang nächsten Jahres zusammenkommt. Denn falls nicht die gesamte Summe aufgebracht werden kann, wird den Spendern das Geld gar nicht abgebucht, das Projekt wäre zum Scheitern verurteilt.

Das wäre fatal, denn Hadj Boudella und mittlerweile auch Mustafa Ait Idir würden zunehmend depressiver, erzählt Roland Schmidt, ihre Hoffnung schwinde und sie fragen sich: „Wie kann denn das sein? Ich bin sieben Jahre lang unschuldig in Guantanamo, komme frei, kriege keinen Job und keiner unternimmt etwas." Das Projekt Copy-Shop würde den beiden wieder eine Perspektive geben, nicht nur finanziell. Und es wäre endlich eine Anerkennung, ein wichtiger Schritt in Richtung Wiedergutmachung für das Unrecht, das ihnen geschehen ist. (Sandra Eigner, derStandard.at, 27.9.2011)