Wir müssen Silvio Berlusconi von der Macht verjagen. Und zwar sofort.

Berlusconi hat Italien von Anfang an geschadet. Er stieg überhaupt erst in die Politik ein, um sich und seine Getreuen vor schädlichen Gerichtsprozessen zu schützen. Als Premierminister maßschneiderte er Gesetze im Interesse seiner Firmen. Er verpasste es, das Land wirtschaftlich zu modernisieren. Und immer wieder blamierte er Italien mit seinen sexuellen Eskapaden und peinlichen Witzen.

Langsamer und unberechenbarer

Die zwei Jahrzehnte, die Berlusconi die politische Landschaft Italiens überragte, waren deshalb verlorene Jahre für das Land. Italiens Wirtschaft ist heute weniger dynamisch als sie es 1992 war. Das Rechtssystem ist noch langsamer und unberechenbarer. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt noch höher. Nord und Süd sind sich noch fremder. Die Mafia, Camorra und 'Ndrangheta sind immer mächtiger. Ja, nicht einmal die Steuern sind für Durchschnittsitaliener merkbar niedriger.

Berlusconi war also von Anfang an eine Katastrophe für sein Land. Trotzdem hat sich die Situation innerhalb des letzten Jahres so sehr verschlimmert, dass sein weiteres Verbleiben nun sofortigen und irreparablen Schaden anrichten würde. Denn in den letzten Monaten geriet Italien in eine akute Schuldenkrise. Ohne eine entschlossene Regierung, die mit kluger Hand einen Bankrott abwendet, wird Rom sich in das nächste Athen verwandeln - und der Euro in Klopapier, denn nicht einmal der gestern weiter aufgestockte Rettungsfonds EFSF würde einer Pleite Italiens standhalten.

Gerade während dieser kritischen Monate hat sich Berlusconi nun aber noch schockierendere Sexaffären, noch ernsthaftere Schwierigkeiten mit der Justiz und noch fundamentalere Streitigkeiten innerhalb seiner Regierungskoalition geleistet. Nur so zum Beispiel: In derselben Woche, in der Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit Italiens zurückstufte, wurde bekannt, dass Berlusconi sich damit brüstete, nur in seiner Freizeit - also in den wenigen Stünden, die er nicht mit, Zitat: "meinen Tussen" verbringt - an sein Amt zu denken. Kein Wunder, dass die internationalen Finanzmärkte ihm nicht über den Weg trauen. Wenn clevere Finanzjongleure heute darauf wetten, dass Italien bald in Zahlungsschwierigkeiten geraten wird, liegt dies schlicht und einfach auch daran, dass Berlusconi noch immer an der Macht ist.

Merkel und Sarkozy sollten Berlusconi zum Rücktritt auffordern

Die einzige Hoffnung für Italien, und für den Euro, ist deshalb eine schnelle Ablösung Berlusconis durch einen überparteilichen Premierminister. Jemand wie Mario Draghi, der Gouverneur der italienischen Zentralbank, wäre fähig und willens, die nötigen Schritte zu Schuldenabbau und Wirtschaftswachstum zu wagen.

Aber Berlusconi, mit dessen Arbeit mittlerweile weniger als ein Viertel aller Italiener zufrieden ist, wird nicht von selber zurücktreten. Und da seine Partei zu einem Diktatörchenwahlverein verkommen ist - und viele Parlamentsabgeordnete gut an ihrer Zweitbeschäftigung bei Berlusconis Firmen und Zeitungen verdienen - wird der Impuls zu seiner Machtablösung wohl von außen kommen müssen.

Zum Glück aber gibt es dafür ein einfaches Szenario. Momentan kann sich Italien nur deshalb im nötigen Umfang Geld leihen, weil die Europäische Zentralbank in Milliardenhöhe italienische Staatsanleihen aufkauft. Um Berlusconi von der Macht zu jagen, müssten die Regierungschefs der sonstigen Euroländer also einfach nur zusammen vor die Kameras treten und ihm zum sofortigen Rücktritt auffordern. Sonst, so würden Angela Merkel und Nicolas Sarkozy drohen, werden Italiens europäische Partner sich weigern, weitere italienische Staatsanleihen zu kaufen.

Berlusconi ist eine tickende Zeitbombe

Viele Italiener würden uns einen solch Schritt danken. Aber diese - zugegebenermaßen drastische - Einmischung ist nicht nur berechtigt, weil sie für Italien gut wäre. Nein, sie ist einfach die logische Konsequenz daraus, dass es jetzt im sofortigen Eigeninteresse aller Euroländer liegt, Berlusconi schnellstmöglich von der politischen Bühne zu zerren.

Bisher mussten sich die italienischen Wähler dafür schämen, Berlusconi so lange toleriert zu haben. Falls wir nicht bald handeln, werden auch wir bald guten Grund haben, uns ein wenig zu schämen. Vor allem aber werden wir dann die Folgen mit auslöffeln müssen - denn Berlusconi ist eine tickende Zeitbombe für den Euro, und ein Auseinanderbrechen des Euros wäre auch für die deutsche Wirtschaft fatal. (Yascha Mounk, derStandard.at, 27.9.2011)