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Verdienen die Reichen was sie verdienen wird immer öfter gefragt?

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Peter Mooslechner: Es gibt Kulturen, die sich sagen, eigentlich ist alles ungerecht, was ungleich verteilt ist.

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Rund um eine Vermögensabgabe für Begüterte ist nicht nur in Österreich wieder einmal eine heiße Debatte entbrannt. Während die einen eine so genannte Reichensteuer als "Enteignung" betrachten, ist es für die anderen nur recht und billig, dass die Wohlhabenden einen "gerechten" Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Aber was ist gerecht? Eine Einschätzung, die in jeder Gesellschaft anders ausfällt, wie OeNB-Direktor Peter Mooslechner im Interview erklärt.

derStandard.at: Die Vermögenssteuer wurde in der Antike erfunden. Sie wurde sowohl im Römischen Reich als auch in Athen eingehoben. Und immer noch sorgt sie für solchen Aufruhr. Wie erklärt sich das?

Peter Mooslechner: Vermögensteuern haben eine lange historische Tradition quer über unterschiedlichste gesellschaftliche Strukturen – bis hin zum jährlichen "Verschenken" der Vermögenswerte in amerikanischen Indianerkulturen oder bei karibischen und ozeanischen Völkern. Diese Tradition hat sich auch im liberalen ökonomischen Denken fortgesetzt, z.B. bei John Stuart Mill. Insbesondere weil der Utilitarismus in der Vermögenshaltung keinen direkten eigenständigen Nutzen erkennt. Die Probleme ergeben sich aus der unterschiedlichen Gewichtung von gesellschaftlichen Wertprinzipien wie Gleichheit, Leistung und Gemeinschaft und aus unterschiedlichen Eigentumsverständnissen. In vielen Ländern – ausgeprägt etwa in den USA – gibt es auch klare Mehrheiten in der Bevölkerung, die pro Vermögenssteuern sind.

derStandard.at: Den Stein ins Rollen brachte jüngst wieder einmal Warren Buffet mit seinem Aufruf: "Tax the Rich". Kann man ganz grob in Zahlen fassen, wie Vermögende in den USA besteuert werden im Vergleich zu Vermögenden hierzulande?

Mooslechner: Im internationalen Vergleich sind in den USA vor allem Erbschafts- und Grundsteuern recht hoch. Vermögensbezogene Steuern – in der Definition internationaler Organisationen – machen in den USA rund elf Prozent der Gesamtabgaben aus, in Österreich weniger als zwei Prozent. Aber ökonomisch macht es wenig Sinn, solche Vergleiche nur auf Teile der Abgabenbelastung abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild aus Steuern, Steuerbefreiungen, Abgaben und vor allem auch ausgabenseitigen staatlichen Geld- und Sachleistungen.

derStandard.at: Und wie sieht es da aus?

Mooslechner: Das wird international nicht vergleichbar gemessen. Die kulturellen Einstellungen in den einzelnen Ländern sind jedenfalls ganz unterschiedlich. In Skandinavien sind die Abgabenquoten bekanntlich sehr hoch. Das führt allerdings zu keinen Problemen, weil die Menschen sich sagen, dass sie dafür die gesamten staatlichen Leistungen wie Gesundheits- oder Bildungssystem in Anspruch nehmen können und das ist ihnen wichtig.

derStandard.at: Die dortige Bevölkerung empfindet also, dass sie mit ihren Abgaben etwas finanziert, wovon sie profitiert?

Mooslechner: Ganz genau. In den angelsächsischen Ländern gibt es eher einen starken Druck, die Abgabenquote so niedrig wie möglich zu halten. Das hat wieder Verteilungskonsequenzen, die in den einzelnen Kulturen auch wieder unterschiedlich gesehen werden.

derStandard.at: Wie sieht es ökonomisch aus?

Mooslechner: Ökonomisch gibt es das so genannte Leistungsfähigkeitsprinzip. Das heißt, dass Leute mit höherem Einkommen und Vermögen mehr beitragen sollen, als Leute mit niedrigem Einkommen und Vermögen.

derStandard.at: Wo ordnen wir uns diesbezüglich in Österreich ein?

Mooslechner: Die letzte umfassende Studie zu diesem Thema liegt schon etwas zurück und bezieht sich auf das Jahr 2005. Damals wurde vom Wifo versucht, die gesamten Abgaben und Leistungen gegenüber zu stellen. Das Ergebnis war im Wesentlichen, dass das österreichische Steuersystem wenig umverteilend ist, weil die Sozialabgaben und die indirekten Steuern die unteren Einkommen überdurchschnittlich treffen. Die Umverteilung findet eher bei den Staatsausgaben statt, etwa durch Transfers wie Arbeitslosenunterstützung, Familienbeihilfe etc., aber hauptsächlich durch die so genannten Realleistungen wie etwa Zugang zu Bildung oder Gesundheit. Davon profitieren eben auch die unteren Einkommensschichten. Wir haben kein so egalitär ausgerichtetes System wie die skandinavischen Staaten, aber auch keine angelsächsischen Verhältnisse. Wir liegen irgendwo in der Mitte.

derStandard.at: In Österreich wurde die Vermögenssteuer vom sozialdemokratischen Finanzminister Ferdinand Lacina Anfang der 1990er Jahre mit der Begründung abgeschaft, dass von dieser Abgabe vor allem Unternehmen betroffen waren. Welche "Modelle" gibt es für eine solche Abgabe? Ein paar EU-Staaten haben sie ja noch.

Mooslechner: Die alte österreichische Vermögenssteuer wurde vor allem deswegen abgeschafft, weil ihre konkrete Konstruktion in vieler Hinsicht keine effektive und ökonomisch sinnvolle Besteuerung ermöglichte. Sachlich sinnvolle Modelle der Vermögensbesteuerung gibt es viele, entscheidend ist jedoch, ob man eine allgemeine persönliche Vermögenssteuer gesellschaftlich und politisch akzeptiert. Es gibt ja international viele verschiedene vermögensbezogene Steuern – von Erbschafts- über Grund- bis hin zu Kraftfahrzeug- oder Hundesteuern – die in vielen Fällen mehr oder weniger problemlos eingehoben werden. Hauptproblem einer generellen Vermögenssteuer ist offensichtlich das Wie der Vermögensdefinition und der Steuereinhebung. Mindestens in der Grund- und Immobilienbesteuerung gäbe es jedenfalls ausreichend internationale Modelle und in Österreich sicherlich Nachholbedarf – wie von internationalen Organisationen regelmäßig angemerkt.

derStandard.at: Reiche verdienen nicht, was sie verdienen, sagen die Befürworter einer neuen Vermögensabgabe. Wer definiert überhaupt Reichtum?

Mooslechner: "Verdienen", wie das Wort schon ausdrückt, bezieht sich als Begriff eigentlich auf Arbeitseinkommen und hat nicht direkt mit Vermögen zu tun. Das illustriert schon einen wesentlichen Teil der Verwirrung, dass in der Diskussion nicht zwischen "hohen Einkommen" und "hohen Vermögen" unterschieden wird, bzw. das sogar implizit gleichgesetzt wird. So wie Armut wird Reichtum individuell sehr verschieden verstanden; diese ökonomisch zu definieren macht gesellschaftlich deshalb nur relativ Sinn, wofür es in der wissenschaftlichen Literatur auch Usancen gibt. Laut Brockhaus ist "Reichtum" ein Vermögensbegriff, man sollte ihn deshalb auch anhand des Vermögens definieren und analysieren.

derStandard.at: Im internationalen Vergleich erheben zum Beispiel Deutschland, aber auch Österreich nach OECD-Zahlen sehr geringe vermögensbezogene Steuern. Wenn man verschiedene Systeme vergleicht – was hat man wann als gerechten Anteil empfunden?

Mooslechner: Das lässt sich sicher nicht generell beantworten und hat sich historisch stark gewandelt. Man kann aber schon den Eindruck gewinnen, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine Akzeptanz stärkerer Ungleichheit herausgebildet hat – nicht nur in den Industrieländern, sondern etwa auch in Osteuropa und in China. Die aktuelle Krise, die in vielen Dimensionen eine Verteilungskrise ist, scheint das nun aber zu ändern und macht Ungleichheit wieder zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Thema.

derStandard.at: Teilen Sie die Einschätzung, dass in Österreich rund 100.000 größere Immobilieneigentümer, darunter 35.000 Euro-Millionäre von einer neuen Abgabe nach dem Faymann'schen Konzept betroffen wären?

Mooslechner: Die hinter solchen Zahlen stehende Individualisierung der Verteilungsproblematik halte ich für unwichtig und für unseriös. Es geht bei allen diesen Fragen zunächst um ein ökonomisch fundiertes Konzept und seine realistische Umsetzung, inklusive Bewertungsproblemen, Ausnahmen und Freibeträgen. Wie viele Leute dann davon betroffen sein werden, ergibt sich daraus und ist sicherlich eine politische Frage, sollte aber nicht bestimmend für die Konzeption sein.

derStandard.at: Eine Studie der Nationalbank besagt, dass die obersten zehn Prozent der Bevölkerung 92 Prozent des österreichischen Gesamtvermögens halten. Fallen wir in Österreich in irgendeiner Weise mit dieser Verteilung auf?

Mooslechner: Für die seriös relevanten Daten halte ich, dass die obersten zehn Prozent der Vermögensbesitzer beim Immobilienvermögen über 61 Prozent und beim Geldvermögen über 54 Prozent verfügen. Allerdings gibt es zum Nettovermögen, also abzüglich der Verschuldung, derzeit leider noch keine ausreichenden Daten. Und auch internationale Vergleiche sind derzeit nicht seriös möglich, weil es keine harmonisierten Vermögensdaten gibt. Deshalb sind geld- und wirtschaftspolitisch wissenschaftlich fundierte Erhebungen wie die von der EZB initiierten sehr wichtig, an denen die OeNB mitarbeitet. Entsprechende Ergebnisse werden aber frühestens in einem Jahr vorliegen.

derStandard.at: Eine so genannte Reichensteuer wäre laut Kritikern eine administrativ komplizierte und insgesamt eher schlechte Methode zum Sammeln von Geldern. Vermögende schultern ohnedies den höchsten Steueranteil. Kann man umreißen, wie sich die Vermögensbesteuerung im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt hat?

Mooslechner: Wie die Fragestellung bereits illustriert, lassen sich alle diese Argumente ideologisch vielfältig instrumentalisieren. Die Geschichte vom "höchsten Steueranteil" bezieht sich allein auf die Einkommensteuer. Bezieht man Sozialabgaben und indirekte Steuern mit ein, ergibt sich durch die Höchstbemessungsgrundlage in der Sozialversicherung und durch den hohen Mehrwertsteueranteil bei den niedrigen Einkommen ein deutlich anderes Bild. Das hat aber alles noch nichts mit Vermögensbesteuerung zu tun. Und nimmt man den Punkt ernst, dass die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit in Österreich das eigentliche Problem darstellt, wird man wohl – bei Aufkommensneutralität – um grundsätzlichere Strukturänderungen im österreichischen Steuersystem nicht herumkommen.

derStandard.at: Die meisten Staaten hatten ja eher wenig Ertrag bei der Einhebung einer Vermögenssteuer.

Mooslechner: In Zeiten wie diesen ist wenig eigentlich auch schon hilfreich. Wenn man bedenkt, dass bei Ausgaben oft um wenige Millionen gestritten wird... Bei einer Vermögensbesteuerung geht es, auch wenn man an sehr niedrige Steuersätze denkt, doch um ein paar hundert Millionen. Wenn man sich einig ist, dass die Belastung des Faktors Arbeit jedenfalls reduziert wird, muss man sich eben überlegen, wie man das kompensiert. Von einer allgemeinen Steuersenkung ist unter den momentanen budgetären Bedingungen ja eher keine Rede.

derStandard.at:
Ein oft genannter Begriff in der derzeitigen Debatte um eine Vermögenssteuer ist die Enteignung. Ist so gesehen nicht jede Steuer eine Enteignung?

Mooslechner: Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass jede Steuer eine "Enteignung" ist. Wenn man das tut, stellt man aber die Grundlage für die Bereitstellung gesellschaftlicher Kollektivgüter – von Sicherheit und Justiz über Bildung bis zu Gesundheit – infrage. Sicherlich kann man so ein Gesellschaftsbild haben, es stellt aber wohl eher eine ideologische Extremposition dar. Im liberal-utilitaristischen Weltbild wird Vermögensbesteuerung demgegenüber als Anreiz zur ökonomisch sinnvollen Nutzung von Vermögen gesehen, Ertrag zu erzielen.

derStandard.at: Gibt es ein gerechtes Steuersystem?

Mooslechner: Das hängt wohl von den Vorstellungen ab, was in einer Gesellschaft als gerecht angesehen wird. Wie gesagt, in manchen Kulturen geht man sogar davon aus, dass eigentlich alles ungerecht ist, was ungleich verteilt ist. Dort trifft man sich einmal im Jahr, feiert ein großes Fest und dann werden die Güter an alle Mitglieder in der Gesellschaft wieder gleich verteilt und man ist zufrieden. Das ist aber offensichtlich nicht ganz die Vorstellung von Gerechtigkeit, die wir in den Industrieländern heute kennen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 26.9.2011)