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Freitag in Paris: Muslime beten auf der Straße. Nun sollen sie in die Kaserne gehen.

Foto: Reuters/Platiau

Als Ersatz bietet sie in Paris eine alte Militärkaserne. Bloß wird auch dort unter freiem Himmel gebetet.

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Wie ausgestorben liegt die Straße des Anstoßes da, der Ort der "Teppich-Invasion" , an dem sich die Gemüter der Nation erregten. In der Rue de Polonceau im 18. Stadtbezirk von Paris, wo gläubige Muslime freitags die Gebetsteppiche auf den Pflastersteinen ausrollten, weil die Moschee viel zu klein ist, herrscht jetzt friedvolle Stille. Sogar die unübersehbaren Zivilpolizisten flüstern nur in ihr Mikro im Handballen.

Um die Ecke diskutieren ein paar Männer vor dem verschlossenen Portal der Moschee. Einer erklärt, die Regierung habe das Freitagsgebet vor allen französischen Moscheen vor ein paar Tagen verboten; den hiesigen, landesweit umstrittenen Gebetsort haben sie zur Sicherheit gleich mit geschlossen. Warum denn?, will ein Afrikaner wissen. "Wegen Marine Le Pen!" , ruft ein Jugendlicher, die Friedhofsruhe unterbrechend.

Die Präsidentin des rechtsextremen Front National bezeichnete das Beten unter freiem Himmel seit langem als unvereinbar mit dem Laizismus - und verglich es gleich mit der Besatzung durch die Nazi-Truppen. Acht Monate vor den Präsidentschaftswahlen nimmt Präsident Nicolas Sarkozy den Ball nun auf und sprach gleich ein Verbot aus. Der junge Marokkaner wendet bitter ein: "In meinem Land werden den Christen und Juden auch keine Beschränkungen auferlegt. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, dass ich nicht lache."

Warten auf die Moschee

Ältere Moscheebesucher zeigen indessen Verständnis für den Regierungsbeschluss: "Wir wollen gar nicht draußen beten, im Regen und im Winter schon gar nicht" , meint einer. Die hiesige Moschee sei zu klein und baufällig (ein provisorisches Wellblech überspannt das Dach) und gehöre ausgebaut. "Da könnt ihr lange warten" , wendet ein Auswärtiger ein. "In meinem Vorort im Süden von Paris warten wir seit 23 Jahren auf eine Baubewilligung für eine Moschee!"

In Paris und Marseille hat die Sarkozy-Regierung Ersatz für das Gebetsverbot in der Straße zur Verfügung gestellt. Ein Zettel an der Moscheetür weist darauf hin, dass das Gebet drei U-Bahn-Stationen weiter stattfinde, am Boulevard Ney. Dorthin pilgert nun die kleine Gruppe, über die Ringautobahn und vorbei an zwanzigstöckigen Wohntürmen und dem Straßenstrich. Destination ist eine leer stehende Militärkaserne an dem Boulevard, der nach einem Marschall Napoleons benannt ist.

Es ist 13 Uhr, eine Stunde vor Gebetsbeginn, und Männer in Dschellabas und roten Armbinden weisen die zahlreichen Gläubigen ein. An einem Stand erhalten sie Feigen und Milch. Im ersten Hangar blättert die Farbe und funkeln ein paar neue Wasserhähne: Das ist der Waschraum der neuen Moschee.

Ansonsten ist nichts neu auf dem abgewirtschafteten Areal, auf dem noch Holzpaletten mit Ladungen voll Rübenpulver herumstehen - sowie die obligaten Polizisten mit Markenzeichen Sonnenbrille. Die Gebetsteppiche überdecken die behelfsmäßig gestopften Löcher im Boden. Die islamische Kultusgemeinde zahlt dem Staat dafür eine Monatsmiete von 2500 Euro - bis der von Afrikanern bewohnten Nordteil von Paris eine richtige Moschee erhält. Marine Le Pen protestierte, der Mietzins sei viel zu tief, doch der neue Moschee- oder Kasernen-Chef Scheich Salah Hamza, an seiner leuchtend roten Krawatte zu erkennen, fordert sie freundlich auf, den heruntergekommenen Ort zu besuchen. Ein junger Ägypter meint ebenfalls: "Ihr habt Kathedralen, wir werden in Kasernen zusammengepfercht."

Mittlerweile ist es 14 Uhr, alle Hangars, untereinander mit Lautsprechern und dem Podium des Imams verbunden, sind voll. Hastig werden Teppich herangeschafft und im Sonnenschein ausgerollt. An die 5000 Muslime dürften schließlich anwesend sein. Fast die Hälfte betet im Freien, wo jeder Quadratmeter besetzt ist. Das erste richtige Freitagsgebet in der Kaserne - nach einem Versuchslauf vor einer Woche - ist ein Erfolg, wie auch Innenminister Claude Guéant zufrieden feststellt. Geregelt ist damit aber nichts. Laut dem muslimischen Kultusrat Frankreichs (CFCM) gibt es in Paris nur 13.000 Gebetsplätze in den Moscheen; der Bedarf sei hingegen doppelt so hoch. Aber auf dem Boulevard Ney vor der Kaserne hat es noch viel Platz zum Beten. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2011)