In dem riesigen unterirdischen INFN Gran Sasso Labor in den italienischen Abruzzen wurden die in CERN losgeschickten Neutrinos nachgewiesen. Verblüffenderweise waren sie um durchschnittlich 60 Nanosekunden kürzer unterwegs als erwartet.

Foto: CERN/Istituto Nazionale di Fisica Nucleare

Genf/Hamburg - "Dieses Resultat ist eine komplette Überraschung", meint Antonio Ereditato, Professor für Hochenergiephysik an der Universität Bern und Leiter des OPERA-Projekts am Kernforschungszentrum CERN bei Genf. Was die Wissenschafter so sehr verblüffte, ist ein Messergebnis, das an den Grundfesten der Physik rüttelt: Es scheint, als waren Neutrinos, die im Rahmen des OPERA-Experiments in CERN losgeschickt wurden und nach einer 730 Kilometer langen Reise durch die Erde schliesslich in einem Untergrund-Labor in den Bergen bei Rom ankamen, rund 0,025 Promille schneller unterwegs als das Licht. Nach Albert Einsteins Relativitätstheorie ist die Lichtgeschwindigkeit eine unüberwindliche Grenze - bisher wurde sie in keinem Experiment durchbrochen.

"Falls diese Messungen bestätigt werden, könnten sie unsere Sicht auf die Physik verändern", erläuterte CERN-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci. "Aber wir müssen sicher sein, dass es keine anderen, banaleren Erklärungen gibt. Das erfordert unabhängige Messungen."

Bei dem OPERA-Experiment spähen Physiker im unterirdischen INFN Gran Sasso Labor in den italienischen Abruzzen nach den winzigen Elementarteilchen, die Materie praktisch widerstandslos durchdringen können. Das Projekt wurde 2006 gestartet, um die Umwandlung von verschiedenen Neutrino-Typen ineinander zu beweisen - was den Forschenden aus der Kollaboration von 13 Ländern auch gelang; letztes Jahr wurde die Verwandlung von Müon-Neutrinos in Tau-Neutrinos nachgewiesen.

60 Nanosekunden schneller als erwartet

Die Strecke, die die Neutrinos zwischen CERN und dem Labor in den Abruzzen zurücklegen, ist nach CERN-Angaben auf 20 Zentimeter genau vermessen. Die rund 2,4 Millisekunden lange Flugzeit lasse sich auf 10 milliardstel Sekunden (Nanosekunden) genau bestimmen. Die Forscher haben die Flugzeit von rund 15.000 Neutrinos gestoppt und damit eine relativ hohe statistische Sicherheit erreicht. Die geisterhaften Elementarteilchen scheinen demnach im Mittel rund 60 Nanosekunden früher aufzutauchen als erwartet.

Noch sind die Forscher noch weit davon entfernt, in den Beobachtungen eine Verletzung von Einsteins Relativitätstheorie zu sehen. "Dieses Ergebnis kann große Auswirkungen auf die geltende Physik haben - so groß, dass zurzeit eine Interpretation schwierig ist. Weitere Experimente für die Bestätigung dieser Daten müssen unbedingt folgen.", betonte Ereditato. Möglich ist etwa, dass ein - trotz intensiver Suche - unentdeckter systematischer Fehler die Abweichung der Messwerte verursacht. Auch andere physikalische Erklärungen sind denkbar.

Diskussion der Ergebnisse in der Fachöffentlichkeit

"Nach vielen Monaten Analyse und Prüfung haben wir keinen Instrumenten-Effekt gefunden, der die Messergebnisse erklären könnte", schränkte Ereditato ein. In der Hoffnung auf eine Erklärung wollen die Forscher die Beobachtungen daher jetzt in der Fachöffentlichkeit diskutieren und haben sie dazu im Internet veröffentlicht.

"Obwohl wir eine niedrige systematische Unsicherheit und eine hohe statistische Genauigkeit erreicht haben und großes Vertrauen in unsere Resultate haben, begrüßen wir es, sie mit denen anderer Experimente zu vergleichen", betonte Opera-Physiker Dario Autiero. (red/APA)