Die Grafik gibt die vom Umweltsatelliten Envisat gemessene mittlere troposphärische Säulendichte von Stickstoffdioxid (NO2) zwischen 2003 und 2006 wieder. Wissenschafter rund um den Umweltphysiker Steffen Beirle vom Max-Planck-Institut für Chemie nutzten spektroskopische Satellitenaufnahmen zur Ermittlung von NOx-Konzentrationen über Großstädten.

Foto: Max-Planck-Institut für Chemie/Satellite Group

Mainz / New York - Ob Moskau, Los Angeles, oder Teheran: Überall auf der Welt sind Metropolen Hotspots der Luftverschmutzung. Oft liegen die Großstädte gar unter sichtbaren Abgaswolken. Stickstoffoxide, chemisch NOx, machen einen wesentlichen Anteil dieses schwebenden Drecks aus. Sie entstehen bei Verbrennungsprozessen. Autos sind wichtige NOx-Schleudern.

Wie viele Abgase aber der Verkehr und auch die zahllosen heimischen Herde in Megastädten tagtäglich in die Luft blasen, ließ sich bislang nicht genau ermitteln. Es gibt Modellrechnungen, basierend auf Statistiken und Messungen, doch ihre Genauigkeit lässt sehr zu wünschen übrig. Zu komplex sind vor allem die chemischen Prozesse in der Atmosphäre.

NOx hat zum Beispiel eine variable Lebensdauer. In sauberer Luft wird es nach etwa einem Tag in Salpetersäure (HNO3) umgewandelt. Unter Großstadtbedingungen dagegen überdauern Stickstoffoxide nur ein paar Stunden.

Der Hintergrund: Organische Luftschadstoffe führen in mehreren Reaktionsketten zur Bildung von Ozon, und dieses baut später indirekt NOx ab. Diese Umwälzungen bereiten den Wissenschaftern Kopfzerbrechen, denn sie sind von vielen komplexen Faktoren abhängig.

"Wenn ich aber wissen will, wie viel NOx, produziert wird, muss ich auch wissen, wie die Lebensdauer ist", betont der Umweltphysiker Steffen Beirle vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz im Gespräch mit dem STANDARD. Reguläre Messungen zeigen nämlich Konzentrationen an, doch man wisse nicht, über welche Zeiträume diese auf- und wieder abgebaut werden.

Satellit registriert Tageslicht 

Dieses Problem hat Beierle nun zusammen mit einem deutsch-niederländischen Wissenschafterteam zumindest zu einem Großteil gelöst (Science Vol. 333, S. 1737). Die Wissenschafter nutzten spektroskopische Satellitenaufnahmen zur Ermittlung von NOx-Konzentrationen über Großstädten.

Der Clou dabei ist: Die Satelliten registrieren das natürliche Tageslicht, welches von der Erde reflektiert wird. Darin sind allerdings bestimmte Wellenlängen abgedunkelt. Sie werden zuvor von den unterschiedlichen Luftschadstoffen absorbiert.

So hinterlässt jede Luftverschmutzung im Licht quasi einen ganz spezifischen Fingerabdruck. Das Verfahren ist nicht ganz neu. Was Steffen Beirle und seine Kollegen jedoch erstmalig machten, ist das Hinzuziehen von Wind-Messdaten.

Dadurch konnten die Forscher den Transport von NOx durch die Luft von der Quelle bis zum Punkt X bei gleichzeitiger Konzentrationsverringerung beobachten, und daraus wiederum ließ sich die Abbaurate ermitteln.

Das Team testete sein Verfahren zuerst anhand von Datenmaterial aus der Troposphäre über der saudiarabischen Hauptstadt Riad. Aufgrund ihrer isolierten Lage und relativ monotonen Windverhältnisse ist diese Metropole hervorragend geeignet. Anschließend wandten die Experten ihre Methode auch auf Messwerte aus Moskau, Madrid und anderen Städten an.

Die Ergebnisse der Berechnungen zeigen meist gute Übereinstimmungen mit bestehenden Kalkulationen, aber nicht für Riad. Dort scheint der NOx-Ausstoß circa dreimal höher zu sein, als bisher gemeldet wurde. Ein bemerkenswertes Resultat.

"Wir haben jetzt endlich eine unabhängige Methode, um Emissionen und Lebensdauer von Stickstoffoxiden zu quantifizieren", meint Steffen Beirle. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.09.2011)