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Werden die weißen Arztkittel in Österreich bald einsam am Haken hängen?

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Für Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer ist der Turnus keineswegs mehr zeitgemäß

Foto: Ernest Pichlbauer

Das Medizinstudium in der Mindestzeit von sechs Jahren schaffen nur wenige. Jörg Eichinger (41), Internist, Kardiologe und Oberarzt der Sportmedizin am Salzburger Landeskrankenhaus benötigte für seinen Abschluss sieben Jahre. Danach folgten 36 Turnusmonate, macht also in Summe zehn Jahre bis er das "jus practicandi" - wie die Berechtigung zur selbständigen Berufsausübung als Allgemeinmediziner im Fachjargon genannt wird- erhielt. Danach verstrichen weitere fünf Jahre bis zum Facharzt. "Meine Turnuszeit war ganz gut" erzählt Jörg Eichinger. Das liegt allerdings rund zwölf Jahre zurück und scheint in der gegenwärtigen Diskussion nicht mehr als eine Reminiszenz an bessere Zeiten zu sein, denn "der medizinische Nachwuchs ist der Bürokratie ziemlich ausgesetzt", erklärt der Oberarzt aus Salzburg.

Prekäre Arbeitsbedingungen

Niedrige Löhne, ausgedehnte Arbeitszeiten, Nachtdienste und unterfordernde Tätigkeiten - das sind immer häufiger jene Ingredienzien, die für so manchen Studienabgänger der Medizin den Traumjob "Arzt" während der Turnusjahre zum Alptraum werden lassen. Den Grund dafür sieht der Gesundheitsökonom und Systemkritiker Ernest Pichlbauer (42) im finanziellen Druck, der in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. "Die Folge war, dass man die Turnusärzte immer mehr als billige Arbeitskräfte gesehen und auch so eingesetzt hat", ist Pichlbauer überzeugt.
Für ihn macht der Turnus nicht nur in seiner heutigen Form, sondern generell schon lange keinen Sinn mehr. "Denn diese Art der Ausbildung stammt aus den 1960er-Jahren und hätte spätestens in den 1980ern geändert werden müssen. Dass wir dieses System bis in das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts tragen konnten, ist schon eine beachtliche Dummheit der Politik", so die Kritik des Gesundheitsökonomen.

Forderung nach neuen Konzepten

Weniger drastisch sieht das Oberarzt Eichinger, der den Turnus nicht per se für schlecht hält. "Er muss aber mit einem sinnvollen Leistungs- und Lernzielkatalog ausgestattet sein, zu dem sich die einzelnen Abteilungen verpflichten und in dem auch Weisungen wie, dass das Pflegepersonal für die Blutabnahmen zuständig ist, enthalten sein sollten", ergänzt der Salzburger. Auch dem Vorschlag der Ärztekammer, zur Entlastung der Turnusärzte Dokumentations- und Administrations-Assistenten einzusetzen, kann Eichinger etwas abgewinnen. Immerhin schätzt er den Anteil von administrativen Tätigkeiten für Turnusärzte zwischen 70 bis 80 Prozent. "Von einem Acht-Stunden-Tag verbringt der ärztliche Nachwuchs etwa sechs Stunden vor dem Computer und ist mit dem Verfassen von Dokumentationen und Arztbriefen beschäftigt. Zudem wälzt das Pflegepersonal Tätigkeiten auf die Turnusärzte ab, da sich diese in der Hierarchie am untersten Ende befinden".

Notwendige Zusatzqualifikationen

Jungmediziner sind aber nicht mehr zwingend auf den Turnus angewiesen, denn das berufliche Spektrum erweitert sich und Verwaltung, "Public Health", Forschung, Pharma, Medizintechnik sowie Biotechnologie eröffnen neue - mitunter lukrative - Betätigungsfelder. Pichlbauer warnt allerding vor übereilter Euphorie, denn seiner Meinung nach "hat man mit einem österreichischen Medizinstudium außer im Krankenhaus nur einen geringen Marktwert, auch wenn die Praxisnähe durch das neue Curriculum verbessert wurde". Er empfiehlt deshalb parallel zum Fach Medizin ein Wirtschaftsstudium zu belegen oder sich zur Verbesserung der Wissenschaftskompetenz in Forschergruppen zu organisieren. "In Deutschland ist die Ausbildung deutlich wissenschaftlicher, wodurch etwa ein Fünftel der Absolventen bereits in Beratungs- und Forschungseinrichtungen tätig ist", erläutert der Gesundheitsökonom.

Wer sich dennoch für den Turnus in Österreich entscheidet, dem empfiehlt Eichinger, die Zeit in einem kleinen Krankenhaus zu absolvieren. "Denn dort werden angehende Mediziner mehr gefordert eigene Entscheidungen unter ärztlicher Aufsicht zu treffen".

Ärztemangel durch attraktive Angebote aus dem Ausland

In einem Punkt sind sich die beiden Experten einig: Sollte sich an der Ausbildungsstruktur nichts ändern, droht Österreich in naher Zukunft ein Ärztemangel. "Man merkt bereits jetzt, dass die Turnusbesetzungen immer schwieriger werden. Nicht zuletzt deshalb, weil Jobangebote aus Deutschland und der Schweiz, die mit besserer Ausbildung und Bezahlung österreichische Ärzte ködern, immer häufiger zu finden sind", so Jörg Eichinger. Ein ähnliches Szenario entwirft Systemkritiker Ernest Pichlbauer: "Mittlerweile erkennen auch die Turnusärzte die schlechten Perspektiven in Österreich. Deshalb werden immer mehr von ihnen ins Ausland gehen, um dort ihre Ausbildung zu machen und bald werden Turnusärzte Mangelware sein!" (Günther Brandstetter, derStandard.at, 26.9.2011)