Einen Erfolg kann dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, niemand mehr wegnehmen: Die Frage der palästinensischen staatlichen Souveränität steht, nachdem jahrelang so getan worden war, als sei dafür ewig Zeit, ganz oben auf der internationalen Agenda. Auch viele jener Akteure, die sich gegen Abbas' Marsch durch die Uno-Institutionen aussprechen, betonen, dass man den Palästinensern Perspektiven geben muss: und zwar nicht für dieses und jenes, sondern für ihre Eigenstaatlichkeit.

So gesehen hat Abbas nur zu gewinnen, wenn er fünf vor zwölf seine Absicht zurückzieht, im Uno-Sicherheitsrat den Antrag auf die Vollmitgliedschaft des Staates Palästina zu stellen - oder auch wenn er ihn dort deponiert, aber dann "ruhen" lässt: Denn wenn er die USA - nach ihrem eigenen Verständnis - dazu "zwingt" , ein Veto einzulegen, so ist das eine Kampfansage. Und wenn es den USA tatsächlich gelingt, im Uno-Sicherheitsrat die nötigen Stimmen gegen den Antrag der Palästinenser zustande zu bringen, und sie ihr Veto gar nicht einsetzen müssen, dann ist der diplomatische Schaden für die Palästinenser groß: Nicht mehr die USA, sondern die "internationale Gemeinschaft" hätte dann die Anerkennung Palästinas verhindert.

Fast alle sind sich einig darüber, dass man den Palästinensern für einen etwaigen Verzicht "etwas geben" müsste. Die EU bemüht sich seit Monaten um eine Erklärung des Nahostquartetts (EU, USA, Uno, Russland), in der inhaltliche und zeitliche Parameter für israelisch-palästinensische Verhandlungen festgelegt würden. Dieser neuen Chance auf eine ausgehandelte Einigung zuliebe, so der EU-Wunsch, sollten die Palästinenser den Showdown im Sicherheitsrat und den Gang danach in die Generalversammlung zumindest einmal aufschieben.

Zwei Kräfte im Nahostquartett zerren in völlig unterschiedliche Richtungen: die USA, die seit Monaten verhindern, dass Israel in der Erklärung auf etwas festgenagelt wird, was es nicht will - und nicht akzeptieren würde -, und Russland, das eine Erklärung überhaupt für redundant hält. Mit der diplomatischen Glaubwürdigkeit der EU steht es nicht zum Besten, denn sie scheint vor allem deshalb dafür zu kämpfen, Abbas aufzuhalten, um nicht selbst Position beziehen zu müssen - denn sie hat keine (einheitliche). Als Garant für die Umsetzung eines Nahostquartett-Papiers nimmt die EU auch niemand wirklich ernst - aber dieses Schicksal teilt mittlerweile auch US-Präsident Barack Obama mit ihr.

Das heißt: Es wird ein Nahostfriedensprozess vorbereitet, an den niemand recht glaubt, um das, was diesen Freitag in der Uno passieren könnte, hinauszuschieben. Wenn sich Abbas darauf einlässt, ist ihm internationale Dankbarkeit erst einmal sicher. Im Westjordanland wird es Frustration und Enttäuschung geben, aber mit Engelszungen redend wird Abbas die Palästinenser davon überzeugen, dass sich ein Aufschub lohnt.

Wenn das dann jedoch nicht der Fall ist, wenn sich herausstellt, dass die Palästinenser in eine Falle gegangen sind - wenn in neuen Verhandlungen, wie das letzte Mal, wieder darüber gesprochen wird, worüber überhaupt gesprochen werden darf -, dann wird der Preis umso höher sein. Das sollten alle Beteiligten wissen. Es kann nicht nur darum gehen, Abbas zu stoppen. Es geht um einen neuen ernsthaften Versuch einer Zweistaatenlösung. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2011)