Angelik Douri (li.) und Chrissa Parashaki sehen in ihrer Heimat Griechenland keine Zukunft mehr und arbeiten in Istanbul.

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Athen/Istanbul - Zwei "höllische Monate" hat Finanzminister Evangelos Venizelos den Parlamentariern seiner Partei, der sozialistischen Pasok, vorausgesagt. Noch mehr Verhandlungen mit der EU und Hoffen auf den neuen Rettungsschirm EFSF. Dann sei Griechenland auf dem Weg der Erholung. Doch außerhalb des Parlaments sieht alles anders aus.

Vor allem die jungen Griechen glauben an keinen Kalender mehr. "Viele sind verzweifelt. Die kommen hierher und sagen: Ich will einfach nur raus", erzählt Alexander Roggenkamp, Büroleiter des deutschen akademischen Austauschdienstes Daad in Athen.

Griechenland erlebt gerade eine Auswanderungswelle. Es ist nicht die erste, die das Volk an der Ägäis durchmacht. Seit der Gründung des Nationalstaats vor 200 Jahren haben immer wieder Hunderttausende der Heimat den Rücken gekehrt, weil sie keine Chancen bot. Vor dem Ersten Weltkrieg gingen sie in die USA, nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien, während des Ölschocks 1973 war das Ziel Deutschland. Jetzt macht sich die "Generation Staatsbankrott" auf den Weg. Mit 16 Prozent hat die Arbeitslosenrate den Stand der frühen 70er-Jahre erreicht.

Wie lange die Krise noch dauert? "Fünf bis zehn Jahre", sagen Angeliki Douri und Chrissa Parashaki, zwei 29-jährige Griechinnen, die schon länger in Istanbul leben und dort ihre Muttersprache unterrichten. Zu viel Zeit, um im Land der Sparpakete und Straßenproteste auszuharren. "Meine Eltern waren nicht glücklich, dass ich in die Türkei gegangen bin", sagt Chrissa, Ressentiments gegen den früheren Erzfeind halten sich. "Doch seit einigen Monaten sagen sie, ich soll besser dort bleiben." Drei Stunden Autofahrt und ein oft leerer Grenzübergang liegen zwischen ihrer Heimatstadt Alexandropolis und Istanbul.

"Es gibt keine Zukunft", meint Angeliki Douri, die aus Santorin stammt. "Viele meiner Freunde von der Uni sind arbeitslos und denken ans Auswandern. Aber sie haben kein Geld, suchen Stipendien." Dann kommen sie zu Roggenkamp. Mediziner etwa, die ei- ne Facharztausbildung suchen. In Deutschland fehlen 5000 Ärzte - das Land spricht nun griechische und spanische Mediziner an.

"Es ist eine Situation, die uns zugute kommt, die uns aber auch traurig macht", sagt Roggenkamp. "Es sind junge, überdurchschnittlich gute Leute, die das Land verlassen." Manche sind auch erst 17. Die kommen dann meist in Begleitung der Mutter, um sich über das Studium im Ausland zu informieren. Medizin, Jus, Ingenieurswesen sind ihre Interessen.

Jorgos Papaspyrou ist ein solcher Ingenieur. Er hat im September 2010 die Koffer gepackt, als klar wurde, dass die Krise viel größer war als angenommen. Ein Jahr lang hat er in England ein Aufbaustudium als Mechanik-Ingenieur absolviert. Der britische Markt sei größer, biete mehr Chancen, sagt Papaspyrou, der sich in Griechenland mit einer eigenen Consulting-Firma im Ölsektor versucht hatte. Hier liegt auch der Unterschied zu früheren Auswanderungswellen, sagt er: "Griechenland wird jetzt hochqualifizierte Kräfte exportieren wie Zahnärzte oder Ingenieure, die zwei Fremdsprachen sprechen. In den 70er-Jahren hatte die Mehrheit der Emigranten keine Ausbildung."

Im Oktober kommt das australische Einwanderungsbüro nach Athen, organisiert eine Anwerbemesse. Eine Liste mit 300 Berufen, in denen Fachkräfte fehlen, haben die Beamten dabei. Für die Griechen schließt sich ein Kreis. Australien, so sagen sie, sei ohnehin die größte griechische Insel. (Markus Bernath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.9.2011)