Selbstbewusst präsentierte sich der türkische Staatspräsident Abdullah Gül beim Staatsbesuch in Deutschland als Vertreter einer wirtschaftlichen Großmacht. Und tatsächlich ist das starke Wirtschaftswachstum, das die Türkei seit mehreren Jahren erlebt, eines der Quellen für die offensive und oft auch aggressive Politik, die die Regierung Erdogan gegenüber der EU, Israel und dem Rest der Welt fährt.

Aber so sehr man die ökonomischen Reformen in der Türkei der letzten Jahre bewundern muss, so skeptisch müssen die mittelfristigen Aussichten des Landes eingeschätzt werden. Denn das türkische Wirtschaftswunder steht auf tönernen Füßen – auf einer massiven privaten Verschuldung und einem horrenden Leistungsbilanzdefizit.

Der anatolische Tiger droht damit den Weg der asiatischen Tigerstaaten und des keltischen Tigers Irland zu gehen – zum Abgrund einer Finanzkrise.

Der Economist hat im Juni die Temperatur der Schwellenländer gemessen, und ist dabei bei der Türkei auf eine 80 Prozent Wahrscheinlichkeit einer krisenhaften Entwicklung gekommen. (Das Risiko in Brasilien, Hongkong Indien, Indonesien und Vietnam ist demnach genauso hoch, nur in Argentinien noch höher).

In zwei der wichtigsten Kategorien steht die Türkei am schlechtesten da: Beim Kreditwachstum (24 Prozent höher als das nominale BIP-Wachstum in dern vergangenen 12 Monaten) und dem Leistungsbilanzdefizit, das heuer bei katastrophalen acht Prozent des BIP steht.

Das heißt, die Türken - trotz ihrer vielen erfolgreichen Industrieunternehmen - konsumieren viel mehr als sie produzieren, kaufen die Waren aus dem Ausland und nehmen Schulden auf, um dies zu bezahlen. Und ihre Gläubiger sind nicht etwa andere Türken, sondern ausländische Investoren, die freigiebig Geld hergeben, weil die türkische Wirtschaft angeblich so toll ist.

Das geht solange gut, bis ein kleiner Anlass einen Stimmungsumschwung einleitet. Dann werden die ausländischen Gelder abgezogen, dann krachen die türkische Lira und die Istanbuler Börse, und dann setzt im stolzen Land der große Katzenjammer ein.

Zwar ist das türkische Budgetdefizit relativ niedrig und soll heuer unter drei Prozent liegen. Aber dafür explodiert die Verschuldung von Unternehmen und privaten Haushalten. Das gefährdet wiederum die türkischen Banken, die unter einem viel zu laxen Aufsichtsregime agieren und offenbar viel zu viele fragwürdige Kredite vergeben.

Und vergessen wir nicht: Auch Irland und Spanien hatten vor 2008 kaum ein Haushaltsdefizit und nur geringe Staatsschulden.  Doch wenn im privaten Sektor eine Blase platzt, nützt einem die vorsichtige Fiskalpolitik nur wenig.

Die türkischen Zahlen sind so Besorgnis erregend, dass es erstaunlich ist, dass es sowenige warnende Stimmen gibt. Aber wir wissen, wie die Euphorie für die nächste tolle Anlagechance die Vernunft außer Kraft setzt. Das war bei Internet-Aktien genauso wie bei  CDOs, und trifft jetzt auch auf die Türkei zu.

 Wenn es eines Tages so kommt – wann, lässt sich nie voraussagen – dann wird das massive Auswirkungen auf Innen- und Außenpolitik haben. Ob Premier Recep Tayyip Erdogan  und seine AKP noch so populär sein werden, wenn die Arbeitslosigkeit wächst und das Einkommen des neuen Mittelstandes schrumpft, ist äußerst fraglich.

Und auch die neue Großmachtpolitik der Türkei wird kaum noch funktionieren, wenn das Land in einer anhaltenden Wirtschaftskrise steckt.

So sehr man den Türken wünschen würde, dass es ihnen weiterhin von Jahr zu Jahr besser geht – aus weltpolitischen Gründen wäre ein Dämpfer gar nicht so schlecht.