Queer Film Festivals, die einen breiter gefächerten Blick auf Facetten des geschlechtlichen Lebens werfen als der Kino-Mainstream, gehören vielerorts schon zu lieb gewonnenen alljährlichen Ritualen.

Wien macht es, nach einer einjährigen Pause, nun wieder möglich - 'identities2003' errichtet von 5. bis 12. Juni seinen filmischen Regenbogen vom Filmcasino zum Schikaneder Kino.

Von hcl
Foto: Wash Dark Colours Separately (Chee M. Lam, AUS01, 11.6., 20:00F)
(Anm.: F=Filmcasino, S=Schikaneder)

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Und dass die Tore auch für das breite Publikum weit offen stehen, belegt schon die Eröffnungsgala mit Julie Johnson (Bob Gosse, US01, 5.6., 20:30, Gartenbau):

In einer konsequenteren Abwandlung von Gus van Sants Good Will Hunting entdeckt Lily Taylor als New Yorker Vorstadt- Hausfrau ein wissenschftliches Riesentalent in sich - und ihr Begehren für die beste Freundin, mit Lässigkeit und großem Gusto verkörpert von Rockerin Courtney Love: eine gutmütige Romantic Comedy um Klassen- und Familienverhältnisse, die mittendrin zu ein paar innigen Minuten an Verbal-Erotik abhebt.

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Fröhliche Turbulenzen auch aus Spanien: Susan Seidelmann, die einst mit Desperately Seeking Susan den Pop-Mythos Madonna mitkreierte, schickt nun in Gaudi Afternoon / Tardes de Gaudí (E/US01, 9.6., 20:00F) Judi Davis als Detektiv-Autorin durch ein Barcelona voller Jugendstil und Überraschungen - letztere durch Lily Taylor und Juliette Lewis.

Und Jungstar Leonor Watling muss wie ihre Schwestern verwirrt feststellen: A mi madre le gustan las mujeres / My Mother Likes Women (Daniela Fejerman, Inés Paris, '02, 8.6., 20:00F) - Auftakt zu einer leicht beschwingten Suche nach Identitäten, ein familiärer Reigen stets ein wenig "am Rande des Nervenzusammenbruchs".

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Auf Turbulenzen, wo eigentlich Klärendes geplant war, stößt man bei einem Glanzlicht des Festivals, der norwegischen Dokumentation Alt om min far / All About My Father ('02; 7.6., 20:00F). Regisseur Even Benestad will darin das Verhältnis zu seinem Vater Esben klären, einem anerkannten Kleinstadt-Arzt und - als "Esther Pirelli" - einer der bekanntesten Transvestiten des Landes. Buntes Super-8, dokumentierendes Schwarzweiß, färbig schillernde Traumsequenzen, hartnäckig bleibender Widerstand bei Tochter und erster Gattin, zunehmende Verwirrung beim Sohn, bei der zweiten Gattin und schließlich beim Protagonisten selbst - am Ende scheint viel möglich.

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Aus der Schweiz, einem weiteren im allgemeinen eher mit Biedersinn verknüpften Land, kommen zwei auffällige Transgender-Beiträge: Pierre-Alain Meier erzählt in seinem Road-Movie Thelma, das zur Musik von Calexico bis nach Kreta führt, von der wechselvollen, stetig wachsenden Faszination eines Taxilenkers für die transsexuelle Titelheldin ('01, 10.6., 18:00F).

Und mit den medial bislang weit weniger ins Rampenlicht gehievten "Drag Kings" (Frauen, die in Optik und auch per Körpersprache gern in Männerrollen schlüpfen) macht die dokumentarische Revue Venus Boyz (Gabriel Baur, CH/D/US01, 8.6., 18:30S) bekannt.

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Schrulligkeit nicht ohne gewissen Retro-Touch aus Deutschland: Herr Schmidt und Herr Friedrich (Ulrike Franke, Michael Loeken, '01, 9.6., 20:30S) zeigt eine den Eisernen Vorhang überwindende Love Story - zueinander und zur Welt unfreiwillig schräger Schlagermusik (der sich dann auch eine DJ-Line widmet). Jochen Hick führt mit Ich kenn keinen - Allein unter Heteros in eine genuine Spießerhochburg; doch der Schwarzwald hält positive Überraschungen parat ('03, 6.6., 22:30S). Beständigkeit in Schrillheit wie Engagement unterstreicht schließlich Rosa von Praunheim mit seinem Porträt eines Berliner Szene-Starquartetts, Tunten lügen nicht ('02, 11.6., 18:00F).

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Wie mehrfach in letzter Zeit betont Italiens Autorenkino großen Willen zum detailgenauen Blick auf mittelständische Gefühlssphären. Der unauffällige Plot von Giorni, dem Spielfilmdebüt der gelernten Dokumentaristin Laura Muscardin ('01, 6.6., 22:00F), birgt die Gefahr des übersehen Werdens - was schade wäre: Wie ein eleganter Bankbeamter mit einer dank viel Disziplin unter Kontrolle gehaltenen HIV-Infektion noch einmal in das Gefühl einer rücksichtslos freien Affäre eintaucht, besticht gerade durch seine Dezenz, durch die Alltäglichkeit von Büro, Strandhaus, Arztpraxen und Manierlichkeiten.

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Poetischer Realismus hingegen aus Mexiko: Julián Hernández hat Mil nubes de paz cercan el cielo, amor, jamás acabarás de ser amor ('03, 10.6., 22:00F) nach einem Gedicht von Pasolini betitelt und führt folgerichtig in Schwarz- Weiß in raue Megacity-Vorstädte. Echte Exotik liegt näher: Ein Schwerpunkt widmet sich dem Ex-Ostblock, sei es mit der US-Doku The Fall of Communism as Seen in Gay Pornography (William E. Jones, '98, 9.6., 22:30S), sei es mit einem Porträt eines bulgarischen Friseurs, Sivot e prekrasen, nali? / Ist das Leben nicht wunderbar? (Svetoslav Draganov, '01, 9.6., 22:30S), sei es mit einem sensiblen Fundstück aus der Breschnew-Ära, Chuzhie Pisma (Ilya Averbakh, '75, 10.6., 22:30S)

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Und auch zwei Exponenten eines dezidiert "jungen Kinos" kommen aus dem Osten: Mit einem bizarr feindseligen Gebräu aus Wohnungsnachbarn hat es ein junges lesbischen Paar in Zagreb zu tun - in Dalibor Matanic' für den Auslandsoscar nominierter kroatischer Groteske Fine mrtve djevojke / Fine Dead Girls ('02, 12.6.,18:00F).

Weit kontroversieller wurde in Tschechien Wiktor Grodeckis Drama Mandragora ('97, 7.6., 22:30S) aufgenommen, erzählt er jedoch von einer Szene-Welt, die viele gerne verstecken würden - von Knabenstrich und schwuler Pornographie mitten im dem Tourismus gewidmeten Zentrum von Prag.

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Neuland betritt das Festival auch mit einem Schwerpunkt zum Nahen Osten, auch dank tradierter Macho-Attitüden ein weltpolitischer Dauerbrenner: Recht glamourös und zugänglich konzipiert, erzählt Eytan Fox in Yossi & Jagger von der Romanze zweier israelischer Soldaten ('02, 8.6., 22:00F) - ein riesiger Kassenschlager daheim.

Wechsel über Landesgrenzen in eine Welt drohender Todesstrafen, versteckter Subkulturen und entsprechend intimerer Filme: Transsexualität im Iran erhält etwa durch Moravid in Mitra Farahanis Kurzdoku Juste une femme (F01, 12.6., 18:30S) ein Gesicht; ergänzend dazu Interviews aus der US-Diaspora in I exist.

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Weiter mit der Reise: Während im fernöstlichen Raum (beispielsweise in Thailand) eine Toleranz in Gender-Fragen in gewissen Grenzen kulturell etabliert ist, verlaufen die Frontlinien am indischen Subkontinent härter. Ein inhaltlich spannendes Drama kommt mit Asoka Handagamas Tani tatuwen piyabanna / Flying with One Wing aus Sri Lanka ('02, 9.6., 22:15F): Wie Manju, um allgegenwärtiger Unterdrückung auszuweichen, als Mann getarnt in einer provinziellen Autowerkstätte arbeitet, bis ihr Geheimnis nach und nach entdeckt und eine Leichtigkeit des Daseins bedroht wird - das belohnten Festivals von Toronto bis Singapur mit Preisen.

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In Australien mit Sidney als "San Francisco down under" als Zentrum hat sich schon länger eine stabiles Umfeld für Gay Movies etabliert. Von identities-Stammgast Tony Ayres kommt nach einigen Dokus (etwa China Dolls) mit dem Gruppenporträt Walking on Water nun das Spielfilmdebüt('02, 11.6., 22:00F): ein dichtes Ensemble an Emotionen nach einem Todesfall.

Ein heterogener Block aus Kurzfilmen ergänzt einen kleinen "Down under"-Schwerpunkt, in Clayton Jacobsons Tanaka etwa mit der häufig präsenten bikulturellen Thematik ('01, 11.6., 20:00F).

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Aber auch das klassisch poppige "Szene-Produkt" aus dem nordamerikanischen Underground findet sich im Programm: Unterstützt durch einen Soundtrack aus Dance, TripHop und Easy Listening führt Noam Gonicks trashiger Hey, Happy! in eine exzentrische kanadische Kleinstadt mit ihrer Dauerparty ('01, 6.6., 18:30S).

Nervöse Paranoia macht hingegen einen Reiz des New Yorker Stadtlebens aus; und so speist sich Jon Shears konstruierter Urbania (2000, 12.6., 20:00F) aus Noir-Posen und zahlreichen "Urban Legends".

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Tradition hat auch bereits das (wie zumindest die Firma Mattel es bisweilen sieht) "Zweckentfremden" des Barbie-Puppen-Clans für parodistische Handlungen: Mit der Multi-Gender- Pornographie-Satire Barbie también puede estar triste / Barbie Can Also Be Sad (2001) liefert die Argentinierin Albertina Carri nun wohl einen Gipfel an Rüdheit ab. Zu begutachten am 8.6. um 14:00(F) im Rahmen eines achtteiligen Sammelprogramms zu "Queer Animation", das freich etwa mit Schwules Leben für Anfänger (Annabelle Wick, D02, r.o.) oder Sexy (US01) von Tom Whitman, Dustin Woehrmann auch leichtere Ironie aufbietet.

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Ein eigener Festival-Schwerpunkt gilt dem heiklen und immer wieder mal gespenstischen Themenfeld von Homosexualität und Glaube. Doppelmoral kann schreiend sein, belegt etwa Arthur Dong in seiner Studie zu amerikanischen Family Fundamentals (US02, 8.6., 20:30S). Oder erdrückend, wie die norwegische Fallstudie BE - Skitne, syndige meg / Dirty sinful me (Trond Winterkjaer, Jan Dalchow, 2000, 6.6., 20:30S) über die Tragik eines jungen Zerrissenen zeigt. Bisweilen befreiend, wie die römische Kollision von "Heiligem Jahr" und "Gay Pride" in The Devil in the Holy Water (Joe Balass, CAN/I01, 9.6., 18:30S).

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Ermunterung und Vorbildhaftigkeit sind ein naheliegender Teil des Programms: Gewürdigt wird etwa von Deborah Dickson die Beharrlichkeit eines langjährigen Pärchens bürgerlicher jüdischer New Yorkerinnen in der Doku Ruthie and Connie: Every Room in the House (US01, 6.6., 18:00F). Eine junge Spielfilm- Variante mit bemerkenswert bittererem Unterton bietet Treading Water (Lauren Himmel, US01, 6.6., 20:00F).

Und dem Umstand, dass Homosexualität und Vaterrolle noch kein von Konflikten bereinigtes Themenfeld sind, tragen etwa Daddy & Papa (Johnny Symons, US02) und Papas (Martin Gypkens, D00; 10.6., 20:30S) Rechnung.

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Einen Sonderfall bilden die zwischen Autobiographie und avantgardistischem Filmstil oszillierenden Werke der US-Regisseurin Su Friedrich. Drei ihrer renommierten, selten zu sehenden Kurzfilme zu lesbischen Themen - Gently Down the Stream (1981), Sink or Swim (1990) und Rules of the Road (1993) - kommen zur Aufführung (8.6., 16:00F), dazu ihr neuestes Werk nach langer Pause, der auch selbstironischen Krisenbewältigung The Odds of Recovery (US02, 9.6., 18:00F).

P.S.: Ein Webtipp gilt der informativen www.SuFriedrich.com.

Fotos: SuFriedrich

Vier Kurzfilmblöcke dokumentieren etwa Szenen und Episoden aus dem Wien der frühen Jahre der modernen Schwulenbewegung (HOSI-Bude-Reumannplatz Medienwerkstatt Wien, A80, 10.6., 18:30S). Sie versuchen, The Ten Rules: A Lesbian Guide for Survival (Lee Friedlander, USA02, 10.6., 20:00F) zu vermitteln. Sie rühren an das ewige Tabuthema juveniler Homosexualität, und mit Fremragende Timer / Precious Moments (Lars Daniel Krutzkoff Jacobsen, Jan Dalchow, N03, 7.6., 20:30S) dabei gleich auch an der Altersfrage. Und für den Block, in dem It's Not a Lie (Liz Miller, US00, 7.6., 22:00F, Bild) läuft, gilt "Women Only!"

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Ausflüge in die Filmgeschichte: Mit John Sayles' Spielfilm Lianna (USA 1982/2002) kommt ein in Sachen weiblichem Coming Out pionierhafter Klassiker des US-Independent-Kinos ins Filmcasino (7.6., 16:00).

"Klassik" (Die Subkultur des Body-Builder-Antikenschinken- Kinos verdient sich ihre Anführungszeichen!) wird bei einer Videolecture zu den Sons of Hercules (John Kirk, William Comstock, US98, 8.6., 18:00F) unter die Lupe genommen; und wohl selbsterklärend sind Polissons et Galipettes - Erotische Kurzfilme vom Beginn des 20. Jahrhunderts (Michel Reilhac, F02, 8.6., 22:30S).

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Ausflüge in die Kulturgeschichte der deutschsprachigen Zwischenkriegszeit mit drei Filmen rund um die beiden ältesten Kinder des Romanautors Thomas Mann: Seltenes Material findet sich in der umfangreichen Doku Escape to Life - Die Erika und Klaus Mann Story (Andrea Weiss, Wieland Speck, D/GB00, 11.6., 22:30S). Vor dem vergessen bewahrt wird eine enge Freundin der Beiden, Une Suisse rebelle: Annemarie Schwarzenbach 1908-1942, durch ein Porträt von Carole Bonstein, (CH00, 12.6., 20:30S). Die Reise nach Kafiristan (Donatello&Fosco Dubini, D/CH/NL01, 7.6., 18:00F) schließlich ist die Verfilmung einer geheimnisumwitterten Fernreise von Annemarie Schwarzenbach.

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Und noch ein Stück weiter zurück - in die "Naughty Nineties" (des 19. Jahrhunderts): In De Profundis gießt Lawrence Brose das notorische nachgelassene Bekenntniswerk von Oscar Wilde in einen experimentellen Spielfilm (US97, 11.6., 18:30S).

Und einen so richtig bunten Abend vespricht die Ausstrahlung des 174-minütigen englischen TV-Dreiteilers Tipping the Velvet, der unter der Regie von Geoffrey Sax in eine plüschige Halbwelt des viktorianischen Englands entführt (2002, 12.6., 22:00F).

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Der Abschlussabend wird mit Lan Yu gefeiert, Stanley Kwans sehenswert geschmackssicherer, bürgerlich-melancholischer Pekinger Langzeitromanze zwischen einem reichen Geschäftsmann und einem Studenten, die auf einem Internet-Roman basiert. (HK01, 13.6., 20:30F). Dazu gibt es am Abend davor mit Kwans filmhistorischer Studie Yang+/-Yin: Gender in Chinese Cinema (GB/HK96, 12.6., 22:30S) auch die Chance, sich an den kürzlich durch Selbstmord umgekommenen Superstar Leslie Cheung zu erinnern.


Details zu allen Filmen, Programm, Kartenreservierungen: identities.at
(~hcl~)

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