"Die Brasilianer glauben, dass bei uns eine Lebenskrise ausgebrochen ist, die Europa zerstört", sagt Franz Struzl. Er sehe die Lage in Europa weniger dramatisch.

Foto: Günther Strobl

Standard: Seit wenigen Tagen sitzen Sie auf dem Chefsessel der RHI. Wann wurden Sie kontaktiert?

Struzl: Ein Aufsichtsrat hat mich vor wenigen Wochen gefragt, ob ich das machen würde. Dann habe ich mich mit dem Aufsichtsratspräsidium getroffen, bin mit der Familie in Klausur gegangen und habe Ja gesagt. Das war's.

Standard: Warum tun Sie sich das an?

Struzl: Ich möchte auf der strategischen Seite noch etwas bewegen. Als nur Pensionist oder nur Aufsichtsrat würde mir der Kontakt zu guten Leuten, die ich auch entwickeln kann, extrem fehlen.

Standard: Was ist ihr Ziel bei RHI?

Struzl: Das Unternehmen in den nächsten drei Jahren, für die ich Verantwortung trage, auf gut zwei Milliarden Euro Umsatz zu bringen und die Ebit-Marge in den zweistelligen Bereich zu heben (Umsatz 2010: 1,5 Mrd. Euro, Ebit-Marge: 9,1 Prozent; Anm.).

Standard: Keine Angst, auf einem Schleudersitz zu sein?

Struzl: Ich bin kein ängstlicher Mensch, sonst hätte ich bei der Voest-Restrukturierung nicht mitgetan und auch nicht den Job bei Villares (Tochterunternehmen von Böhler-Uddeholm in Brasilien; Anm.) übernommen - in einer völlig fremden Welt, fremden Kultur, mit fremden Leuten. Natürlich spielt auch mein Alter eine Rolle. Ich kann ruhiger an die Dinge herangehen.

Standard: Ihre Vorgänger bei RHI sind fast im Jahresrhythmus gegangen.

Struzl: So etwas ist für jedes börsennotierte Unternehmen schwer auszuhalten.

Standard: Wird es die RHI bei Auslaufen ihres Vertrags im Herbst 2014 als eigenständiges Unternehmen noch geben?

Struzl: Selbstverständlich, davon gehe ich aus. Mein Bestreben ist nicht, die RHI zu verkaufen. Was die Eigentümer vorhaben, kann ich nicht sagen, das muss man die fragen.

Standard: Wäre ein Verkauf an den brasilianischen Konkurrenten Magnesita, über den zuletzt spekuliert wurde, möglich?

Struzl: In Brasilien ist das ausgeschlossen, die würden die kartellrechtliche Genehmigung nie bekommen. Der Marktanteil von RHI und Magnesita zusammen läge bei 90 bis 95 Prozent. Wirtschaftlich würde es auch wenig Sinn machen: Am Hauptmarkt von Magnesita in Brasilien kann man es nicht spielen, da müsste man einen anderen hereinlassen, der dann vielleicht auf 30 Prozent Marktanteil kommt. Dann frage ich mich aber, wozu das Ganze. Außerdem - beim derzeitigen Börsenkurs kann ich mir nicht vorstellen, dass verkauft wird.

Standard: Sie haben am Freitag den Spatenstich für ein Werk bei Rio de Janeiro gemacht. Frontalangriff auf Magnesita?

Struzl: In Brasilien gibt es Platz für beide. Wir werden uns nicht die Köpfe einschlagen müssen.

Standard: Sie waren 43 Jahre lang in der Stahlbranche tätig, kennen alle Tricks?

Struzl: Da braucht man keine Tricks. Die RHI macht die Kundenbindung jetzt schon phantastisch. Sie bietet Komplettlösungen an, von der Lagerhaltung über die gesamte Logistikkette bis zur Produktion und hilft damit der Stahlindustrie, Kosten zu sparen.

Standard: Sie wollen mit 69 noch einmal durchstarten. In Österreich gehen gar nicht wenige schon mit 58 in Pension. Können wir uns das leisten?

Struzl: Ich glaube nicht. Meines Erachtens sollten die Österreicher mit 65 oder mit 67 in Pension gehen, sofern sie gesund sind und nicht wirklich harte Arbeitsbedingungen haben, etwa am Hochofen. Ich muss aber kritisch anmerken, dass kaum ein Unternehmen mehr einen Sechzigjährigen behält.

Standard: Europa ist dabei, sich in Sachen Euro auseinanderzudividieren. Was sagt ein altgedienter Manager wie Sie dazu?

Struzl: Die Brasilianer beispielsweise glauben, bei uns sei eine Lebenskrise ausgebrochen, die Europa zerstören wird. Weil ich sieben Jahre in dem Land gearbeitet habe, bekomme ich von hiesigen Banken in periodischen Abständen Mails, wo sie mich darauf hinweisen, dass der Euro extrem in Gefahr ist. Ich solle doch mein Geld nach Brasilien schicken und hier konvertieren. Das ist nicht nur ein Gag, um Kunden zu gewinnen, viele Brasilianer sind tatsächlich dieser Ansicht. Ich sehe Europa nicht in einer derart dramatischen Lage. Der Euro hat uns viel geholfen, die EU als politische Klammer auch; beides ist unverzichtbar.

Standard: Wenn Sie Politiker wären, was würden Sie tun?

Struzl: Den Randländern zwei, drei Jahre mit der Schuldenbedienung helfen, eventuell Moratorien mit niedrigen Zinsen machen. Wenn es dann noch immer keine Zeichen der Kooperation gibt, die Programme nicht umgesetzt werden, würde ich ihnen die Drachme oder den Escudo wieder geben. Die Krisenstaaten dürfen auf keinen Fall die Hartwährungsländer Europas treffen.

Standard: Was nur mit einem radikalen Schuldenschnitt ginge?

Struzl: Ja, anders funktioniert das nicht. Für meine Begriffe geht alles viel zu langsam, es wird zu lang diskutiert. Manchmal hat man den Eindruck, als ob die Politiker nicht wüssten, was zu tun ist. (Günther Strobl, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19.9.2011)