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Simon Kirsch als 'Perikles'

Foto: AP / Lilly Strauss

Wien - Es gibt gewiss eine Reihe von guten Gründen, sich William Shakespeares wenig bekannter Romanze Perikles anzunähern. Wer die fünf Akte dieser Ballade auf der Bühne entfaltet, lernt zum Beispiel allerhand Nützliches über die spätantike Geografie im östlichen Mittelmeerraum: Der Hauptheld regiert in Tyrus. Er verschifft sich der Liebe wegen nach Antiochien, um über den Umweg von Tharsus nach Pentapolis zu gelangen. Eine Eheschließung und etliche Schiffbrüche später ereilt ihn die Gewissheit, dass seine totgeglaubte Tochter in Mytilene das Leben einer frommen Haushaltshilfe führt. Da hatte er bereits beschlossen, sich nicht zu waschen und sein Haupthaar auswachsen zu lassen. Perikles bleibt ein Leistungstest für Coiffeure und für Google Earth.

Bei Shakespeare wird die Familie zuletzt von der Göttin Diana entsühnt. Im Kasino des Burgtheaters weiß Regisseur Stefan Bachmann natürlich von allem Anfang an, dass in diesem streckenweise recht vergnüglichen Machwerk kein Wort plausibel, kein Handlungssprung normal ist. Er lässt am Perikles kein gutes Haar.

Er erweckt den Spielmacher Gower (Kaveh Parmas) als Wiedergänger aus dem Sarg. Geboten wird auf der schmalen Zunge einer von Tribünen eingekeilten Spielfläche (Bühne: Bachmann und Steffen Schmerse) das "Leben an sich": eine Safari durch verschiedene Lebensalter und Reifephasen eines unbelehrbaren Melancholikers. Dessen Person bekommt man allein schon deshalb nicht zu fassen, weil sich acht wunderbare Burgschauspieler reihum durch Charaktermasken und Kostüme deklinieren. So viel ostentativ an den Tag gelegte Spielfreude zaubert den Glanz eines ausgelassenen Kindergeburtstages auf alle Wangen.

Simon Kirsch ölt sich als junger Perikles mit grauer Sonnenmilch die heroischen Gliedmaßen: Als Statue seiner selbst steht er für seinen kaum erworbenen Ruhm schon munter Probe. Seine Quartiergeber auf Tharsus erscheinen als nobel bestrumpftes, fürstliches Rokoko-Ganovenpaar (Barbara Petritsch, Gerrit Jansen). Shakespeare-Lords (Stefan Wieland, Hermann Scheidleder) huschen wie Sherlock-Holmes-Gestalten durch das Halbdunkel. Es liegt in der Natur einer herrlichen Maschine wie der Burg, dass sie auch alberne Wünsche verlässlich wahr werden lässt.

Im munteren Verlauf dieses Bildungs- und Entwicklungsromans beschleicht einen ein unerquickliches Völlegefühl: Perikles muss ja schließlich seine rothaarige Frau (Melanie Kretschmann) als Kindbettopfer an das Meer verloren geben. Eine Horde ägäischer Hippies erweckt die Tote aus dem Schlaf. Sogar Bachmann selbst werden die Handlungssprünge ein bisschen zu krude: Er kürzt sich hinauf ans Ende, nachdem er vor jedem Aktbeginn noch einen schönen Sinnspruch an den Seitenvorhang projiziert hatte.

So bleibt es dem aus dem Erz der Tradition gegossenen Rudolf Melichar vorbehalten, als zottelhaariger Greis auf dem Spitalsrollbett die Lebensfahrt des Perikles als Wundertraum zu entlarven.  (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2011)