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Helle Thorning-Schmidt, die kommende Regierungschefin Dänemarks.

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Politologe David Nicolas Hopmann:
"Der Wahlerfolg der Sozialdemokraten einen bitteren Beigeschmack."

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Grafik: APA

Nach den Parlamentswahlen vom Donnerstag steht Dänemark ein Regierungswechsel bevor. Der bisherige Premierminister, Lars Løkke Rasmussen von der Venstre-Partei, reichte bei Königin Margrethe II. seinen Rücktritt ein. Damit ist der Weg frei für die Wahlsiegerin Helle Thorning-Schmidt von den Sozialdemokraten, welche zwar das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren einfuhren, gemeinsam mit den Sozialliberalen ("Radikale Venstre") und den Sozialisten ("Volkssozialisten") und der linken Einheitsliste aber auf 92 von 179 Parlamentssitze kommen. Florian Gossy hat beim dänischen Politologen David Nicolas Hopmann von der Syddansk Universitet genauer nachgefragt.

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derStandard.at: Seit 1993 hieß der dänische Premierminister immer Rasmussen, eine Frau bekleidete dieses Amt überhaupt noch nie - wie überraschend kommt nun der Linksrutsch bzw. der Sieg Helle Thorning-Schmidts?

David Nicolas Hopmann: Der Sieg kommt überhaupt nicht überraschend. Die Überraschung ist eher, dass er nur so knapp ausgefallen ist. Ich hätte mit mindestens einem Mandat mehr gerechnet.

derStandard.at: Die Wahlen werden in Dänemark ja relativ kurzfristig angekündigt, das ist das Vorrecht des Regierungschefs. War der Wahltermin aus taktischer Sicht ein Fehler?

Hopmann: Der bisherige Premier Lars Løkke Rasmussen hatte keine andere Wahl. Er hätte spätestens Mitte November wählen müssen, war unter Zugzwang. Das einzig Unübliche an diesem Termin war nur, dass anstatt eines Dienstages an einem Donnerstag gewählt wird.

derStandard.at: Kann man nun überhaupt von einem Wahlsieg der Sozialdemokraten sprechen? Immerhin wurde rund ein halber Prozentpunkt verloren und damit das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren eingefahren.

Hopmann: Natürlich hat der Wahlerfolg der Sozialdemokraten einen bitteren Beigeschmack. Die rechtsliberale Rasmussen-Partei war klar die stärkste Kraft. Trotzdem ist es für den sogenannten roten Block insgesamt ein gutes Ergebnis. Es wird aber keine leichte Aufgabe, die verschiedenen Gegenpole wie etwa die linke Einheitsliste - die wie noch nie zuvor dazugewonnen hat - unter einen Hut zu bringen.

derStandard.at: Mit welchen Parteien werden die Sozialdemokraten nun koalieren?

Hopmann: Mein Tipp - und ich kann mir gar nichts anderes vorstellen - ist, dass Thorning-Schmidt eine Minderheitsregierung gemeinsam mit den Sozialisten und den Sozialliberalen aufbauen wird, die von der Einheitsliste geduldet wird.

derStandard.at: Wie wird sich dieses Parteien-Gebilde auf das Arbeiten innerhalb der Koalition auswirken?

Hopmann: Nun, es könnte sein, dass in der neuen Regierung gar nur ein-zwei Personen sind, die überhaupt schon Regierungserfahrung haben. Vor allem auch in der Einheitsliste gibt es viele unerfahrene Kräfte. Die erste große Bewährungsprobe wird der EU-Vorsitz (Anm.: Erstes Halbjahr 2012) sein. Helle Thorning-Schmidt hat zwar nur kurze Zeit, sich einzuarbeiten. Sie war aber Mitglied des Europaparlamentes und spricht hervorragend Englisch.

derStandard.at: Was bedeutet das Wahlergebnis für die Rechtspopulisten?

Hopmann: Es ist schwierig, eine Prognose abzugeben. Sie müssen erst verdauen, dass sie erstmals verloren haben. Die Partei wurde Mitte der 1990er-Jahre gegründet und hat in dieser Zeit immer dazugewonnen. Die Frage ist, wie sie sich in der Opposition etablieren wird: Sie könnte eine treibende Kraft werden, sie könnte aber auch ein wenig von der Bildfläche verschwinden.

derStandard.at: Gibt es nach dieser Niederlage nun Risse im Parteigefüge?

Hopmann: Solange die Dänische Volkspartei von Erfolg verwöhnt war, war die Linie mehr oder weniger vorgegeben. Nun könnte es schwieriger werden, diese Parteidisziplin am Leben zu erhalten. Aber deren Vorsitzende Pia Kjærsgaard ist die absolut unangefochtene Führungspersönlichkeit, an der keiner vorbeikommt. Sie wird sicherlich alles daran setzen, die Konservativen weiter zu schwächen, die drastisch bei den Wahlen eingebüßt haben. Wenn jemand vom Aussterben bedroht ist, dann die Konservativen, dem Juniorpartner in der nun abgewählten Koalition.

derStandard.at: Wie wird sich nach diesem Linksruck nun die dänische Politik verändern? Dänemark ist ja vor allem für die rigide Ausländerpolitik bekannt.

Hopmann: Es wird einige wenige Änderungen geben, die aber schon länger angekündigt sind. Der Sozialhilfesatz für Flüchtlinge wird erhöht, diese Anpassung wird sicherlich kommen. Der größte Knackpunkt ist aber der Familiennachzug, vor allem der Ehenachzug. Dort wird sich zunächst nicht viel zu ändern sein, obwohl drei der vier Parteien im künftig regierenden roten Block ausgesprochene Gegner der bisherigen Ausländerpolitik sind. Das ist in Dänemark aus strategischer Sicht aber wohl nicht veränderbar. Die Sozialdemokraten sind hier klar auf bürgerlicher Linie. Man muss aber sagen, dass sich auch andere Parteien weiter nach rechts bewegt haben.

derStandard.at: Wie wird sich die Sozialpolitik verändern?

Hopmann: Hier gibt es unterschiedliche Interessen der Parteien. Die Sozialdemokraten wollen die jüngste Veränderung bei der Frührente zurückkurbeln. Hier wird wohl ein Kompromiss kommen. Ähnlich verhält es sich bei der Arbeitslosenbezugsdauer, die vermutlich wieder etwas verlängert wird.

derStandard.at: Werden die umstrittenen Grenzkontrollen zu Deutschland und Schweden weitergehen?

Hopmann: Thorning-Schmidt hat klar gesagt, dass diese Grenzgebäude - besonders an der Grenze zu Deutschland - nicht bauen möchte. Man möchte dem Zoll aber mehrere Ressourcen geben, um zu kontrollieren. Physische Kontrollen, so wie sie im Frühjahr verabschiedet worden, werden aber nicht kommen.

derStandard.at: Wie sieht es mit den Kriegseinsätzen - etwa in Libyen - aus?

Hopmann: Hier muss man abwarten und Teetrinken. Es wurde kaum diskutiert im Wahlkampf. Mein Tipp ist, dass man erwägen wird, etwas zurückfahren. Die linken Parteien sind hier grundsätzlich eher skeptisch. Man muss aber auch Geld sparen, es ist einfach zu teuer. Außerdem könnte es sein, dass Thorning-Schmidt sich darum bemühen wird, Dänemark stärker in die EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu integrieren, in dem sie versucht, die bestehende dänische Ausnahmeregelung auf diesem Gebiet aufzuheben.

derStandard.at: Haben die Anschläge von Norwegen das Wahlverhalten der Däninnen und Dänen verändert?

Hopmann: Mein persönlicher Eindruck ist, dass dies kaum Einfluss hatte. Im Gegensatz zu Schweden etwa gab es hier in Dänemark keine große Diskussion darüber. Die Dänische Volkspartei hat klar gesagt, dass dies nicht deren Problem sei. Die nun abgewählte Regierung, die ja mit der Dänischen Volkspartei kooperierte, hatte auch kein Interesse daran, diese Diskussion überhaupt zu führen. (flog, derStandard.at, 16.9.2011)