Elisabeth Pietsch, Esther Duffles und Sunday Talabi vor der Kirche im 19. Wiener Gemeindebezirk.

Foto: Eva Zelechowski

Vortragssal in der Silbergasse.

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Sunday Talabi vor "seinem" Taufbecken.

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Das Plakat mit den "Essgeboten" richtet sich an die Kleinsten.

Foto: Eva Zelechowski

Im gleichen Raum hängt auch der Unterrichtsplan für die Kinderklasse.

Foto: Eva Zelechowski

An diesem Abend wird in der Florianigasse über das Thema "Glaube und Zukuft" vorgetragen.

Foto: Olivera Stajic

Vor dem Vortrag wird kurz gebetet und gesungen.

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An den Wänden des Institutszentrums kann man über die Bedeutung der Familie bei den Mormonen nachlesen.

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Oder über das Studieren. Gemeint sind natürlich die heiligen Schriften.

Foto: Olivera Stajic

Nach dem Vortrag wird gemeinsam gegessen.

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Die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (auch Mormonen genannt) in der Silbergasse im 19. Wiener Gemeindebezirk liegt relativ unauffällig an einer stark befahrenen Kreuzung. Die schlichte Betonbau-Architektur des weiß gestrichenen Gebäudes kommt auch im Inneren zum Tragen. Festsaal, Vortragssaal und Gruppenräume sind hell und simpel in ihrer Funktionalität. Kein Schnick-Schnack. Der einzige Raum, der sich ein wenig abhebt, ist jener mit dem Taufbecken in hellblauem Mosaik. Für die Taufe zum offiziellen Mitglied der Mormonengemeinde wird ein weißes Gewand übergestreift, danach wird der Täufling im Wasserbecken vollständig untergetaucht. Über dem Becken ist ein Spiegel angebracht, "für die Zeugen", wie auf Nachfrage erklärt wird. "Ich selbst wurde hier getauft", sagt Sunday Talabi stolz, der bereits die Funktion des Bischofs in einer der fünf Wiener Mormonen-Gemeinden innehatte.

Fleißarbeit am Sonntag

Der sonntägliche Gottesdienst dauert bei den strebsamen Mormonen insgesamt drei Stunden. Davon geht eine Stunde für die sogenannte "Sonntagsschule" drauf, wo die Mitglieder getrennt nach Geschlecht und Altersgruppen frommen Diskussionen nachgehen. Anschließend finden sich alle zum klassischen Gottesdienst zusammen.

Für die Klassen wurde ein Leitfaden erarbeitet, der "bei den Frauen die gleichen Themen behandelt wie bei den Männern", sagt Talabi. Der Diplomkrankenpfleger stammt ursprünglich aus Nigeria und lebt seit 30 Jahren in Wien. Die geschlechtliche Trennung begründet der 54-Jährige mit der Diversität der Aufgaben, die Frauen und Männer - Brüder und Schwestern, wie sie sich gegenseitig nennen -  jeweils in der Gemeinde zu erfüllen haben. "Außerdem können Frauen auf diese Weise ungezwungen miteinander sprechen - genauso wie Männer untereinander."

In Krisenzeiten zum Glauben

Dass Elisabeth Pietsch in einer für sie schwierigen Lebensphase zum Glauben und dem Buch Mormon fand, ist für sie mehr als verständlich: "Viele Menschen suchen in Krisenzeiten Hilfe und Trost im Glauben", erzählt die Öffentlichkeitsbeuftragte der österreichischen Mormonen. Auch durch Flüchtlingswellen, unter anderem aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Tschechien oder Polen, stieg die Mitgliederanzahl der Mormonengemeinden in Wien und Österreich an. Menschen in Notsituationen zu helfen, wird großgeschrieben, betont Pietsch. Beistand und Hilfe bei Behördengängen oder Deutsch- und Englischkurse als Integrationshilfe in Österreich, gehören auch dazu. Die Laienpriesterschaft, das Abhalten von Klassen und Betreuung von Freizeit-Aktivitäten - alles erfolgt ehrenamtlich.

Das Zehntel

Die Gemeinschaft finanziert sich aus Spenden, beziehungsweise durch freiwillige Abgaben. Menschen, die sich beim Mitgliedsbeitrag, der mit einem "Zehnten Teil des Einkommens" beziffert ist, schwer tun, unterstütze die Gemeinde. Die Zahlung des Zehnten, eine Praxis, die von Kritikern der Kirche stark angeprangert wird, ist aber selbstverständlich eine Freiwilligkeit, betont Pietsch. Erlagscheine, die am Eingang des Gemeindezentrums aufliegen, aber auch belehrende Comics, die in der Kirchenzeitschrift "Liahona", auch den Kleinsten die Bedeutung des "Zehnten" verdeutlichen sollen, zeugen nachdrücklich von der Bedeutung der Abgabe.

In frommer Mission

Neben der Abgabe des Zehntels, ist auch Missionsarbeit eine weitere wesentliche Säule des Mormonentums. In Wien und anderen österreichischen Städten gehören die jungen Männer in adretten schwarzen Anzügen - und etwas seltener auch junge Frauen in gerade geschnittenen langen Röcken - zum Straßenbild. Missionieren, also die Verbreitung des Evangeliums und somit das Gewinnen neuer Mitglieder, wird schon den Kleinsten als wichtige Aufgabe vermittelt: Auf den Kinderseiten der Kirchenzeitung wird die Geschichte von kleinem Jakob erzählt, der nicht resigniert als sein Schulkamerad nicht sofort einwilligt, mit ihm am Sonntag in die Messe zu gehen. Er lernt einfach, dass er "immer wieder" fragen muss.

Kostenaufwendig

Doch nicht nur das Missionieren im klassischen Sinne gehört zu der Aufgabe der jungen Leute. Die 25-jährige Esther, die in Alaska in einer Mormonenfamilie aufgewachsen ist, durfte ihren Dienst am Tempel-Platz in Salt Lake City verrichten. Ab etwa 19 Jahren entscheiden sich Mitglieder der Kirche "freiwillig und freudig", wie immer betont wird, dazu, ob sie in die Welt hinausgeschickt werden wollen, um ihre Bekehrungsarbeit zu machen. Für Frauen sieht die Kirche 18 Monate vor, bei Männern dauert der Missionsdienst ein halbes Jahr länger.

Wohin die Reise für jemanden geht, entscheidet der Kirchenrat. Bezahlen müssen die MissionarInnen für Kost und Logis selbst. In dieser Zeit müssen sie weltlichen Ablenkungen wie Kino, moderner Musik oder "normaler Kleidung" entsagen.

"Schön anständig muss es sein"

Esther kam nach ihrer Missionszeit in Utah nach Österreich, um hier Medizin zu studieren. Sie führt in Wien nun ein normales Studentenleben, wie sie erzählt. "Der einzige Unterschied zwischen mir und anderen", erklärt sie lachend, "ist, dass ich keinen Kaffee, Tee oder Alkohol trinke." Dass sie auch keine figurbetonte Kleidung und Röcke, die ihre Knie entblößen, trägt, kommt hinzu: "Schön anständig muss es halt sein."

In der Erziehung der "jungen Damen", wie die Klassen der Mädchen von zwölf bis achtzehn Jahren genannt werden, wird Anständigkeit ausführlich behandelt. Im Heftchen "Für eine starke Jugend - Unsere Pflicht vor Gott erfüllen", ist auf der ersten Seite ein traurig dreinschauender Jesus abgebildet. Im Kapitel "Sexuelle Reinheit" ist wenig überraschend zu lesen, dass nur die eheliche Sexualität schön und heilig ist. Dass "sexuelle Intimität vor der Ehe in Ordnung sei, wenn man verliebt ist, stimmt nicht", heißt es. Die Folge, laut Leitfaden: Seelische Schäden. Küsse seien wohl "o.k.", nicht aber, wenn sie "leidenschaftlich" sind und die Zunge ins Spiel kommt. Neben Frohsinn, heiler Welt und Nächstenliebe fällt Lustunterdrückung als wesentliches Element im kleinen Buch der Ge- und Verbote auf.

Entscheidungsfreiheit

Während Elisabeth Pietsch durch Haus und Geschichte der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage führt, verabsäumt sie nicht, immer wieder auf die Entscheidungsfreiheit hinzuweisen: "Sie müssen berücksichtigen, alles ist freiwillig!" Freiwillig sind auch die Teilnahmen an zahlreichen Aktivitäten, die man unter der Woche besuchen kann. So treffen sich jeden Mittwochabend im Institutszentrum in der Florianigasse in Wien junge MormoneInnen zu einer Religionsstunde. An diesem Abend gibt es einen Power Point unterstützten Vortrag zum Thema "Glaube und Zukunft". Etwa 30 Jugendliche hören zu und melden sich vereinzelt zu Wort. Auch Esther ist wieder da und übersetzt simultan für eine Mitschwester, die kein Deutsch spricht. An diesem Abend haben sich viele amerikanische Studenten aus der Brigham Young University in Provo, Utah, die von der Mormonengemeinschaft finanziert wird, im Vortragssaal eingefunden.

"Ewige Familie" und Happy End

Bildung ist wichtig, betont Frau Pietsch, natürlich auch für Frauen. Aber das Familienleben, hat einen wichtigen Stellenwert - bei den Mormonen noch mehr als bei anderen Glaubensgemeinschaften, glauben doch die Heiligen der Letzten Tage an die "ewige Familie" und die "ewige Ehe". Ein Umstand, der durchaus beunruhigen kann, falls sich die irdische Familie nicht geschlossen zum Buch Mormon bekennt. Die beiläufige Frage, "wie denn ihre Familie auf die Taufe reagiert habe", die Frau Pietsch an eine junge Wienerin stellt, die gerade aus den USA zurückkehrt und unter den Mormonen Anschluss sucht, gewinnt beim Blättern der "Liahona"-Ausgaben an Bedeutung: Geschichten über Lebenskrisen, Ehekräche und Familienzwistigkeiten füllen ganze Seiten der Kirchen-Zeitung. Und natürlich gibt es immer ein durch Liebe, Beten und Fasten vollbrachtes Happy End. (Eva Zelechowski und Olivera Stajić, daStandard.at, 16.09.2011)