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Nato- und afghanische Truppen bergen Opfer der Terrorattacke in Kabul. Erst nach 20 Stunden wurde der letzte der sechs Angreifer getötet. Fünfzehn afghanische Polizisten und Zivilisten kamen ums Leben.

Foto: Reuters/Ahmad Masood

Fast 20 Stunden lang haben sechs schwerbewaffnete Angreifer Afghanistans Hauptstadt Kabul in Angst und Schrecken versetzt und auch die US-Botschaft beschossen. Die Aktion schürt weitere Zweifel am Abzugskonzept des Westens.

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Kabul/Neu-Delhi - Bei dem massiven Angriff in Kabul am Dienstag gelang es sechs Schwerbewaffneten trotz massiver Kontrollen, sogar das Nato-Hauptquartier und die US-Botschaft mit Panzerfäusten zu beschießen. Erst am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr konnten Sicherheitskräfte die bisher wohl längste Terrorattacke in Afghanistans Hauptstadt beenden. Die Aktion hat weitere Zweifel am Abzugskonzept der Nato geschürt - und genau das dürfte das Ziel der Militanten gewesen sein.

Abgesehen von den 15 Toten sind die psychologischen Folgen fatal. Die Afghanen verlieren den Glauben, dass ihre Sicherheitskräfte das Land schützen können. Aber darauf fußt der Nato-Plan: Afghanistan soll bis Ende 2014 selbst für seine Sicherheit sorgen, damit die ausländischen Truppen abziehen können. Für Kabul sind die Afghanen bereits zuständig. Entsprechend bemühten sich Nato-Obere und US-Vertreter am Mittwoch, die afghanischen Sicherheitskräfte zu loben und den Terrorangriff herunterzuspielen.

Das sei "keine sehr große Sache" gewesen, sondern vielmehr ein "Zeichen der Schwäche" der Militanten, wiegelte US-Botschafter Ryan Crocker ab, der am Vortag sogar erklärt hatte, nicht etwa Terror, sondern die Verkehrsstaus seien Kabuls größtes Problem. Viele Afghanen und auch Ausländer sehen das jedoch völlig anders. "Haben die Crack genommen oder was?", höhnte eine westliche Diplomatin in Kabul. Jeder könne sehen, dass das Land immer unsicherer werde. Die Zahl der Anschläge steige ebenso wie die der toten Soldaten und Zivilisten.

Ein Guerillakrieg

Zwar haben die USA und ihre Verbündeten ihre Truppen inzwischen auf 140. 000 aufgestockt, dennoch scheinen sie den 25.000 Taliban-Kämpfern nicht wirklich beizukommen. In Afghanistan werde ein Guerillakrieg geführt - und der lasse sich militärisch kaum entscheiden, warnen Analysten seit Jahren. An Friedensgesprächen führe kein Weg vorbei.

Die USA sollen nun angeblich eingewilligt haben, dass die Taliban bald ein politisches Büro im Golfstaat Katar eröffnen - nicht ohne Hintersinn: Washington will die "Quetta-Schura" um den einäugigen Taliban-Chef Mullah Omar offenbar aus der Umarmung Pakistans lösen, das diesem zwar Zuflucht gewährt, sich dafür aber massiven Einfluss ausbedingt.

Eine spannende Frage ist daher, wer wirklich hinter der jüngsten Attacke steckt. Zwar haben Mullah Omars Leute den Anschlag für sich reklamiert, aber im Terrorgeschäft schmückt man sich auch schon mal mit fremden Federn. US-Botschafter Crocker glaubt das Haqqani-Netzwerk hinter der Attacke, das Pakistans Geheimdienst ISI nahestehen soll.

Hat Pakistan seine Finger im Spiel, lässt dies nichts Gutes ahnen: Dann scheinen die "Verbündeten" Washington und Islamabad auf Konfrontationskurs zu sein, was Afghanistans Zukunft angeht. Zumindest afghanische Sicherheitskräfte meinten, "todsichere" Beweise zu haben, dass die Angreifer aus Pakistan kamen: Einige Cashew-Nüsse, die man in ihrer Nähe fand, hätten "pakistanisch" geschmeckt. (Christine Möllhoff/DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2011)