In den ersten Nachkriegsjahrzehnten war Mauthausen ein nahezu nicht existenter Ort der österreichischen Erinnerungskultur. Heute wird von jedem Lehrer erwartet, in das ehemalige KZ zu fahren.

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Die Gaskammern in Auschwitz, die steinernen Stufen in Mauthausen, die Holzpritschen in Dachau sind Stätten und Objekte, die keiner Vorstellung bedürfen. Sie sind unverändert seit Jahrzehnten, und doch unterliegt ihre Aussagekraft einer ständigen Neubewertung, die vom politischen und gesellschaftlichen Kontext abhängt. Längst sind KZ-Gedenkstätten keine stillen Friedhöfe der Erinnerung mehr - vor allem seit den 1980er-Jahren zählen sie zu "zentralen Orten des Lernens aus der Geschichte", sagt Heidemarie Uhl vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Die Gedenkstättenpädagogik erforscht dieses Phänomen und versucht neue Bedeutungen der historischen Orte miteinzubeziehen. Welche aktuellen Konzepte die Gedenkstättenpädagogik anbieten kann, soll die Tagung "Diesseits und jenseits des Holocaust. Aus der Geschichte lernen in KZ-Gedenkstätten", die diese Woche (15. bis 17. September) in Wien stattfindet, zeigen.

Dabei fließen unterschiedliche Wissenschaftszweige zusammen, denn etwa für die Beantwortung der Frage "Was ist das Ziel des Lernens aus der Geschichte?" bedarf es sowohl der geschichtlichen wie auch der pädagogischen Perspektive. Die Organisation der Tagung erfolgte durch das vom Wissenschaftsministerium geförderte Forschungsprojekt "forMuse" und den Verein Gedenkdienst. So erhofft sich Uhl, die auch für die Konzeption der Tagung verantwortlich war, dass "die Brücke geschlagen wird von Wissenschaft auf der einen Seite und der Praxis der Gedenkstättenpädagogik auf der anderen Seite".

Initialerlebnis Mauthausen

Seit den 1980er-Jahren dienen die Gedenkstätten nicht mehr nur den Opfern als Treffpunkte. Seither werden sie gezielt von Schulklassen im Rahmen der Politischen Bildung besucht. "Moralisch-ethisches Lernen aus der Geschichte wird heute ganz zentral mit Gedenkstätten verknüpft", sagt Uhl. Wohingegen Mauthausen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ein nahezu "externer Ort" in der österreichischen Erinnerungskultur gewesen sei, werde es heute von jedem Lehrer erwartet, in das ehemalige KZ zu fahren.

Der Besuch werde als "so etwas wie ein Initialerlebnis" angesehen, erläutert Uhl. "So soll man die demokratischen Grundwerte aus der negativen Geschichte heraus kennenlernen." In den letzten Jahren seien in den Gedenkstätten daher "pädagogische Departments" aufgebaut worden.

Eine weitere Bedeutungsverschiebung der Gedenkstätten hat sich außerdem dadurch ergeben, dass immer mehr auch die Tätergeschichte in die Vermittlung einbezogen wird. Teilweise verändern sich die Exponate, die in Gedenkstätten gezeigt werden, doch vor allem werden sie in einen neuen Kontext gestellt.

Die Stufen, die Pritschen, die Gaskammern - sie werden im Sinne einer "Konkretisierung" und "Verwissenschaftlichung" eingesetzt, um etwa den konkreten Alltag der Häftlinge zu vermitteln, erklärt Uhl. Viel weniger werde heute versucht, eine nationale Opferrolle museal zu inszenieren.

Die aktuelle Herausforderung, vor der die Gedenkstättenpädagogik steht, ist vor allem, einen angemessenen Weg der Vermittlung zu finden, um die Geschichte in Bezug zur Gegenwart zu bringen. Und dabei stößt sie auf ein kleines Dilemma: Denn einerseits müssen Gedenkstätten einen Gegenwartsbezug herstellen, "sonst hätten sie keine Rechtfertigung", meint Uhl. "Andererseits ist der Nationalsozialismus ein Vernichtungswille, der mit gegenwärtigen Verhältnissen nichts zu tun hat." Die schwierigste Aufgabe bleibt: eine moderne Ausstellung zu gestalten, ohne den Nationalsozialismus dabei zu banalisieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.09.2011)