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HARTMUT ESSLINGER (67) kommt aus dem Schwarzwald und gründete 1969 in Stuttgart die Design-Agentur, aus der Frogdesign (heute Frog) wurde. Seine Kundenliste ist ein Who's who globaler Marken, von Sony und Apple bis Microsoft, SAP und Lufthansa. Esslinger lebt in Los Gatos, Kalifornien, und lehrte von 2006 bis 2011 an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

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Der Standard: Steve Jobs, dessen Genialität unbestritten ist, hängt auch der Ruf des Autoritären an. Wie haben Sie das in Ihrer langjährigen Arbeit mit ihm erlebt?

Esslinger: Jobs ist nicht autoritär. Was er hat ist eiserne Disziplin, seine Vision zu verfolgen, und er lässt gute Leute arbeiten. Nur ein Beispiel: die Schrifttype Myriad, die Apple verwendet. Die meisten Unternehmen haben ein dickes Buch, bei Apple ist es eine Seite: Schrifttype, Prinzip, Ordnung, Attitude. That's it, that's our brand. Wenn jetzt jemand z.B. bei Macworld ein falsches Etikett gedruckt hat für den Wegweiser, wurde der sofort diszipliniert.
Das ist nicht langweilig, sondern das ist konsequentes Brandbuilding. Die meisten Designer lehnen das ja ab, immer das gleiche zu tun. Aber das geht tiefer. Steve hat erkannt, dass man nicht herumspielen kann. Design ist etwas ganz anderes als die meisten Leute glauben, das Visuelle ist nur eine Hilfe für ein anderes Ziel. Das Ziel ist Menschlichkeit, oder wie man das nennt, Kultur. Noch eine Form, noch eine Form, das ist völlig idiotisch. 

Der Standard: Wie hat Ihr Weg von einer kleinen Designfirma bei Stuttgart nach Japan und in die USA geführt? 

Esslinger: Ich habe 1972 versucht bei Zenith (US-TV-Hersteller, Anm.) mit Fernsehern Fuß zu fassen. Die haben gesagt, diesen modernen Stil wollen die Amerikaner nicht. Dann kam ich nach Japan zu Sony, und fragte: Warum macht ihr so einen „Shit" für die Amerikaner? Die wollen das nicht wirklich. Wir machen das einfacher, durchdachter, die Leute werden das lieben, international. Das war dann ein Riesenhit auch hier, da gab es Radios, Trinitron-Fernseher, dann den Walkman, das war eine Revolution.

Der Standard: Wie kam dann Ihr erster Kontakt mit Apple zustande, Jobs wollte den Designer, der für Sonys Erfolg verantwortlich war?

Esslinger: Steve Jobs wollte das beste Design der Welt. Ich dachte, das ist schon ein bisschen überzogen, denn Apple war damals sehr chaotisch. Als wir begannen gab es schon ein paar Designer, liebe Kerle, aber völlig unfähig. Ich habe gesagt ihr könnt zuarbeiten, aber nicht vorne stehen. Einige sind geblieben, aber die meisten mussten gehen. Auch bei den Ingenieuren.Steves Ziel war es eine Million Computer zu verkaufen, damals verkaufte Apple aber gerade so 10.000 plus. Ich sagte, dann müssen wir auch in der Lage sein, eine Million Computer ökonomisch herzustellen. Dazu sind andere Verfahren, wie es sie in der Unterhaltungselektronik gab, notwendig, aber nicht die damalige Bastelei bei Computern. Dazu braucht man ein anderes Supportsystem. Das gute war, dass Apple das nicht hatte, was sie heute noch immer nicht haben: Fabriken. Darum konnte man hergehen und mit den besten Partnern arbeiten. Wo HP und Dell nur vorhandene Teile einkaufen, entwickelt Apple und bezahlt auch für die Entwicklung und das spezielle Design. Beim iPad heute sind das 50 oder 100 Millionen Dollar Entwicklungskosten. Das ist bei dem Riesenerfolg von fast 50 Millionen verkauften iPads ein Klacks. Trotzdem investieren die Wettbewerber fast nichts und kaufen Produkte von Herstellern in Taiwan und China quasi von der Stange.
Damals war dies ein gutes Beispiel, wie man strategische Entwicklung hin kriegt, da waren besonders die Sony-Prozesse wichtig, also bis zum letzten Lieferanten zu gehen, mit allen zu arbeiten und deren Kreativität einzubinden, nicht nur ein Design zu machen.
Der IBM PC war ja ein ziemlich dummes Design, eine potthässliche Kiste, das war eine visuelle Beleidigung. Wir wollten auch Kultur machen. Die Apple Design Sprache - und damit auch der Macintosh - beruht auf Symmetrie, wie Menschen, die sind auch symmetrisch. Das ist das ganze Geheimnis. 

Der Standard: Was führte dazu, alle Komponenten des Computers in ein Gerät zu bauen statt in mehreren Teilen, wie es bis dahin üblich war?

Esslinger: Das ist auch logisch, wir Menschen kommen ja auch nicht in sieben Teilen daher. Der Macintosh war eine künstliche Person. Computer sind mehr als ein Produkt, sie haben eine physische Intelligenz, da kann man nicht sechs Boxen auf den Tisch stellen. Das ist mechanisch das Dümmste was es gibt, elektrisch übrigens auch wegen der Signallänge. Wenn der Weg zu lang ist, kommt das digitale Takt-Signal nicht mehr an. Je größer die Bandbreite und je höher die Frequenz, desto kürzer müssen die Wege werden. Das ist auch mit dem Gehirn so. Wenn man sich anguckt wie Menschen oder Tiere gebaut sind: Die Bionik ist genau die gleiche wie beim Computer.
Dann waren wir in Mexiko auf einer Reise, da gibt es ein Relief das wie ein Astronaut (Pakal, der „Maya-Astronaut", Anm.) aussieht. Der liegt da auf dem Rücken, hat einen Helm auf, der das Gesicht umrahmt, da sagten wir: Das ist unser Mac. Dann kam der Film E.T. von Steven Spielberg, das hat auch geholfen. Da war ein bisschen Glück dabei, es hat auch eine Zeitlang gedauert bis das Design im Markt akzeptiert wurde. Wir haben da Zwischenschritte machen müssen, um es am Schluss dahin zu führen. Das originale Design war sogar noch radikaler.
Aber es ging in diesem Prozess nicht nur um ein Produkt. Es ging um die Zukunft von Apple als globale Marke. Eine Marke ist definiert durch Werte, durch Haltung und durch Motivation. Der Macintosh war nur eines der Produkte, es ging darum: wo geht die Company hin, wo steht sie in 20 Jahren? Dabei kam uns die Idee mit Schneewittchen: Der Apfel hat einen Biss drinnen, verführt von der bösen Schwiegermutter oder von wem auch immer, und wir nannten das Projekt SnowWhite als Codename. Eine Prinzessin, die schläft und den Apfelbissen wieder rauskriegen muss, damit sie aufwacht.
Das haben wir tatsächlich so romantisch diskutiert, dann haben wir zwei Jahre daran gearbeitet, Modelle gemacht. Den ersten Laptop haben wir schon 1983 entworfen, auch ein Touchpad mit Displays von Lockheed, ein Telefon dran - das wurde alles ausgespielt, nicht um es heute zu machen, sondern um die Zukunft zu projizieren.

Der Standard: Sie waren auch nach Jobs Rauswurf bei seiner Firma Next noch involviert?

Esslinger: Leider setzten die Programmierer, die von Apple mitkamen, auf Unix, ein schwergewichtiges System, das den Motorola-Prozessor überforderte. Dann kam Sun mit einer guten Maschine, aber ohne Software. Für Steve Jobs war das einfach der falsche Markt, Steve braucht Verbindungen zu richtigen Menschen. Also hat er es mit dem Bildungsbereich probiert, eine Maschine um 1000 Dollar zu machen. Aber da sind wir einfach stecken geblieben. Wenn man ein Jahr gewartet hätte bevor man anfängt, wäre es vielleicht besser gewesen. Immerhin hat Tim Berners-Lee mit Hilfe eines NeXt HTML (Hypertext Markup Language, Anm.) und damit auch das moderne Internet erfunden.

Der Standard: Aber die Erfahrung dieser Zeit kam wieder zu Apple zurück, als es Next kaufte?

Esslinger: Ja, nach drei Zyklen als Mac OS X. Das war für NeXT natürlich etwas unglücklich. Ich glaube auf Basis von Sparc von Sun wäre Nextstep ein Riesenerfolg geworden. Das wäre dann das, was Mac heute ist.

Der Standard: Die 20-Jahres-Vision aus Apples Entwicklungsprojekt der 80er-Jahre geht in den heutigen Produkten gut auf - das iPhone integriert das Telefon, beim iPad ist die Tastatur verschwunden und wurde zu einem Software-Interface, Sprachtechnologie zur Bedienung ist im Kommen. Wo geht ihre Fantasie für die nächsten 20 Jahre hin?

Esslinger: Mehr körperintegriert. Zum Beispiel die Übertragung unserer Gesichtsgestik, wie das Ray Kurzweil mit „Singularity" beschreibt, obwohl das ein bisschen erschreckend ist. Das ist ein wichtiger Punkt für Designer: Wie kann man solche Entwicklungen kulturell und humanistisch so in den Griff kriegen, dass sie nach vorne gehen und nicht in einem Frankenstein-Szenario münden. 

Der Standard: Werden manche Dinge in unseren Körper integriert werden? Einen Funkchip zu implantieren könnte in naher Zukunft so logisch sein wie ein Handy zu haben.

Esslinger: Es würde ja reichen, wenn Sie ein Schmuckstück um den Kopf tragen. Es geht beides, die Technik kann auch in den Körper kommen, oder einfach getragen werden. Da sind wir bei den Robotern: Es gibt die humanoiden, dann gibt es die insektoiden, die funktional überlegen sind, weil Insekten überall hinkommen. Aber es gibt auch die ästhetischen, die konzeptionellen Roboter. Das ist das, was Apple machen sollte in zehn Jahren.

Der Standard: Wenn man Ihren Designansatz nimmt und 20 Jahre vorausdenkt, welche Entwicklung würden Sie dann bei einer Zeitung erwarten?

Esslinger: Gehen wir zuerst zum Anfang zurück, als Leute auf den Jahrmarkt kamen und die Nachrichten verlesen haben. Das war verbal, das war keine Zeitung. Dann kamen Zeitungen, die druckten Anzeigen, da war nicht mehr so viel Information drin. Ich habe z.B. meine Geburtstagsausgabe von der Times in London, da sind nur Todesanzeigen auf der Seite 1.

Das Entscheidende an einer Zeitung ist Information zu kriegen und das Gefühl von „Togetherness", die Geschichten, die man mit anderen Leuten teilt. Da gab es die Kaufleute in Venedig und in Holland, die warteten darauf, dass ihre Schiffe aus Indien zurückkamen. Wenn sie kamen, waren sie reich, wenn sie nicht kamen, waren sie bettelarm. Dieser Reiz der Information steckt ja nach wie vor da drinnen. Man muss sich überlegen, wie macht die Information auch Spaß, wie kann sie interaktiv sein, wie kann ich mehr davon kriegen.

Da ist die Haptik der Zeitung sekundär. Wir haben in unserer Familie keine mehr, aus ökologischen Gründen. Wir bezahlen das Abonnement, dem Verlag geht es also trotzdem gut, aber ich will kein Papier mehr, das ich nur rausschaffen muss. Es ist die Freude an der Information, am Tratsch, um die muss man sich kümmern. Die technischen Mittel muss man daran anpassen wie die Leute damit umgehen. Die jetzige Diskussion steht auf dem Kopf, nicht: Was macht man als nächstes, sondern was macht mehr Spaß als jetzt. Wälder abzuholzen, um Papier draus zu machen, ist auch nicht gut. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, da ging der Büttel durchs Dorf mit seiner Klingel und hat verlesen was passiert ist. Wir hatten keine Zeitung, als ich ein Kind war. Und dann hat man vielleicht im Radio ab und zu was gehört was passiert ist, Korea und so weiter, bei der Milchsammelstelle hat man was mitbekommen. Es war sicher spärlich, aber es war sehr interaktiv und wichtig.

Der Standard: Brauchen Unternehmen, die um ihr Überleben im Sinn von Gewinn ringen, ein physisches Produkt, um die Idee befördern zu können, und wie viele analoge Produkte brauchen wir als Menschen?

Esslinger: (Lacht) Das ist schon fast Existenzialismus, Rive Gauche in Paris 1952. Ich würde sagen, wenn man es einfach hält und das Einfache höher bewertet, das ist schon einmal ein gutes Prinzip. So wenig wie nötig, und so gut wie möglich. Aber die Geschmäcker und die Bedürfnisse sind verschieden. Früher sagte man, wäre der Mensch in seinem Zimmer geblieben, hätten wir weniger Probleme. Aber das Zimmer ist auch ein Problem, das größere finde ich. Viele Leute verstehen gar nicht, was ihnen die Dinge antun. Wir haben sicher zu viel Konsumismus, wo der Kaufprozess das Erlebnis ist. Der Umgang muss wieder wichtiger werden.

Der Standard: Geht immer mehr des Designprozesses im Technologiebereich in die Software und nicht in die Hardware?

Esslinger: Das war schon immer so. Nur war es halt immer mies gemacht. Software fing an als Bürosoftware, als Technology-Software, am Anfang waren es nur Zeilen. Die erste Software war die Hollerith-Karte für die Volkszählung vor 100 Jahren in den USA. Zuerst war also der analoge, dann kam der digitale Computer, als Konzept, IBM sagte damals, der Weltmarkt werden fünf Computer sein. Und selbst Steve Jobs sagte 1986, dass der Laptop ein Werkzeug für Journalisten sein wird, das sonst keiner will. Da haben wir genug gestritten.

Ich habe natürlich auch meine Fehler gemacht. Man muss mit dem Flow gehen, und der Flow ist, dass Technik menschlicher werden muss. Was ist intelligente Mechanik? Das ist das nächste große Thema. Was in Japan ein Manga ist (Comic, Anm.), all diese Dinge sind ja bereits in der populären Kultur drinnen, also passieren sie auch. Was wir denken können, werden wir auch tun.

Manche Leute haben auch keine Wahl. Das ist der Fanatismus des Talents, ich muss das tun. Das ist auch das tolle an der Menschlichkeit, dass man Talente mitkriegt, die einem keine Wahl lassen. (Das Gespräch führte Helmut Spudich, DER STANDARD Printausgabe,14. Septmber 2011)