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Leitl: "Es muss jeder Blinde sehen, dass reines Sparen nicht zur Gesundung führen kann."

Foto: APA/Herbert Neubauer

Bei der Vermögenssteuer glaubt Christoph Leitl nicht, dass nur die Reichen drankommen. Griechenland brauche eine Schuldenmoratorium, erklärt der Kammerchef im Gespräch mit Andreas Schnauder.

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STANDARD: Die Konjunkturaussichten haben sich nach kurzem Boom zuletzt deutlich verschlechtert. Wo steht die österreichische Wirtschaft nach Ihren Informationen derzeit?

Leitl: Ich glaube, wir sind insgesamt gut unterwegs, zum Krankjammern besteht kein Grund. Österreich beschäftigt so viele Menschen wie nie zuvor. Österreich exportiert so viel wie nie zuvor, wir rechnen mit einem Plus der Ausfuhren von zehn Prozent. Allerdings ist es seit der letzten Finanzkrise nicht gelungen, die Finanzwirtschaft zu stabilisieren, die Spekulation hintanzuhalten. Das ist eine Hypothek für die Realwirtschaft. Denn wenn Unsicherheiten auftauchen, werden als Erstes Investitionen zurückgestellt. Das hat Auswirkungen auf Produktion, Zulieferung, Handel und Beschäftigung. Das ist aber noch nicht konkret spürbar.

STANDARD: Was heißt das konkret, droht eine Rezession?

Leitl: Das glaube ich nicht, aber eine gewisse Zurückhaltung macht sich breit. Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft: Griechenland, der Euro, der Dollar, die Entwicklung in China - das sind viele Themen, die Besorgnis erregen. Ich sehe aber keine Trendwende. Wenn wir uns anstrengen, können wir nächstes Jahr ein Wachstum von immerhin zwei Prozent erreichen.

STANDARD: Die größte Unsicherheit geht vom kleinen Griechenland aus. Hat die europäische Politik in der Krisenbekämpfung versagt?

Leitl: Es musste jeder Blinde sehen, dass ein reiner Sparkurs nicht zur Gesundung führt, sondern die Probleme verschärft. Ich habe von Anfang an davor gewarnt, dass der Patient während der Operation sterben kann. Man müsste die Schuldentilgung so wie bei einem mit Problemen kämpfenden Betrieb für einige Zeit aussetzen. Gleichzeitig sollten über EU-Kohäsionsfonds regional wichtige Projekte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands forciert werden.

STANDARD: Bei der Regulierung ist einiges passiert, beispielsweise Basel III, Boni-Regeln ...

Leitl: Insgesamt aber zu wenig. Ich kann das Wort Finanztransaktionssteuer schon nicht mehr hören und kann nur sagen: Just do it. Wo ist die österreichische Initiative, die das einfordert? Wenn London dagegen ist, machen wir es halt in der Eurozone. Das hat eine große Signalwirkung, auch für David Cameron und Barack Obama.

STANDARD: Warum bremsen Sie bei der Vermögensbesteuerung?

Leitl: Ich bin für Ehrlichkeit. Erst will man Vermögen ab einer Million besteuern, dann fordert der ÖGB schon eine Grenze von 700.000 Euro. Das zeigt schon, wohin die Reise geht: nach unten. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Mittelstand zur Rasur kommt.

STANDARD: Die Wirtschaft fordert immer, dass die Arbeit entlastet wird. Das könnte doch mit der Umschichtung von Belastungen hin zu Vermögen möglich werden.

Leitl: Wunderbar. Nur der Herr Bundeskanzler, der mit dem Aufkommen erst Lohnnebenkosten senken wollte, will es nun für die Pflege verwenden. Dann soll auf einmal die Universitätsmilliarde aus der Vermögensteuer kommen. Noch bevor ein Fell da ist, wird es schon mehrfach verteilt. Solange dieser Staat nicht fähig und willens ist, die aufgezeigten Potenziale in der Bürokratie, in der Schulverwaltung, bei Frühpensionen und bei den Krankenhäusern auszuschöpfen, solange gibt es von mir null Verständnis, dass den Bürgern in den Sack gegriffen wird. Hätte ein Staat alles ausgeschöpft und bräuchte für die Zukunftssicherung noch zusätzliches Geld, wäre Verständnis da. Schon die beim letzten Sparpaket in Loipersdorf angekündigten Ausgabenkürzungen sind bei weitem nicht erreicht worden. Viel davon war ja wieder Einnahmenbeschaffung.

STANDARD: Bei der Grundsteuer sehen viele unabhängige Experten Handlungsbedarf.

Leitl: Jede Woche wird eine neue Steuerart durchs Dorf getrieben. Die Grundsteuer wird diskutiert, ohne dass die Hauptbetroffenen, die Gemeinden, überhaupt eingebunden sind. Man kann über alles reden, aber das gehört in ein ausgeglichenes Gesamtpaket mit den von mir genannten Reformpunkten. Da muss sich die Regierung schon die Frage gefallen lassen, Meischberger zitierend: "Wo ist die Leistung?"

STANDARD: Die SP scheint in den Umfragen von der Gerechtigkeitsdebatte zu profitieren, die VP nicht.

Leitl: Die drei Parteien liegen alle gleich auf. Die Frage ist, hat die Regierung gearbeitet, hat sie die großen Brocken angefasst. Wenn nicht, wird die Koalition bestraft werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.9.2011)