Dorfrichter Adam (Michael Maertens, Vordergrund) steigt aus dem Dämmer der Ursünde empor. Adlatus Licht (Juergen Maurer) ist auf dem Weg, ihn zu beerben.

Foto: Reinhard Werner/Burgtheater

Wien - Dorfrichter Adam (Michael Maertens) ist unschuldig wie ein Scheeflöckchen. Er liegt zusammengekauert auf der weißen Spielfläche, die Bühnenbildner Stéphane Laimé in eine Kuhle voller Schlamm hineingesetzt hat. Flocken rieseln herab aus dem Schnürboden des Wiener Akademietheaters. Nur sehr allmählich wird man der Tatsache gewahr, dass Adam, der zerschundene Wüstling, eine durchsichtige Unterhose trägt.

Es liegt zunächst der Zauber des Beginnens über Matthias Hartmanns Inszenierung von Kleists Der zerbrochne Krug. Ein etwas unmanierlich wirkender Mittvierziger mit schütterem Haupthaar verscheucht die Schlafgespenster. Er erbricht sich auf das Weiß der Fläche, wischt mit dem Schal nach und wird sogleich vom Schreiber Licht (Juergen Maurer) aus seiner waidwunden Beschaulichkeit herausgerissen.

Die erste Szene einer insgesamt doch arg blassen Unternehmung zeigt etwas Ungereimtes, Wüstes: Der Mensch schlüpft in die Welt hinaus und ist doch bis über Kopf und Knie mit Schuld beladen. Wie Maertens seine Blessuren misst, um doch sogleich seinem intriganten Kanzleiangestellten Rede und Antwort zu stehen, das hätte den Beginn einer unerhörten Begebenheit markieren können: Adams Kampf um das Recht, vor aller Welt wie vor den Bewohnern des Dorfes Huisum schuldig zu sein.

Der tatsächliche Verlauf der von Adam, Licht und Gerichtsrat Walter (Roland Koch) gemeinsam ins Werk gesetzten Überführung eines Krug-Zerstörers rechtfertigt diesen Optimismus nicht. Bretter bahnen dem Revisionisten Walter einen Weg durch den Matsch: Wie ein Storch im Salat meistert der graue Bürokrat den Wechsel hinüber in die Sphäre der Rechtsprechung. Hartmanns komödiantische Zurüstungen lassen überhaupt den Willen erkennen, aus den Beschmutzungsmöglichkeiten einer Morastgrube größtmöglichen Nutzen zu ziehen.

Die Gruppe der Dörfler nämlich ist es gewohnt, durch Schlamm zu waten. Marthe Rulle (Maria Happel), deren kompakte Erscheinung in textile Wühltischerzeugnisse gehüllt ist, führt die Trümmer ihres Krugs im Leopardentäschchen spazieren. In der anderen Hand hält sie die Pumps. Erfahrbar werden soll die Übermacht eines Richters, dessen willkürliche Gewalt auch vor der Dorfschönheit Eve (Yohanna Schwertfeger) keineswegs Halt macht.

Maertens, der sich soeben noch krähstimmig wider seine Verfolger gewandt hatte, versinkt im Halbdämmer der Intrige. Im Hochsessel eines Unparteiischen verfolgt er zusehends abgemattet die Rekonstruktion der Ereignisse: Erstürmung von Eves Kammer, blitzartige Flucht vor Ruprecht, das Davontragen von Klinken-Hieben, das bocksbeinige Davonspringen unter Hinterlassung schwefeliger Dämpfe. Ab und zu bügelt er die Referenten nieder: so Eves Verlobten Ruprecht (Peter Miklusz), den auch die Kopfstücke seines Vaters (Ignaz Kirchner) nicht aus der Verstocktheit eines Wolkenmalers herausreißen.

Komplott der Dörfler

Es sind ein paar beziehungsvolle Seitenblicke, die das Komplott einer rückständigen Bürgergesellschaft gegen ihren Ausbeuter anzeigen: Verabredungen, die in Frau Brigittes (Therese Affolter) zentraler Belastungsrede gipfeln.

Der Kot fliegt in Batzen. Adam säuft sich in der Verhandlungspause einen kolossalen Schwips an. Der eigentliche zynische Dreh erfolgt nach Adams überstürztem Abgang (Maertens joggt merkwürdig vergnügt von dannen): Der aasige Gerichtsrat bittet sich von Eve einen Kuss aus! Was war es gleich, was Hartmann erzählen wollte? Seinem Zerbrochnen Krug fehlt es nicht an schauspielerischer Klasse. Was schmerzlich abgeht, ist eine ästhetische Haltung: der Wille, das Leben eines schuldlos Schuldigen aufs Spiel zu setzen. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 13. September 2011)