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Vizepräsident Cheney wollte einen klaren Schnitt: den Abschuss aller gekaperten Jets.

Foto: Reuters/Kevin Lamarque

DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe 9/11

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Bereits am Abend von 9/11 forderte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einen Krieg gegen den Irak und Saddam Hussein, obwohl dieser mit Al-Kaida nichts zu tun hatte. Weder stammten die Terroristen aus dem Irak, noch wurden sie dort ausgebildet, noch kamen die Mittel für die Finanzierung aus den Kassen Saddams.

Aber in einem vom Terror gelähmten und wegen tausender Toter geschockten Land genügten bloße Behauptungen, um eine Maschinerie in Gang zu setzen, die mit der De-facto-Besetzung Afghanistans begann und mit einem erfolglosen Krieg enden sollte, der die USA allein 13 Milliarden Dollar kostete. Neben der Finanzkrise und den faulen Krediten die Hauptursache für den wirtschaftlichen Niedergang.

Stefan Aust schildert in seinem Film "Die Falle 9/11" (morgen Sonntag in der ARD) eine möglicherweise fatale Fehlkalkulation: Nicht der Terror selbst hat die USA an den Rand des Abgrunds gebracht, sondern der Kampf gegen eine Hydra, die nicht zu fassen, nur zu schwächen ist.

Bernd Greiner, ein renommierter Hamburger Historiker, verweist Spekulationen, wonach die Anschläge von der US-Führung selbst geplant wurden, ins Reich der Fantasie. Allein, so war es nicht - laut Greiners Sichtung neuester Dokumente. Was aber geschah, war die blitzartige Machtübernahme durch den Vizepräsidenten Dick Cheney mitten "im Nebel des Kriegs" .

In seinem eben erschienen Buch "In My Time trieft Cheney" vor historischer Bedeutung. Seine ganze Lebenserfahrung und natürlich seine Zeit als Verteidigungsminister habe sich in diesen Stunden verdichtet und zum schnellen Befehl geführt: "Schießt sie alle ab!" Gemeint waren nicht nur jene Passagiermaschinen, die tatsächlich entführt und zu "fliegenden Waffen" (O-Ton Cheney) geworden waren. In den Köpfen Cheneys und "seiner Militärs" schwirrten Gerüchte und Berichte von weiteren "Terrorbomben" . Also teilte er George W. Bush und Donald Rumsfeld jenseits jeder Verfassungsbestimmung mit: "Ich habe den Befehl gegeben, schießt sie alle ab." Cheney ließ sogar Senatoren gegen deren Willen an "sichere Orte" bringen.

Greiners zentrales Kapitel ist die Verwandlung der USA von einem Rechtsstaat in einen Machtstaat. Er erinnert uns daran, dass die Abschaffung von Bürgerrechten Vorläufer hat - Großbritanniens Suspendierung von Grundrechten wegen des nordirischen Terrors, die spanischen Rechtsbrüche wegen des Baskenterrors oder die deutsche Antiterrorgesetzgebung.

Der alarmierendste Befund aber ist: Die USA sind nicht nur das Land mit einer Mehrheit für die Todesstrafe. Auch die Anwendung der Folter findet klaren Mehrheitszuspruch in der Bevölkerung. Sie wurde jedoch nie vom Kongress via Abstimmung genehmigt. Also autoritär verfügt - wie die Praxis, Bürger ausländischer Herkunft ohne Prozess internieren zu können. Angesichts solcher Entwicklungen wirken Fragen, die in Mathias Bröckers' und Christian C. Walthers Buch 9/11 - Der Einsturz eines Lügengebäudes gestellt werden, fast nebensächlich. Aber sie lassen tief blicken.

Die Autoren attackieren vor allem den Untersuchungsbericht, weil dessen Autoren wichtige Zeugen nicht befragt haben. Vor allem einen nicht: Khalid Scheich Mohamed, den angeblichen Drahtzieher, der in Guantánamo "sitzt", von den Berichtsautoren aber nicht einvernommen werden konnte. Warum?

Ein Zweites: Es gibt viele Indizien, wonach der pakistanische Geheimdienst laufend Geldüberweisungen an die Terroristen veranlasst hat. Warum und wozu?

Ein Drittes: eine Reihe von Unstimmigkeiten bei der Identifizierung der Terroristen, weil sich unter ihnen auch ein von der CIA finanzierter Agent befand. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.9.2011)