Eine solide Ausbildung, nachgefragte Qualifikationen und praktische Erfahrungen sind die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, richtig? Falsch, wenn man auf die Situation von Immigranten in Kanada schaut. Aber der Reihe nach.

Kanada ist traditionell ein Einwanderungsland, das ähnlich wie Neuseeland mithilfe eines relativ intelligenten Systems Personen aktiv ins Land holt, die für nachgefragte Berufe die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Eine Analyse zweier Kolleginnen der York University, Toronto, Jelena Zikic und Julia Richardson, zeichnet allerdings ein ernüchterndes Bild der beruflichen Karrieren von hochqualifizierten Einwanderern etwa im medizinischen Bereich.

Kein adäquater Job

Trotz langer Berufserfahrung, einschlägiger Qualifikation und guter Ausbildung finden viele dieser Personen keinen adäquaten Job. Manche resignieren und nehmen den "Taxler-Ausweg" , d. h. verdienen ihr Brot überqualifiziert in einem anderen Berufsfeld. Andere arbeiten im Spital in artverwandten Berufen wie etwa als Krankenpfleger. Die Hoffnung: hineinrutschen in eine der begehrten ärztlichen Stellen. Beide Optionen hinterlassen, wenig überraschend, tiefe Spuren bei den Betroffenen: "Manchmal bin ich richtig frustriert. Ich will zurück in meine Heimat. Ich möchte hier herüben überhaupt nicht leben, überhaupt nicht ... Ich habe hier gar nichts. In meiner Heimat war ich eine Ärztin."

Unterschiedliche Maßstäbe

Was läuft hier ab? Zum einen gibt es einen strukturellen Konflikt zwischen den Institutionen, die für die Einwanderung zuständig sind, und den Stellen, die dann tatsächlich über die Zulassung zum Beruf entscheiden, in Kanada etwa das Medical Council of Canada. Konkret legen die verschiedenen Institutionen unterschiedliche Maßstäbe an. Damit schicken sie Immigranten oft in kafkaesk anmutende und dem gelernten Österreicher schaurig vertraut anmutende Endlosschleifen nach dem Motto: "Für eine Stelle in Kanada brauchen Sie kanadische Erfahrung - kanadische Erfahrung aber bekommen Sie nur mit einer Stelle in Kanada." Zweitens zeigt sich eine massive Fehlsteuerung bei den Erwartungen. Die aktive Rekrutierung in den Herkunftsländern weckt Erwartungen: Ich bin gefragt, die wollen mich, dort gibt es Jobs. Die harsche Realität nach der Ankunft in Kanada führt zu einer massiven beruflichen Enttäuschung. Das wiederum wirkt sich negativ auf das individuelle Wohlbefinden aus.

Was kann Österreich daraus lernen? Erstens: Die Selbstdefinition als Einwanderungsland - und damit tun wir uns ja schon schwer genug - reicht nicht. Es braucht auch eine gute Koordination zwischen den verschiedenen arbeitsmarktpolitisch relevanten Akteuren. Zweitens: Erwartungssteuerung ist zentral - und die passiert schon lange, bevor jemand zum ersten Mal den Fuß auf österreichischen Boden setzt. Und drittens: Wir haben noch einen langen Weg vor uns. (Wolfgang Mayrhofer, DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.9.2011)