Internetnutzer haben oft 10 oder mehr Tabs gleichzeitig auf. Das kann doch nicht gut gehen.

Die Sprache gibt oft schon genug Anhaltspunkte, wie wir über gewissen Dinge denken. Da spricht man vom Datensumpf, vom Informationsdschungel und über die Datenflut. Sicherlich: In diesem Internet ist eine Menge drin. Aber das Bild, darin unterzugehen oder davon verspeist zu werden schreit nur danach, den Kopf in den Sand zu stecken. Dennoch "stemmen" wir uns gegen Informationen, die tagtäglich auf uns "einströmen". Woher der linguistische Pessimismus? Kann man auf die Datenwelle nicht reiten?

Das Ende von Ausreden

Der amerikanische Psychologe Barry Schwartz vertritt die These, dass es gerade zu viel Auswahl ist, die uns vor dieses und andere Problem stellt. Mit steigender Auswahl an Informationsquellen steigt auch unsere Erwartungshaltung, das perfekte Stück Information finden zu können. Da wir aber vor lauter Auswahl gar nicht mehr wissen, ob wir nicht doch noch viel besser informiert sein könnten, geht die Suche nie zu Ende. Selbst wenn die Wahl an Infoquellen gut war, argumentiert Schwartz, würden wir dennoch an mögliche Alternativen denken und dementsprechend unglücklich zurückbleiben. Das Hamsterrad dreht sich weiter.

Dabei ist es doch genau der Wille, Informationen im Netz möglichst gründlich zu durchforsten, welcher die Qual der Wahl erst hervorbringt. Bekanntlich ist das Lesen und Beantworten von Emails gut für den Ruf, aber die Verpflichtung, etwas zu lesen geht heute auch außerhalb des Posteinganges munter weiter. Das beginnt beim Live-Ticker mit seinen minütlichen Updates zur sicherlich direkt bevorstehenden Gefangennahme Gadaffis und endet beim RSS-Reader mit seinen stetig anwachsenden Zähler an ungelesenen Einträgen. Anhand dieser Tatsachen kann man es niemandem übel nehmen, die Hände empor zu werfen und sich grotesker Metaphern zu bedienen.

Lesen darf nicht zur Arbeit werden

Natürlich muss sich jeder selbst den besten Weg zum Umgang mit den Möglichkeiten und Informationen finden, die das Internet bietet. An erster Stelle muss dabei aber die Bereitschaft stehen, auch auf manches zu verzichten - denn wenn alles zu Lesen schlicht nicht möglich ist, kann anstatt Resignation genauso gut Pragmatismus an den Tag legen - weg von den Aufmerksamkeitsfressern, hin zu vertrauten Quellen. Anstatt jeden Tweet zu lesen, dürfen auch lange Analysen nicht in Vergessenheit geraten, nicht zuletzt trainiert das die Aufmerksamkeit und lässt jene Stimmen im Kopf erstummen, die stets nach dem nächsten Infohappen rufen.

Die logische Konsequenz ist einfach und doch so widerstrebend: In Anbetracht der Infowut muss man lernen, auch einmal los zu lassen. Denn realistisch betrachtet ist die Kapazität der Informationsaufnahme irgendwann erreicht. Also können wir es nur wie Blauwale halten, den Mund öffnen, einen Happen Datenplanktron hineinschwappen lassen und verdauen. Alles andere wäre unübersichtlicher und - wenn man Schwartz glauben schenkt, dann sogar langfristig schädlich. Daher bin ich froh, dass es zwischen all den Begriffen für das Netz auch noch das "Datenmeer" gibt - ein Begriff, der viel treffender ist. Wir mögen es nicht durchschwimmen können, aber immerhin können wir davorstehen und uns daran erfreuen, ohne dass uns der Kopf platzt. (Lars Mensel, derStandard.at, 8.9.2011)