Über eine Fläche von 32.000 Quadratmetern spannt sich ein Schleier aus Glas. Die 39 Stahlträger des Bahnhofs in Lüttich, eines Werkes des spanischen Architekten Calatrava, sind kaum zu sehen und lassen die Kuppel schwebend wirken.

Foto: Christoph Wendt

Anreise mit dem Flugzeug nach Brüssel, von dort Bus oder Bahn nach Lüttich: Bahnreisende müssen in Köln umsteigen; Unterkunft: Hotel Ramada Plaza Liège City Center, in einem ehemaligen Kloster an der Maas, nur wenige Minuten zu Fuß von der Innenstadt entfernt gelegenes Viersternehotel; La Taverne Saint-Paul, Rue Saint-Paul 8, eine der typischsten Lütticher Kneipen, in der viel Prominenz verkehrt, Tel.: 0032/4/ 341 19 29; andere Wunder von Lüttich: Grand Curtius, 2009 ganz neu gestalteter Museumskomplex, eines der architektonisch und didaktisch interessantesten Museen Europas;

Sedes sapientiae: In der Kirche St. Jean befindet sich eine kolorierte, aus Holz geschnitzte Madonna aus dem 12. Jahrhundert; die Kathedrale St. Paul mit Schatzkammer; Zitadelle mit großartigem Ausblick auf Stadt und Strom; Museum des

Wallonischen Lebens; Marktplatz mit Perron; Touristische Informationen: Maison du Tourisme, Place Saint-Lambert, 35, B-4000 Lüttich, Tel.: +32/4/237 92 92

Allgemeine Info: www.liege.be/tourisme

Foto: Tico-Tico/wikipedia.org

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Die berühmten sieben Weltwunder der Antike kennt jeder, zumindest dem Namen nach. Wenn aber einmal die sieben Weltwunder der Neuzeit definiert und zusammengestellt werden sollten, wird eines mit Sicherheit bereits feststehen: TGV-Liège oder EuroLiège, der neue Bahnhof in Lüttich.

Seit März 2009 hat die Hauptstadt der Wallonie nach acht Jahren Bauzeit an der Stelle des bisherigen Hauptbahnhofs Guillemins eine Station, die mit nichts, aber auch gar nichts mehr an die nüchterne Funktion eines Bahnhofes erinnert.

Es ist, als habe der berühmte spanische Architekt Santiago Calatrava, der Schöpfer des Olympischen Komplexes von Athen oder des Bahnhofs am Ground Zero in New York, hier einen zarten Schleier ausgespannt, einen Schleier, der sich allerdings über eine Fläche von 32.000 Quadratmetern spannt und aus Glas und Stahl besteht, die insgesamt 6700 Tonnen wiegen.

Das Raffinierte dabei ist, dass die 39 riesigen Stahlträger unter dem Glas von außen kaum wahrgenommen werden. Calatravas Schleier lässt den ganzen Komplex optisch leicht, fast schwebend wirken.

Dieser Bahnhof der neuen Formen und Dimensionen, den sich die SNCB, die nationale belgische Eisenbahngesellschaft, 300 Millionen Euro hat kosten lassen, hat durchaus Symbolcharakter. Der Zusammenbruch der Montanindustrie und der Kohleförderung, zwei Wirtschaftszweigen, auf denen Lüttichs Kraft und Wohlstand über Jahrhunderte hinweg ruhten, zwingt zum Blick in die Zukunft.

Zukunftsorientiert

Futuristisch, also zukunftsorientiert ist dieser neue Bahnhof für Hochgeschwindigkeitszüge wie die Thalys oder die ICE-Züge. Rund 500 solcher Züge, die Europa täglich zwischen europäischen Metropolen durchrasen, halten hier. Ihre Ziele sind London, Paris und Köln, Frankfurt, Amsterdam und natürlich Brüssel und das Herz der wichtigsten mittel- und westeuropäischen Wirtschaftsregionen.

Als ein anderes Wunder mag der fürstbischöfliche Palast anzusehen sein. Auf ihrer gesamten Länge wird die Place Saint-Lambert, auf der sich einst über dem Grab des heiligen Lambert die erste Bischofskathedrale der Stadt erhob und die in den letzten Jahren grundlegend neu gestaltet wurde, von der gewaltigen Front des Palastes der Fürstbischöfe geprägt.

Wenn Kunsthistoriker, also Wissenschafter, von einem Kunstwerk als Wunder sprechen, muss es schon etwas Außergewöhnliches sein. Das Taufbecken des Renier de Huy in der dem Grand Cur- tius gegenüberliegenden Kirche St. Barthelémy ist so etwas Außergewöhnliches, dass es vor Jahren von einer Expertengruppe von Kunsthistorikern zu den "sieben Wundern Belgiens" gezählt wurde.

Das in einer Seitenkapelle der alten Kirche stehende bronzene Taufbecken, bei dessen Figurenschmuck die Taufe Christi durch Johannes im Mittelpunkt steht, wurde zwischen 1107 und 1118 wahrscheinlich im Auftrag des Bischofs von Lüttich durch den Goldschmied Renier aus der Maasstadt Huy gegossen. Es gilt seit langem als eines der ganz großen Werke der mittelalterlichen Kunst in Europa.

Von Lüttich zu berichten, ohne La Batte zu erwähnen, wäre sträflich. Der große Sonntagsmarkt, La Batte genannt, der sich über Kilometer am linken Maasufer entlangzieht und jeden Sonntag Tausende von Besuchern anlockt, ist mehr als ein weitläufiger Flohmarkt, als der er oft dargestellt wird. Im Gegenteil, La Batte ist der Markt in der Euregio Maas-Rhein schlechthin. Was immer Gärtner, Landwirte, Bäcker oder Metzger und andere Lebensmittelhersteller produzieren oder Händler, zum Teil auch jeden Sonntag aus dem Ausland, sogar aus Italien kommend, anbieten, lässt den Besucher, der sich durch die Menge vorwärtsschiebt, mitunter an das berühmte Schlaraffenland denken.

Nach der Zerstörung

Unter dem Publikum ebenso wie bei den Händlern sind alle Hautfarben Europas, Asiens und Afrikas vertreten. Nirgends sonst in dieser Stadt wird das Vielvölkergemisch des Königreichs so sichtbar wie auf dem Sonntagsmarkt La Batte.

Von allen Wundern, die Lüttich seinen Besuchern bietet, ist eines das größte. Das ist die Tatsache, dass es diese Stadt überhaupt noch gibt. Als die Burgunder 1468 Lüttich so radikal zerstört hatten, dass nur noch die Kirchen und Klöster stehenblieben, und die Besatzer es den Überlebenden erst nach Jahren gestatteten, mit dem Wiederaufbau zu beginnen, hat wahrscheinlich niemand erwartet, dass die Maasmetropole Jahrhunderte später strahlende Haupt- und Residenzstadt eines der wichtigsten Reichsfürstentümer des Deutschen Reiches sein würde. Vielleicht hat sich hier der leidenschaftliche Charakter der Lütticher darin geäußert, dass sie mit verbissenem Eifer ihre Stadt wiedererstehen ließen. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/03.09.2011)