Marco Antonio Reyes Loredo, Gastgeber der "Konspirativen Küchenkonzerte", unter dem Schwarm der Fliegen

Foto: ZDFKultur / Claudia Höhne

Wer in Marco Antonio Reyes Loredos Küche eingeladen ist, darf sich das Abendessen selbst bestellen. Der Gastgeber kocht auf, ein junger Künstler sorgt für die entsprechende Inszenierung, die Gäste bedanken sich mit ein paar Songs: eine komplette Sache, die seit Ende August immer freitags am Digitalsender ZDFKultur um 22 Uhr abläuft und derzeit die zweifellos lebendigste Talkshow im deutschsprachigen Raum ist. Heute, Freitag, kommen der Performer Armin Chodzinski und die deutsche Rockband Superpunk.

Schauplatz des fröhlichen Treibens ist Reyes Loredos Privatwohnung in Hamburg-Wilhelmsburg. Die Konspirativen Küchenkonzerte sind Kochshow, Musikmagazin und aktionistische Plattform in einem. "Das Fernsehen hat keine Idee, wie man Kunst anwendbar macht. Sie werden gar nicht gesucht, weil der Mut fehlt", erklärt Reyes Loredo das Konzept. In den Küchenkonzerten sollen bildende Kunst und Livemusik miteinander ins Gespräch gebracht werden: "Am besten nicht nebeneinander, sondern miteinander verbunden. Diesem Ideal eilen wir jeden Abend aufs Neue hinterher."

Zuletzt waren die Wutbürgerrocker Kreisky da. Als Künstlergast war Christoph Faulhaber geladen, und diesmal übernahm er das Essen. Faulhaber servierte Flüssiges, nach ihm benannte "Protostyle"-Drinks, eine Kombination aus Nahrungsergänzungspräparaten und Cocktails: "Gleichzeitig betrunken werden und den Körper bilden: Damit hat er den Begriff der bildenden Kunst ganz locker neu definiert", schwärmt Reyes Loredo.

Zu sehen bekam das bis vor kurzem lokales Publikum: Der Lokalsender Tide TV hatte die Küchenkonzerte im Programm. In Österreich zeigte sie der Bürgersender Okto. Danach wurden mehrere Sender auf die munteren Kunstperformances aufmerksam, eine Grimme-Preis-Nominierung tat das Übrige, Reyes Loredo durfte aus mehreren Anfragen wählen, schließlich bekam das ZDF den Zuschlag. 13 Sendungen werden vorerst produziert. Inzwischen arbeiten 40 Leute mit.

Dabei war Reyes Loredo anfangs alles andere als begeistert. Der 32-Jährige kochte vier Jahre mit Künstlern im Radio. Er bemerkte, dass die Tätigkeit des Kochens auf die Interviewten eine in jeder Hinsicht befreiende Wirkung hatte: "Für Medienprofis, die nur ihren Pressetext abspulen wollen, ist Kochen eine verstörende Aktivität und bringt sie aus ihrem Trott raus." Ungeübte hingegen würden sich in der Küche plötzlich öffnen und ungehemmt losplappern.

200.000 Fliegen im Loft

Kollegen munterten Reyes Loredo auf, das Ganze im Fernsehen zu probieren. Er lehnte ab: "Das ist nicht mein Medium. Keine Debatte." Erst als er nach Wilhelmsburg in ein Loft übersiedelte, das groß genug fürs Fernsehen war, ließ er sich überreden. Ein Wagnis, denn in der Küche geht es meistens rund. 200.000 Fliegen ließ der Künstler Baldur Burwitz frei: "Die Luft war schwarz", erinnert sich Reyes Loredo. "Das war sein Bild, das er der Musikerin Johanna Zeul entgegensetzen wollte. Sie ist auf der Bühne sehr präsent, und er meinte, da könne er nur abstinken und müsse sich etwas Raumfüllendes einfallen lassen." Danach wurden die Fenster geöffnet und Fliegen abstoßende Duftstoffe versprüht. Fertig.

"Kein einziges Mal" sei bisher etwas zu Bruch gegangen. Musiker wie Künstler und Publikum verhielten sich stets vorbildlich. "Wenn die Kameras ausgeschaltet sind, helfen mir Leute beim Abwaschen, die ich noch nie gesehen habe", wundert sich der Hobbykoch.

Die Wünsche der Gäste sind übrigens bisweilen delikat: "Melancholische Frikadellen mit brauner Fertigsoße" bestellte etwa Liedermacher Gisbert zu Knyphausen. Reyes Loredo fühlte sich in seiner These bestätigt: "Je besser die Musik, umso schlechter das Essen."  (Doris Priesching aus Hamburg/ DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2011)