Brasilia - Die weltweite Konjunkturabkühlung hat Brasilien überraschend zur ersten Zinssenkung seit mehr als zwei Jahren veranlasst. Die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas reduzierte in der Nacht zum Donnerstag das Zinsniveau deutlich um 50 Basispunkte auf nun zwölf Prozent. Damit zählt das Schwellenland weltweit immer noch zu den Regionen mit den höchsten Zinsen und Inflationsraten von mehr als sieben Prozent.

Die Zentralbanker begründeten den Schritt mit der Angst vor einer globalen Rezession angesichts der Schuldenkrisen in den USA und Europa sowie des lahmenden Wirtschaftswachstums der Weltkonjunktur. Damit hat Brasilien deutlich früher als von Experten erwartet die Zinswende eingeleitet. Anleger hoffen, dass sich auch die Zentralbanker der weltgrößten Volkswirtschaft USA zu weiteren geldpolitischen Lockerungen bei ihrem September-Treffen durchringen werden, um die Konjunktur wieder in Fahrt zu bringen und eine weltweite Rezession zu verhindern.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins zwar in diesem Jahr bereits zweimal erhöht. Experten gehen aber nicht davon aus, dass sich der Zinssatz in den kommenden Monaten noch ändert. Mexiko hatte bereits vergangenen Freitag angekündigt, die Zentralbank sei bereit, die Zinsen zu senken, sollte dies wegen der Entwicklung der Weltwirtschaft nötig werden. Zur Begründung für die Zinssenkung teilte die Notenbank mit, der Ausblick für die Weltwirtschaft habe sich deutlich verschlechtert wegen der Schuldenprobleme in den USA und in Europa sowie des nur sehr langsamen Wachstums.

Gewerbe leidet unter hohem Real

Der Abschwung in den Industrienationen könne deutlich länger anhalten als bisher gedacht und über die Handelsbeziehungen auch die brasilianische Wirtschaft erfassen. Auch entwickle sich die heimische Konjunktur bereits schlechter als gedacht. Innerhalb der Zentralbank war die Entscheidung aber offenbar umstritten: Sie fiel mit fünf zu zwei Stimmen aus. Zuvor hatte die Bank die Zinsen fünfmal in Folge erhöht.

Die Erwartungen an die Wirtschaftsentwicklung in Brasilien hatten sich jüngst etwas verschlechtert. Viele Experten senkten ihre Prognosen auf ein Wachstum von drei bis vier Prozent, weil sie fürchten, dass die hoch verschuldeten Brasilianer in Zukunft weniger kaufen werden. Zudem leidet das Verarbeitende Gewerbe unter dem hohen Wert der Landeswährung Real.

Experten waren überrascht über den frühen Ausstieg aus der Phase der geldpolitischen Straffung. "Ich denke, es ist ein großer Fehler. Sie haben dem politischen Druck nachgegeben", sagte Tony Volpon, Lateinamerika-Experte bei Nomura Securities in New York. Viele befürchten, dass sich die Zentralbank von der Politik beeinflussen ließ. Zuletzt hatten mehrere Politiker eine Zinssenkung gefordert. Der im Jänner angetretene Zentralbankpräsident Alexandre Tombini hatte angekündigt, die Geldpolitik enger an mit dem Finanzministerium abstimmen zu wollen. (APA/Reuters)