Ryan Gosling als Pressesekretär eines demokratischen Politikers (George Clooney).

Foto: Sony Pictures/Saeed Adyani

Die 68. Filmfestspiele in Venedig haben vielversprechend begonnen.

***

Die Welt steht auf dem Kopf. Unten am Leinwandrand liegt der Himmel, oben die Autobahn von Schanghai, auf der sich Wagen dicht aneinander drängeln. Auf der anderen Seite der Erdkugel, an einer entlegenen argentinischen Flussbrücke, bricht dagegen nicht einmal bei einem technischen Gebrechen Hektik aus: Dann muss das abgestorbene Auto eben kurz von einem Pick-up angeschoben werden.

Eine schöne, jüngere Tradition des Filmfestivals Venedig ist es, gleich mit zwei Filmen zu eröffnen. Den Glamour und die Stars bringt George Clooneys Politdrama The Ides of March auf den Lido; der Russe Viktor Kossakovsky, einer der genuinsten Dokumentaristen des Weltkinos, trumpft in Vivan las Antipodas! dagegen mit von Natur und Menschenhand geformten Spektakeln unseres Planeten auf. Er hat vier Antipoden-Paare - Orte, die sich auf der Erde genau gegenüberliegen - mit der Kamera aufgesucht und daraus eine überbordende Bildersymphonie montiert.

Der Film bewahrt dabei eine persönliche Perspektive und verliert sich nicht im Duktus von National Geographic-Dokumentationen: Mit einem Matchcut gelangt er von lavaverkrusteten Landschaften in Hawaii auf die Haut eines Elefanten in Afrika, ein gestrandeter Wal in Neuseeland spiegelt sich später in einer Gesteinsformation aus Spanien wider. Kossakovsky sucht spielerische Anschlüsse, er verblüfft mit visuellem Einfallsreichtum, fast wie ein Magier aus der Kino-Frühzeit, der mit technischem Überauge die Welt neu betrachten lernt.

The Ides of March, der offizielle Eröffnungsfilm des Wettbewerbs, hat auch ein filmhistorisches Bezugsfeld: das politische New-Hollywood-Kino eines Alan J. Pakula oder Sidney Lumet. Clooney erzählt in seinem vierten Regiewerk aus dem Backstage-Bereich einer Wahlkampagne, der von ihm verkörperte mögliche demokratische Präsidentschaftskandidat hat eigentlich nur eine Nebenrolle. Zentral sind die Spindoctors und Berater, die nicht mit schönen Worten, sondern mit harter Lobbyarbeit und manchmal unsauberen Mitteln agieren. Ryan Gosling, der sich einmal mehr als charismatischer Jungstar Off-Hollywoods erweist, spielt den idealistischen Pressesekretär des Kandidaten, der seine Lektion lernen muss.

Wie Good Night, and Good Luck ist auch The Ides of March ein Film, dem an formaler Eleganz gelegen ist. Die Kamera ist ständig im Gleiten, Vorder- und Hintergrund kommen dennoch selten zur Deckung - das Repräsentative der Politik ist vom Funktionellen getrennt. Ryan Gosling und Kampagnenboss Philip Seymour Hoffman erscheinen in einer zentralen Szene wie Schattenrisse vor der US-Fahne.

Dramaturgisch erweist sich das Politdrama aber als ein wenig unterkomplex. Die Entwicklung des jungen Helden zum desillusionierten Funktionär, der den Glauben an die hehren Worte seines Arbeitgebers verliert, birgt wenig Überraschungen. Die größte ist der Überdruss des Films: Die Politik ist ein schmutziges Geschäft, ohne Platz für Träumer. Punkt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 1. September 2011)