Die Laufwege (Grün = langsames Laufen bis dunkelrot = Sprinten. Der Pfeil zeigt die Spielrichtung an) von David Alaba beim 5:0 des FC Bayern gegen den HSV in der Allianz Arena. Der ÖFB-Teamspieler wurde allerdings erst in der 66. Minute eingewechselt.

Grafik: Impire AG

Fußball, die schönste Nebensache der Welt? Mitnichten! Längst vergangen sind die Zeiten, in denen ein Trainer seine Elf mit den Worten "Geht's ausse und spüt's eicha Spü" auf das Feld schicken durfte und sich der Fan allein von dem Dargebotenen auf dem Rasen faszinieren ließ.

Im modernen Fußball ebenso wie auf den Fantribünen haben Taktik, System und Analyse längst eine derart bedeutende Rolle eingenommen, dass so manchem Trainer davor graut.
Im Datenzeitalter geht es längst nicht mehr nur um Bauchgefühl und optische Eindrücke allein, mittlerweile wird jeder Schritt, jeder Lauf und jeder Schuss registriert und ausgewertet. Und diese Methode der automatisierten Analyse physischer Leistungswerte nennt sich "Tracking".

4 Millionen Koordinaten

Dabei werden sämtliche Bewegungen der Spieler und des Balles auf dem Spielfeld aufgezeichnet, in Echtzeit analysiert und visualisiert. Zum einen werden die Positionsdaten über die gesamte Spieldauer verfolgt. Zusätzlich werden die Aktionsdaten ermittelt - darunter Pässe, Zweikämpfe, Torschüsse und Tore. Die relevanten Daten werden aus Videoaufnahmen generiert, aus denen ein Computer permanent die Spielerpositionen herausfiltert. Insgesamt werden 35 Mal pro Sekunde die Koordinaten jedes einzelnen Akteurs ermittelt. Bei einer Spielzeit von 90 Minuten ergibt das über 4 Millionen Koordinaten, aus denen die Bewegungsprofile und Sprintanalysen extrahiert werden. Die Vereine erhalten so Rückschlüsse auf Laufbereitschaft und Engagement der Spieler und damit auch Hinweise, wie die Qualität des Trainings verbessert werden kann.

"VIS.TRACK" in Deutschland flächendeckend, in Österreich vereinzelt

Was in Deutschland seit Beginn der Saison 2011/12 in Kooperation mit der Münchner Firma Impire flächendeckend in erster und zweiter Liga angewendet wird, dürfte längerfristig auch vor Österreich nicht Halt machen. "In Österreich setzen wir "VIS.TRACK" aktuell zwar "nur" bei Einzelabrufen durch Red Bull Salzburg ein, hatten es aber auch schon für den LASK genutzt. Vor allem aber wird es von SKY Austria bei einigen Topspielen zur TV-Analyse verwendet", berichtet der geschäftsführende Datenhändler Mario Hanus gegenüber derStandard.at.

Außer den Salzburgern und den Linzern haben aber auch schon andere Vereine aus der Alpenrepublik Interesse am Tracking-System "VIS.TRACK" bekundet, "allerdings kann ich aktuell keine Namen nennen", so Hanus.

Rapid und Ried im "Club-Intranet"

Rapid und SV Ried sind seit dem Frühjahr 2011 Mitglieder im "Club-Intranet" der Münchner Firma. Über dieses Portal lassen sich nur die Leistungsdaten aus dem manuellen Scouting (wie Quote erfolgreicher Pässe, verlorene Bodenzweikämpfe, Anzahl der Ballkontakte, etc.) und nicht die genauen Laufwege und Geschwindigkeiten wie bei "VIS.TRACK" abrufen. Damit können aber auch Teams und Ligen analysiert werden, allerdings nicht so umfassend wie beim Tracking. Optional besteht die Möglichkeit, von der Firma Impire entsprechende Gegneranalysen erstellen zu lassen.

"Standard im Ö-Scouting gleich hoch wie in Deutschland"

Hanus betont, "dass wir im Bereich des manuellen Scoutings in Österreich den gleich hohen Standard an Daten erfassen wie in der Deutschen Bundesliga, was absolut herausragend ist für eine verhältnismäßig kleine Liga wie in Österreich. Die Schweiz verfügt im Vergleich über keinerlei derart detaillierte Daten zu allen Ligaspielen, Mannschaften und Einzelspielern", so Hanus.

Rakete Ivanschitz

Mit Hilfe von "VIS.TRACK" generierter Messwerte konnten zum Beispiel Gerüchte widerlegt werden, wonach ÖFB-Legionär Andreas Ivanschitz nicht zu den agilsten Akteuren zählen würde. Der Burgenländer erreichte am zweiten DFL-Spieltag beim 2:1-Erfolg seiner Mainzer gegen den SC Freiburg eine Maximalgeschwindigkeit und den Mainzer Spitzenwert von beachtlichen 32,36 km/h, womit er seine internationale Konkurrenzfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellte.

Dass eine derartige Sezierung bei oberflächlicher Betrachtung nicht jedem Spieler zum Vorteil gereichen, musste der Kölner Stürmer Lukas Podolski nach der ersten Runde erfahren, als er nach einer Laufleistung von eher bescheidenen 8,9 Kilometern zum lauffaulsten Spieler der Runde gekürt wurde. Solche und ähnliche Rückschlüsse sind jedem Trainer ein Dorn im Auge, weil sie nur einen Teil der Wahrheit ausmachen und die Laufleistung allein bekanntlich nicht über Qualität und Effektivität entscheidet.

Um der allgemeinen Belustigung Einhalt zu gebieten, lassen die Manager der Deutschen Liga aktuell prüfen, ob gewisse Daten künftig vor der Öffentlichkeit geschützt und als Verschlusssache nur den Trainern zur Verfügung gestellt werden können.

Herzog: "Wahnsinn"

Dass der Umfang der Informationen die Gehirnwindungen der Trainer in erheblichem Maß strapaziert, darf bedenkenlos angenommen werden. "Wenn du alle taktischen Feinheiten berücksichtigen willst, dann wird der Fußball für einen Trainer immer schwerer und umfangreicher. Das ist schon Wahnsinn", sagte U21-Teamchef Andreas Herzog in einem Interview mit 90minuten.at und sprach dabei an, dass der moderne Trainer Jongleur eines komplexen Zahlenspiels geworden ist.

Constantini: "Gegner mehr oder weniger analysiert"

Im ÖFB-Team wird, so das offene Geheimnis, mit bescheideneren Mitteln gearbeitet. Früher haben die Teamspieler Mappen mit Spielerprofilen bekommen, heute wird darauf verzichtet, ohne dass die Akteure an Informationsdefiziten zu leiden hätten, wie ÖFB-Teamchef Constantini bei der Kaderbekanntgabe für die Spiele gegen Deutschland und die Türkei zu versichern versuchte. "Wir haben Videoaufnahmen von Defensiv-, Offensivverhalten und den Standard-Situationen. Ich glaube, dass ein jeder Trainer seinen Weg macht." Man kann "sicher sein, dass die Spieler sehr gut über den Gegner informiert sind. Unterlagen haben wir nach wie vor! Herr Ruttensteiner schaut sich die Spiele an. Wir haben alle Spiele, alle Gegner mehr oder weniger analysiert und das wird an die Spieler weitergegeben", so der ÖFB-Taktikfuchs.  (Thomas Hirner, derStandard.at, 30. August 2011)