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90-Jahr-Feier der Partei im Juli vor einem großen Porträt Maos. Ein Brief aus Wien veranlasste ihn 1966 zu einem Wutausbruch.

Foto: Reuters/Johnny Erling

Das Titelblatt der Rotgardisten- Zeitschrift.

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Mit ihren feinen Hemden sind sie keine Vertreter der fortschrittlichen Arbeiterklasse. Brief der Wiener Maxisten an Mao.

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Mao Tse-tung geriet außer sich: Als Gegenmittel müsse "jetzt eine Revolution her. Sonst wird das zu gefährlich. Mit Wien sollten wir anfangen."

Schuld am Wutausbruch des Großen Vorsitzenden war Post aus der österreichischen Hauptstadt, die ihn zu Beginn seiner Kulturrevolution erreichte: Als Absender zeichnete eine Gruppe österreichischer Marxisten-Leninisten (MLÖ). Sie ließ in ihrem Brief kein gutes Haar an Pekings Handelsmission in Wien. "Diese Kritik ist sehr gut geschrieben", lobte Mao in einer internen Weisung das Schreiben. "Alle Auslandsvertretungen müssen sie sich zu Herzen nehmen."

Es war der 9. September 1966, ein Datum, das fortan unter der Formel "Weisung vom 9. 9" für Angst und Schrecken unter Chinas Diplomaten sorgen sollte. Nun sind die Hintergründe aufgedeckt. Österreichs Marxisten-Leninisten, die sich um das von ihrem Obmann Franz Strobl gegründete Kampfblatt Rote Fahne gruppierten, hatten Mao ein Stichwort geliefert, um das von ihm gezündete kulturrevolutionäre Feuer weiter anzufachen.

"Zwei Mercedes-Benz"

Die blauäugigen Salonmarxisten aus der fernen Alpenrepublik erfuhren nie, was ihr vor 45 Jahren abgeschickter Brief alles anrichtete. Am 30. August 1966 denunzierten sie die volksrepublikanische Handelsmission - eine Botschaft gab es erst ab 1971 - in Wien. Die Große Proletarische Kulturrevolution in Peking habe sie begeistert, schrieben sie. Um so erschreckender sei, wie bourgeois verkommen sich Maos Vertreter in Wien aufführten.

"So wie die sich kleiden, ist es unmöglich, sie von den taiwanesischen Kettenhunden Tschiang Kai-sheks zu unterscheiden. Mit ihren feinen Hemden aus weißer Seide und teuren Anzügen sind sie keine Vertreter der fortschrittlichen Arbeiterklasse. Sie besitzen nicht nur einen, sondern, sogar zwei Mercedes-Benz. (Das Symbol für kapitalistische Ausbeuter, Anm.) (...) Mit Getuschel und Spott reagieren schon die Wiener (...) Wir fordern in allem Respekt dringlichst dieses bourgeoise Verhalten den Zuständigen zu melden und Maßnahmen zu treffen, es zu beenden."

Teuerste Delikatessen

Der Brief aus Österreich traf, wie DER STANDARD herausfand, zeitgleich mit einem am 29. August 1966 aus Tansania abgeschickten Schreiben im Pekinger Außenministerium ein. Ein dortiger Mao-Sympathisant attackierte auch den Luxus in Chinas Botschaft in Tansania. In deren Fuhrpark stünden deutsche Autos. Der Botschafter fahre einen US-Lincoln, von dem es nur zwei Wagen in ganz Ostafrika gebe. Bei Empfängen tische er teuerste Delikatessen, Whiskey, Cognac und Importbier auf. Dem Schreiben lagen Fotos der Botschaftergattin bei, auf denen sie Schmuck und ein traditionelles Qipao-Kleid trägt.

"Zuerst machten wir darüber Witze", schreibt der frühere Mitarbeiter im Außenministerium Cheng Yuanxing in seinen Erinnerungen. Einer ihrer Leiter ulkte: "Sollen unsere Botschafter in Strohsandalen ihre Beglaubigungsschreiben übergeben?"

Zum Lachen war ihnen bald nicht mehr zumute. Minister Chen Yi ließ beide Schreiben an Mao am 9. September weiterleiten. Der kommentierte den Wiener Schmäh noch am Abend und verlangte, allen Auslandsvertretungen einzuheizen und mit Wien anzufangen.

Am 10. September war Krisensitzung im Außenministerium. Tags darauf gingen Telegramme an Chinas Diplomaten in alle Welt: "Zerstört das Alte. Baut Neues auf." Sie sollten sich revolutionär umkrempeln von ihrer Protokollarbeit bis zum Privatleben.

Rückkehrprogramm

Als Erster schwappte die sich nun auch nach außen richtende Kulturrevolution auf Österreichs Hauptstadt über. Der Wiener Handelsdelegierte und sein Vertreter übten Selbstkritik und gelobten Besserung: Sie würden ihre Mercedes nicht mehr nutzen - und mit der Bahn nur noch zweite Klasse fahren. Sie halbierten ihren Tagesspesensatz von 20 Schilling auf zehn Schilling. Zum kommenden Empfang für Chinas Nationaltag am 1. Oktober würden sie selber kochen.

"Das war der Anfang", schreibt Ma Jisen, die damals für das chinesische Außenministerium arbeitete, in einem in Hongkong veröffentlichten Buch. Ein Drittel aller Auslandsmitarbeiter kehrten nach Hause zurück und schlossen sich bekämpfenden Fraktionen im Chaos der Kulturrevolution an. Viele standen am Pranger brutaler Kritik, deren Opfer später auch Außenminister Chen Yi wurde.

Peking strich die Gelder für die Botschaften. Auch die Diplomaten bekamen neben Inlandsgehältern nur noch einheitliche Auslandszulagen von monatlich 40 Yuan. Ihre Auslandsvertretungen wurden mit Mao-Bildern und Parolen geschmückt. Kunsthandwerk, Porzellane und Antiquitäten wurden zerstört oder abgehängt.

Österreichs MLÖ-Kommunisten drangen mit ihrem Brief so rasch zu Mao vor, weil sie in Peking schon bekannt waren. Die "Antirevisionisten" unter Altgenossen Franz Strobl (Jahrgang 1924) waren eine der ersten Sektierergrüppchen in Europa, die China im ideologischen Schisma mit der Sowjetunion unterstützten. Zum Dank durften sie China besuchen und trafen nach einstigem Bekunden von Strobl sogar den Großen Vorsitzenden Mao.

Die Peking-Rundschau druckte Artikel der Roten Fahne nach und gratulierte, als Strobl am 12. Februar 1967 die Splitterpartei MLPÖ (Marxistisch-Leninistische Partei Österreichs) begründete.

Ein halbes Jahr nach dem Brief der Österreicher dämmte Mao auf Zuraten seines Premier Zhou Enlai im Februar 1967 die Auswüchse der wildgewordenen Aktion wieder ein. Chinas Botschaften müssten arbeitsfähig bleiben und dürften keine Rebellenfraktionen bilden. Die Folgen seiner "Weisung vom 9. 9." hingen äußerlich noch nach. Chinas Diplomaten liefen, so erinnert sich der Mitarbeiter des Außenministeriums, Li Jiazhong, in Sun-Yatsen-Anzügen (die berühmte Mao-Jacke) herum. Die Frauen trugen Hosen oder Röcke. Es dauerte 20 Jahre, bis das Qipao-Kleid wieder rehabilitiert wurde. (Johnny Erling, DER STANDARD Printausgabe, 30. August 2011)