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Foto: Michael Eisenriegler

Altai ist eine Stadt inmitten der gleichnamigen Gebirgskette, allerdings deutlich weniger eindrucksvoll. Wir checken im üblichen trostlosen, postsowjetischen Hotel ein, finden eine noch offene Imbissbude, die uns erstaunlich schmackhaftes Huhn serviert und verbringen den Rest des Abends in der lokalen Karaoke-Bar, in der betrunkene Jungmongolen versuchen, ihre Mädchen mit schmachtenden Liebesliedern zu beeindrucken. Ein ebenso betrunkener Mongol Rally-Kollege erzählt uns von der Fahrt im 12-Tonnen-Feuerwehrzug. Der Abend endet mit dem anscheinend üblichen, rituellen Polizeieinsatz zur Durchsetzung der Sperrstunde. Die, die noch gehen können, tun das freiwillig, die anderen werden mit Hilfe ihrer Freunde und der Polizei an die frische Luft getragen.

Übernachtung unter freiem Himmel

Routenbesprechung am frühen Morgen: Die 200 Kilometer zur nächsten Stadt sind uns deutlich zu wenig, die 600 Kilometer zur übernächsten Stadt etwas zu viel für einen Tag. Wir beschließen, einfach bis zum Einbruch der Dunkelheit zu fahren und dann zu sehen, wo wir bleiben.

Am Anfang der Etappe steht, wie oft bei Stadtausfahrten, ein kurzes Stück mautpflichtiger Asphaltstraße, das nach wenigen Kilometern in den ortsüblichen Mix aus schlechten und furchtbaren Feldwegen übergeht, die die Engländer so treffend als "dirt tracks" bezeichnen. Am Nachmittag tut sich eine riesige flache Hochebene vor uns auf, die so groß ist, dass selbst die hohen Berge des Altai nur noch manchmal und schemenhaft am Horizont sichtbar sind. Es ist, wie wenn man über das offene Meer gleitet. Es gibt kaum Vegetation, keine Felsen, keine Orientierungspunkte und die einzige Spur ist von so guter Qualität, dass wir darauf fast mit Vollgas fahren können. Nach ein paar Stunden flotter Fahrt durch diese seltsame Landschaft beschließen wir, das nächste Dorf, das wir auf unseren Landkarten finden, anzusteuern und dort zu übernachten. Das Dorf kommt nicht. Wir spulen Kilometer um Kilometer ab, die Landschaft ändert sich nicht, kein Dorf, nicht einmal ein Nomadenzelt ist in Sicht, auch kreuzen keine anderen Autos unseren Weg. Es wird langsam dunkel, wir sind völlig alleine.

Wir stellen das Auto etwas abseits der Piste ab und nützen das restliche Tageslicht, um den Gobi Bären gründlich zu reinigen, denn einige der mitgebrachten Cola-Flaschen haben die Schüttelei anscheinend nicht vertragen. Wir sind froh, nicht unter Agoraphobie zu leiden und gehen trotzdem mit einem mehr als mulmigen Gefühl schlafen. Wir beschließen, mit Sonnenaufgang aufzustehen und stellen den Wecker auf 5 Uhr.

Der Wecker läutet und draußen ist es stockdunkel. Wir dösen eine halbe Stunde weiter. 5.30 Uhr, es ist immer noch finster. Erst um sechs zeigen sich erste helle Streifen am Horizont, das darauf folgende Schauspiel des Sonnenaufgangs über der völlig ebenen Steppe ist überwältigend. Wir sind mehr als dankbar, dass das Auto problemlos anspringt und ziehen weiter durch die Ebene.

Immer dem OLLOO nach ...

Nach ein paar Dutzend weiteren Kilometern in völlig unveränderter Landschaft stoßen wir auf einige andere Mongol Rally-Kollegen und schließlich auf ein kleines Dorf. Eine Horde Kinder begrüßt uns und fordert Geschenke ein. Wir gehorchen, aber das war offensichtlich zu wenig, der große Sack mit mitgebrachten Werbegeschenken wird aus dem Auto gezerrt und eine wilde Schlacht um seinen Inhalt setzt ein. Nachdem sich die Lage beruhigt hat, erklärt uns ein Bub auf der Landkarte, wo wir eigentlich sind. Anscheinend hat OLLOO, unser mongolisches Navigationssystem, uns auf eine 40 Kilometer südlich der Hauptroute verlaufende Nebenspur geschickt, kein Wunder, dass wir das ursprünglich anvisierte Dorf nicht gefunden haben.

Das eigentliche Problem von uns und unseren Kollegen ist aber jetzt ein anderes: Unsere erste Flussdurchquerung steht an. Die Kinder zeigen uns, wo die Furt ist, sie wird inspiziert, durchwatet und für gut befunden, die Teams setzen sich in Bewegung, eines nach dem anderen kommt wieder gut aus dem Wasser.

Langsam wird die Landschaft wieder bergiger und die Wege werden wieder schlechter. Wir folgen OLLOO weiterhin brav, auch als es uns auf eine Spur schickt, die eindeutig von den befahreneren Wegen abzweigt. Nach wenigen Kilometern wissen wir, warum hier niemand fährt: Die Brücke über das ausgetrocknete Bachbett gibt es nicht mehr. Die Böschung zum Bach fällt steil ab, auf der anderen Seite geht es ebenso steil wieder bergauf. Wir finden, das ist eine gute Gelegenheit, den UMINOG mal zeigen zu lassen, was er kann. Im Kriechgang geht es mit der Nase voran hinunter, im Bachbett wird reversiert, wir sind froh, dass der Untergrund kein Treibsand ist, der Aufstieg ist auch kein Problem, der Gobi Bär bewährt sich auch im echten Gelände. Wir fragen uns, was die Jungs mit dem Löschzug hier tun würden und fahren weiter. Die nächste Brücke fehlt ebenfalls, wieder dasselbe Spiel. Die dritte Brücke ist nur halb eingestürzt, wir denken nicht lange nach und fahren drüber, Augen zu und durch.

Beflügelt über steinige Wege

Der Weg wird nicht besser, ganz im Gegenteil: Es folgt ein steiler, steiniger, enger und schräg abfallender Bergpfad auf einen kleinen Gipfel, auf der anderen Seite geht es im selben Stil bergab und wir treffen die eigentliche Hauptroute wieder. Wir haben mit diesem Abstecher zwar zwei Stunden verloren, aber unsere Gesellenprüfung im Gelände immerhin bestanden.

Die eher unspektakuläre Weiterfahrt wird nur von einem Abstecher zu einer Nomadenfamilie unterbrochen, bei der wir hervorragenden Ayrag kaufen, die leicht vergorene säuerliche Stutenmilch, die das Gemüt ebenso beflügelt wie das Gedärm - wenn man zu viel davon erwischt. Wir treffen in Arvaikheer ein, der letzten Provinzstadt vor Ulan Bator. Wir sind unentschlossen, ob wir noch einen Abstecher nach Khujirt machen sollen, einem Badeort mit heißen Quellen etwa 40 Kilometer nördlich, oder ob wir tags darauf gleich auf der Asphaltstraße nach Ulan Bator durchfahren sollen.

Die Bequemlichkeit siegt, nach vier Wochen reicht es uns langsam, wir fahren weiter zum Ziel. Die Asphaltstraße ist größtenteils gut ausgebaut, nur ein paar tiefe Schlaglöcher wurden anscheinend absichtlich alle paar Kilometer eingestreut, damit man nicht vergisst, dass man in der Mongolei ist - und nicht auf deutschen Autobahnen.

200 Kilometer vor Ulan Bator unsere letzte Pause in der Steppe. Wir umrunden routiniert das Ovoo am Rande des Rastplatzes und wundern uns, wie viele Krücken darauf liegen. Der Ort besitzt wohl ganz besondere Heilkräfte, eine andere Erklärung fällt uns nicht ein.

Auf der Stadteinfahrt nach Ulan Bator folgt die letzte Sonderprüfung - wenn es bei der Mongol Rally Sonderprüfungen gäbe. Eine weiträumige Umleitung führt uns über Schlaglochpisten im Abendstau an den beiden stinkenden Heizkraftwerken und an Industrievierteln vorbei, die wir eigentlich nicht so genau kennenlernen wollten. Nach zwei Stunden sind wir endlich im Zentrum und werden am vereinbarten Treffpunkt von unseren Freunden Sergelen, Zoloo und Mogi mit einer Flasche Sekt begrüßt. Die letzten Meter auf dem Weg zur "Finish Line" im Hotel Mandukhai, dem Hauptquartier der Mongol Rally in Ulan Bator, begleitet uns Sergelen und lotst uns durch den täglichen Verkehrsinfarkt. Wir werden mit Applaus am Ziel empfangen. Wir haben es geschafft.

Postskriptum:

Die Finish Line Party fand ein paar Tage nach unserer Ankunft im Brix, dem derzeit angesagtesten Club der Stadt, statt. Wir trafen viele Freunde wieder, die wir entlang des Weges kennengelernt hatten, Geschichten machten die Runde, jeder hat viel erlebt. Alle Motorradfahrer haben es geschafft, was uns sehr erleichterte, auch der dreirädrige Robin Reliant ist - nach vielen technischen Problemen inklusive eines kompletten Bremsversagens während einer Bergabfahrt - schlussendlich gut angekommen. Sogar der amerikanische Schulbus, der schon fast als verschollen galt, war bereits in der Mongolei eingetroffen und am Weg in die Hauptstadt.

Die Party war zunächst eindeutig britisch dominiert und entsprechend ausgelassen. Nach und nach kam auch das übliche mongolische Club-Publikum mit ihren High Heels und coolen Sonnenbrillen dazu und bestaunte das seltsame Treiben zunächst vom Rand der Tanzfläche aus. Schließlich ging der Abend in eine ganz normale Samstagnacht von Ulan Bator über. Die Mongol Rally ist hier eine Episode und beinahe schon wieder vorbei. Die ausgelassenen Briten ziehen wieder ab, das viele gesammelte Geld, die Autos, Feuerwehren und Krankenwagen bleiben hier, und das Leben geht weiter...