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Schielen, bis die Gegner um Gnade jaulen: Maori-Kämpfer in vollem Ornat.

Foto: REUTERS/Bogdan Cristel

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Böse schauen auf virtuose Art.

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Anreise: Rotorua liegt auf der Nordinsel Neuseelands, in der Region Bay of Plenty. Am besten man reist mit Campervan. Zum Beispiel mit Wilderness Motorhomes (www.wilderness.co.nz). Nach Neuseeland fliegt Air New Zealand täglich von London via Los Angeles. Flüge ab ca. 1400 Euro (Economy) pro Person. In der Economy-Klasse bietet Air NZ neuerdings für Paare eine Sky-Couch an, die sich zu einem Bett umfunktionieren lässt.

Unterkunft: Die Koura-Lodge liegt direkt am See Rotorua. Die Zimmer sind mit Maori-Kunst und -Design eingerichtet. Die Zimmer gibt es ab ca. 170 Euro pro Nacht (inkl. reichhaltigem Frühstück).

Grafik: DER STANDARD

Ich bin ein Krieger, groß und stark. Meine Frau, meine Kinder, mein Stamm stehen hinter mir. Die Geschichte meines Stammes zieht an meinem inneren Auge wie in einem epischen Kinofilm vorüber, vergangene Schlachten, vergangene Kriege. Der Geist meiner Ahnen strömt durch mich hindurch. Meine Sehnen sind angespannt, meine Muskeln straff (zumindest gefällt mir dieser Gedanke). Ich schlage mit den Handflächen auf meine schmerzenden Oberschenkel, dann auf meine Brust, im Rhythmus der Melodie, im Rhythmus der Worte. Ich aber spüre keine Schmerzen mehr. Denn ich bin ein Krieger, groß und stark. Ich habe keine Angst, ich spüre den Rausch des Adrenalins, den Rausch des Blutes. "Ka mate, ka mate! Ka ora, ka ora!", Das ist der Tod, das ist der Tod! Ich aber werde leben, ich aber werde leben! Ich bin bereit, meinem Gegner im Kampf gegenüber zu treten. "Stopp, Stopp", ruft Tiki plötzlich. "Okay, Bruder. Das ist schon ganz gut. Aber du wirkst eher wie ein nasses Handtuch. So hat kein Gegner Angst vor dir. Du musst wütender und wilder sein. Du willst deine Familie und deine Ahnen doch nicht enttäuschen, oder?" Das will ich nicht. "Gut. Ahnen können nämlich sehr ungemütlich werden. Okay. Ich zeige dir das mal." Tiki stampft mit seinen schweren, muskulösen Beinen auf den Boden, der leicht erzittert. Er schwingt seine kräftigen Arme, stößt sie wie Waffen in die schwüle Luft. Seine massige Brust bebt, Sehnen und Muskeln zeichnen eine eindrucksvolle Landschaft unter seiner glänzenden braunen Haut. Seine Augen treten aus den Höhlen heraus. Seine Stimme grollt durch das niedrige Zimmer. Dann streckt er seine Zunge heraus und ich zucke zusammen. "Siehst du, so geht das." "Kia korero e katoa o te tinana", sagt er auf Maori. "Der ganze Körper soll sprechen." "Ihr Deutschen wart doch auch mal wilde Krieger. Wecke den Krieger in dir." "Ja, das ist aber schon sehr, sehr lange her", gebe ich Tiki zu bedenken.

Ich bemerke, dass mein Körpergefühl ziemlich verkümmert ist. Meine Leidenschaft für Krieg und Kampf ist ebenfalls recht beschränkt. Urwüchsige Gefühle wie Wut und Zorn sind tief in meinem zivilisationsdressierten Inneren verschüttet. Dass ich ein traditionelles Röckchen aus Flachs trage, und ein Moko, eine aufgemalte Gesichtstätowierung, hilft auch nicht, um den Krieger an die Oberfläche zu zerren. Tiki Edwards (der behauptet, dass er von einem Sohn Goethes abstammt, der nach Neuseeland auswanderte) gibt sich dennoch wirklich große Mühe, einen echten, furchterregenden Krieger aus mir zu machen - in diesem etwas muffig riechenden Zimmer, das sich in einem Hostel in dem neuseeländischen Städtchen Rotorua befindet. Tiki ist Haka-Lehrer. Der Haka ist ein traditioneller Tanz der Maori, die Neuseeland seit dem 13. Jahrhundert besiedeln. Tiki, der auch der Maori-Rugby-Nationalmannschaft in kulturellen und rituellen Fragen als Berater zur Seite steht, bringt Touristen den Kriegstanz bei und führt sie in die spirituelle Maori-Welt ein. Bekannt geworden ist der Haka vor allem durch die All Blacks, die ihn vor jedem Rugby-Spiel aufführen, um ihren Gegnern vor dem Anstoß Respekt einzuflößen. Die All Blacks sind die neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft. Neben Schafen und Kiwis sind sie das wohl bekannteste Aushängeschild des südpazifischen Inselstaates.

Wer schon einmal gesehen hat, mit welcher Gewalt, mit was für einer Kraft die All Backs den Haka vor einem Spiel gegen Australien oder England tanzen, der bekommt eine Ahnung davon, wie die Maori-Kultur mit dem angelsächsischen Spiel in Neuseeland eine äußerst fruchtbare Verbindung geschaffen hat. "Wir Maori lieben den Kampf und das Raufen", sagt Tiki. "Das liegt uns einfach im Blut. Rugby ist eine Art Kriegsersatz für uns." Aber der Haka ist mehr als nur ein Kriegstanz. "Er ist eine spirituelle Einschwörung auf den Kampf", sagt Tiki. "Du rufst die Stimmen und Geister der Ahnen herbei, damit ihre Energie dir im Kampf beisteht. Wenn die All Blacks ihn tanzen, rufen sie all die Spieler herbei, die jemals im schwarzen Trikot für die Nationalmannschaft gespielt haben."

Die All Blacks, in der viele Spieler Maori sind oder andere polynesische Wurzeln haben, sind aufgrund ihres schnellen, physischen Spiels in aller Welt gefürchtet. Der Haka wurde zum integralen Bestandteil des neuseeländischen Rugbyspiels, als eine Maori-Mannschaft 1888 erstmals nach England reiste und dort die Clubs in über 100 Spielen das Fürchten lehrte. Diese Mannschaft führte den Haka vor jedem Spiel auf. Der Ka Mate-Haka, den die All Blacks aufführen, wurde von Te Rauparaha, einem Maori-Häuptling, komponiert, als er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei einem Überfall Unterschlupf im Lager eines anderen Stammes fand. Er versteckte sich in einem Erdloch, in dem normalerweise Süßkartoffeln gelagert werden, beschützt von einer Frau, die sich über das Loch stellte. "Im Angesicht des Todes entdeckte er so also die Chance auf ein neues Leben", erklärt Tiki. "Und so musst du den Haka verstehen als Herausforderung für dein Leben."

Mittlerweile sind meine Oberschenkel tiefrot. Ich schwitze. Meine schwachen Muskeln zittern vor Anstrengung. Meine Stimmbänder sind rau wie Schmirgelpapier von all der gepressten Wut, die ich meinem imaginären Feind zuschreie. "Deine Bewegungen müssen noch viel kraftvoller und überzeugender werden", moniert Tiki. "Aber du machst das schon ganz gut. Ich sehe schon den Krieger in dir." Ich aber weiß, dass Neuseeländer im Allgemeinen sehr höfliche Menschen sind, die ihr Gegenüber niemals durch eine verbale Ungehobeltheit verletzen würden. (Ingo Petz/DER STANDARD/Rondo/26.08.2011)