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Image: Aaron Seigo, a Creative Commons Attribution (2.0) image from 8038433@N06's photostream

Nach Jahren der Konzentration auf KDE4 steht das freie Desktop-Projekt vor dem nächsten großen Umbruch - und auch wieder nicht. Mit der Ankündigung von KDE Frameworks 5.0 hat man zwar die Reise Richtung einer neuen Generation des Plasma Desktops und der zugehörigen Anwendungen begonnen, will die "Brüche" aber möglichst gering halten, wie Aaron Seigo im Interview mit dem WebStandard versichert. Das im Rahmen des Desktop Summits Mitte August geführte Gespräch mit dem langjährigen KDE-Entwickler und Leiter des Plasma-Teams dreht sich zudem um Plasma Active, also die Bemühungen andere Gerätetypen wie Tablets, Smartphones und Set-Top-Boxen zu erobern, sowie um die Kooperation mit GNOME.

Das Interview wurde auf englisch geführt und bei der Übersetzung leicht gekürzt. Das vollständige englischsprachige Original steht aber ebenfalls zur Verfügung.

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derStandard.at: Sie haben auf dem Desktop Summit den Beginn der Entwicklung der KDE Frameworks 5.0 verkündet. Können Sie kurz umreißen, was die zentralen Überlegungen dahinter sind?

Aaron Seigo: Bei den KDE Frameworks 5 geht es nicht so sehr um neue Funktionalität, sondern um die Modularisierung des Bestehenden. In Zukunft heißt es nicht mehr "du nimmst alles oder nichts" [wie bei der KDE4 Plattform, Anm.], sondern es gibt ein Angebot an Frameworks, bei denen man sich gemäß der eigenen Bedürfnisse bedienen kann. Um das zu ermöglichen, modularisieren wir die Bibliotheken und sorgen dafür, dass die Abhängigkeiten wirklich gut definiert sind. In der Vergangenheit haben wir darauf keinen sonderlichen Wert gelegt, da ohnehin alles in einer großen gemeinsamen Codebasis war.

Zudem wollen wir uns stärker auf den Bereich Qualität konzentrieren, für Änderungen an den Kern-Bibliotheken verlangen wir nun eigene Modultests ["Unit Testing", Anm.]

derStandard.at: In der Ankündigung sprechen Sie ausschließlich von den Frameworks. Wird sich daraus in Folge auch so etwas wie eine KDE Software Compilation (SC) 5 ergeben?

Aaron Seigo: Absolut. Das ist einfach der erste Schritt für unsere 5.0-Releases - und damit auch auch für die (KDE/Plasma) Workspaces und Anwendungen. Wir wollen diese Änderungen aber möglichst unproblematisch für unsere Partner und User vornehmen. Anstatt dass wir alles auf einmal machen, nehmen wir uns also zuerst mal die Basis vor. Und wenn wir dann die Arbeiten an den Frameworks abgeschlossen haben, werden wir damit beginnen unsere Anwendungen und die Workspaces zu portieren. Wir versuchen dabei, die inkompatiblen Änderungen minimal zu halten, damit die Anwendungsentwickler möglichst wenig Aufwand haben. Als Qt4 herauskam, hat das unsere Ressourcen massiv in Anspruch genommen. Entsprechend haben weder Qt [das C++-Framework auf dem KDE basiert, Anm.] noch KDE das Bedürfnis das zu wiederholen [lacht]. Wir sind ja auch an sich sehr glücklich mit dem aktuellen Zustand unserer Bibliotheken.

derStandard.at: Sie befürchten also nicht, dass ein neuer Bruch EntwicklerInnen vertreiben könnte?

Aaron Seigo: Wir versuchen alles, um das zu verhindern.

derStandard.at: Wird die KDE SC 5.0 dann allein von den Änderungen bei den Frameworks getragen sein, oder nutzen Sie diese Chance gleich, um die User Experience neu zu hinterfragen, wie es ja GNOME bei der Version 3.0 gemacht hat?

Aaron Seigo: Das sind Sachen, die wir nicht all zu sehr ineinander verflechten wollen, unser Fokus ist derzeit ganz auf den Frameworks. Aber es wird ganz sicher KDE Workspaces 5 geben, es wird sicher 5.x-Versionen unserer Anwendungen geben. Und wir hinterfragen ja derzeit bereits die User Experience mit Plasma Active und haben auch mit der Entwicklung von libplasma2 begonnen [libplasma ist die Basis für die Plasma Workspaces, Anm.]. Die libplasma2 bringt eine Reihe von signifikanten Änderungen, die vor allem darauf abzielen, QML [die "Qt Modeling Language", Anm.] als das primäre und - in der Zukunft hoffentlich - einzige UI-System für die Workspaces, den Plasma Desktop zu etablieren. Wir sind davon überzeugt, dass uns QML dabei hilft anspruchsvollere und besser aussehende Ergebnisse schneller zu erreichen. Das Design [von Plasma, Anm.] ist jetzt schon auf eine klare Trennung zwischen den Daten und der grafischen Umsetzung ausgerichtet, insofern ist es für uns sehr einfach hier umzusteigen. Außerdem wollen wir künftig für Qt eine OpenGL-beschleunigte Darstellung nutzen.

derStandard.at: Die langfristige Vision für die KDE Software Compilation ist also alles auf QML, Javascript und OpenGL umzustellen?

Aaron Seigo: Langfristig - ja. Aber wir haben natürlich jede Menge Bestandscode, insofern wird das wohl nicht von heute auf morgen passieren. Weltweit reden wir hier von vielen Millionen Zeilen Code, bei KDE alleine sind es zwischen 5 und 6 Millionen.

derStandard.at: Für neue Entwicklungen ist der Ratschlag aber bereits: "Nutzt QML"?

Aaron Seigo: Ich würde nicht gleich komplexe Anwendungen wie Krita in QML schreiben. Für einfacher Anwendungen, für den mobilen Bereich und dort, wo wir nicht viel klassisches UI haben, geht das aber schon. Und wir arbeiten natürlich auch darauf hin, dass man Sachen wie Krita künftig ebenfalls in QML schreiben kann.

Alles was wir in den Plasma Workspaces tun, ist bereits auf QML ausgerichtet, auch wenn wir nicht gleich sagen, dass wir alles neu schreiben werden. Das werden wir zwar wohl früher oder später, aber dem natürlichen Lauf der Dinge folgend. Wir haben ja auch keinen Druck, all die QWidget-Funktionen [die bisherige Basis für alle User-Interface-Objekte, Anm.] werden auch in den KDE Frameworks 5.0 enthalten sein.

Für unsere Ziele ist QML einfach ein viel besserer Ansatz. Es ist schneller, und es erlaubt uns die Einbindung des Workflows von Designern - sowohl Interaktions- als auch Grafikdesigner - direkt mit dem des Softwareentwicklers. Dies auf eine Art von der alle profitieren. Das ist in einem klassischen Entwicklungsmodell nur sehr schwer zu erreichen. Mit QML haben wir aber die Tools um sehr schnell vom Konzept zur Umsetzung zu gelangen, dies mit tollen Ergebnissen. Bisher hatte man einen Designer, der einen Entwurf gestaltet und der Entwickler arbeitet dann hart daran das möglichst getreu nachzubauen, was zur Folge hat, dass das Ergebnis nie so gut aussieht wie die Mockups. Mit QML können wir sehr schnell Prototypen erstellen, und der Designer kann dann wählen und sagen "Das ist genau was ich will", und somit gibt es fast eine hundertprozentige Übereinstimmung zwischen Konzept und Umsetzung

derStandard.at: Sie haben Plasma Active erwähnt, können Sie uns kurz erklären, was dessen Zielsetzung ist?

Aaron Seigo: Sicher. Plasma baut auf dem Konzept auf, dass User Interfaces aus vielen kleinen Komponenten bestehen sollten, die man leicht wiederverwenden und in unterschiedlichen Kombinationen arrangieren kann, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Bisher haben wir mit dem Plasma Desktop und Plasma Netbook zwei unterschiedliche User Interfaces für verschiedene Formfaktoren, die praktisch den gesamten Code teilen, sich aber ziemlich anders verhalten.

Plasma Active ist im Grunde das Gleiche aber für den Bereich Unterhaltungselektronik. Zunächst zielen wir einmal auf Tablets ab, insofern ist Touch für uns sehr wichtig. Wir schauen uns aber auch Smartphones an, Set-Top-Boxen sind für kommendes Jahr ebenfalls auf unserem Radar. Plasma Active ist also das Dachprojekt, unter dem wir all die Bausteine zusammenführen. Das ist so ziemlich alles von Betriebssystem-Images, die man herunterladen und ausprobieren kann bis zu Tools zur Entwicklung neuer Komponenten und natürlich eine sehr überzeugende, moderne und flexible User Experience. Zudem wollen wir Anwendungen sammeln, die für die Touch-Nutzung optimiert sind. Wir bieten entsprechend eine volle Office-Suite, einen Web-Browser, Spiele und eine Kartensoftware an. Wenn also ein Hersteller Plasma Active verwenden will, hat er eine breite Palette an Angeboten - und kann sich aussuchen, was er will.

derStandard.at: Mit Plasma Active experimentieren Sie mit neuen Formen der Interaktion, wird das auf Sicht auch auf den klassischen Desktop zurückwirken?

Aaron Seigo: Das tut es bereits. So habe ich auf meinem Laptop ein Programm, das sich "Share-Like-Connect" nennt. Dahinter steht im Grunde das selbe Konzept wie bei den Facebook Likes oder dem Google +1-Knopf, nur eben als grundlegendes Element im User Interface. Wenn man sich also etwas ansieht, liest oder anhört, kann man einfach "Share" drücken, aussuchen wo das hin soll - Twitter, identi.ca, Facebook - eine optionale Nachricht anfügen - fertig. Genau so einfach ist das mit "Like", man kann bewerten, Bookmarks erstellen. Und "Connect" ermöglicht Dinge wie eine Route vom Hotel zum Desktop-Summit heraussuchen und das mit einer einzelnen Aktivität zu verbinden. All das wurde ursprünglich für Plasma Active und Contour entwickelt, das Ziel ist aber Share-Like-Connect auch am Desktop zu nutzen.

Von all den Entwicklung rund um Nepomuk und den sozialen, semantischen Desktop, die bei Contour vorgenommen werden, profitiert der klassische Desktop natürlich ebenfalls. Während wir uns also auf neue Bereiche konzentrieren, verbessern wir beinahe schon "zufällig" das, was wir schon haben. Und das ist natürlich wichtig, da uns keine unbegrenzten Ressourcen zur Verfügung stehen.

derStandard.at: Mit Plasma Active zielen Sie auf einen sich schnell verändernden Markt ab. Hat man gegen Android und iOS überhaupt eine Chance?

Aaron Seigo: Gibt es einen Bedarf nach etwas anderem als iOS? Absolut! Solange man nicht Apple ist, hat man ja keine Wahl. Die wahre Frage ist also: Gibt es noch Appetit für etwas anderes in einem Markt mit Android? Und wenn man sich dann umschaut, was wirklich entwickelt wird - ja, es gibt viele Android-Geräte, aber: Es gibt auch viele Nicht-Android-Geräte, etwa mit MeeGo, das auf einer steigenden Anzahl von Geräten genutzt wird, etwa dem WeTab in Deutschland. Firmen schauen sich aktiv nach Möglichkeiten um, sich von den anderen zu unterscheiden.

Wir haben ein offenes Entwicklungmodell, man kann selbst Änderungen vornehmen, wie man will. Und wir wollen das gesamte Gerätespektrum abdecken. Wir sehen das alles nicht so klar zwischen Tablet, Smartphone und Set-Top-Boxen getrennt, das ist alles ein Kontinuum. Sonst betrachtet das im Markt niemand so. Zudem ist das ein flatterhafter Markt, das ist nicht so wie beim Desktop oder Server, wo ein gewisser Hersteller den Markt so dominieren kann, dass es für andere schwierig wird, hineinzukommen. iOS hat RIM [den Blackberry-Hersteller, Anm.] in wenigen Jahren von dessen Smartphone-Dominanz verdrängt. Und dann taucht Android auf und ist keine drei Jahren nach der Verfügbarkeit des ersten Geräts die Nummer 1.

Dabei hilft, dass es in diesem Bereich nur wenige Möglichkeiten für einen "Lock-In" gibt. So sind die Hersteller frei zu wählen, was sie gerade brauchen. Solange die User Twitter nutzen, ihre Bilder betrachten, PDFs oder E-Books lesen können, ist ihnen egal, welches Betriebssystem sie nutzen. Die Zeiten in denen das Betriebssystem selbst als "Lock-In" funktionierte, sind so gut wie zu Ende.

derStandard.at: Heißt das aber nicht auch, dass der klassische Desktop an Bedeutung verliert?

Aaron Seigo: Es verliert im gleichen Sinne an Bedeutung, wie dies Zeitungen getan haben. Technologien werden nicht einfach ersetzt, sie bekommen einen neuen Platz, das wissen wir aus der Geschichte. Früher hatten die Zeitungen einmal die Angst, vom Radio umgebracht zu werden, dann kam das Fernsehen, und alle befürchteten, dass es sowohl Radio als auch Zeitungen ersetzt. Und jetzt haben wir natürlich das Internet, dass sie früher oder später alle umbringen wird [lacht]. Aber das wird nicht passieren.

Die Zahlen unterstützen diese "Der mobile Markt wird den Desktop umbringen"-Geschichte einfach nicht. Die Anzahl von verkauften Laptops und Desktop-Rechnern wächst weiterhin, wie die aktuellsten Studien von IDC zeigen. Und dort geht man auch von einem anhaltenden Wachstum für die kommenden Jahre aus, diese Geräteklassen werden also keineswegs verschwinden. Aber klar: Der Desktop wird in fünf oder zehn Jahren einen anderen Platz im gesamten Gerätespektrum einnehmen, aber das hat durchaus auch Vorteile. Wir sind dann nicht mehr dazu gezwungen, alles an Funktionalität abzudecken. Wir können statt dessen sagen: Für diese Aufgabe solltest du besser ein Tablet oder ein anderes Gerät mit Fingersteuerung benutzen.

Meiner Meinung nach sieht der langfristige Trend so aus: Mehrere Geräte und Formfaktoren, die alle nahtlos miteinander zusammenarbeiten. Der User wird sich nicht länger Gedanken darüber machen, wo ein Programm läuft oder wo die Daten gespeichert sind, weil die Daten überall verfügbar sein werden. Wir machen das ja jetzt schon mit Plasma, wo man Medien auf dem Desktop wiedergeben und die Steuerung buchstäblich auf das N900 übertragen und mitnehmen kann. Mit Plasma Active wollen wir das noch weiter ausbauen. Wenn wir dann nebeneinander auf der Couch sitzen und ich lese etwas Interessantes, kann ich das einfach mit einem Knopfdruck auf Ihr Gerät weiterreichen.

Wo werden die Daten abgespeichert? Einiges in der Ferne, einiges lokal, vieles davon an beiden Orten. Anwendungen werden einige am Server laufen, viele lokal. Manche werden in HTML - oder was auch immer künftig sich daraus entwickelt - geschrieben sein, viele aber auch nicht. Den Usern wird das aber egal sein, weil sie den Unterschied nicht mehr bemerken werden.

derStandard.at: Angesichts dessen, dass das hier eine Desktop-übergreifende Konferenz ist, kann KDE etwas von GNOME3 lernen?

Aaron Seigo: Man inspiriert sich natürlich gegenseitig. So sind ja auch alle großen Fortschritte passiert. Nicht durch eine Person, die in einem abgedunkelten Raum sitzt, sondern durch viele, die mit- oder gegeneinander arbeiten. Was GNOME betrifft: Ja, es gibt Konkurrenz, aber diese ist freundlich genug, um zusammenkommen und teilen zu wollen.

Ein Beispiel: In der GNOME Shell wird ein Kalender samt den kommenden Terminen eingeblendet, wenn man auf die Uhr klickt. Und als ich eine frühe Version der GNOME Shell ausprobiert habe, habe ich mir gedacht: Das ist eine coole Idee. Also haben wir das mit dem Plasma Desktop 4.7 hinzugefügt. Und das ist das Schöne, wir können alle von einander lernen.

Gleichzeitig gibt es Features in Windows 7, die ich sehe und denke "Ernsthaft? Das haben wir seit Jahren". Übrigens wird KDE sogar in einem Microsoft-Patent als "Prior Art" angeführt. Sie schauen sich also an was wir tun, und wir natürlich auch, was sie tun. Es gibt Dinge im Plasma Desktop, die von Ideen aus proprietären Betriebssystemen entlehnt sind, aber natürlich versuchen wir nicht einfach zu kopieren. Es ist wie bei Musik: Als Gitarrist hört man ein interessantes Muster und nutzt das als Inspiration.

derStandard.at: Gibt es noch Bereiche, wo man die Zusammenarbeit mit GNOME verstärken könnte?

Aaron Seigo: Mit den Frameworks 5.0 werden wir das "Secret Service"-API verwenden, wodurch beide großen freien Desktop-Welten - GTK+/GNOME und Qt/KDE - künftig die gleiche Referenzimplementation für Schlüsselringe nutzen. Man kann also endlich Kontact und Firefox, Gwibber und Kopete einsetzen und alle geheimen Informationen werden in einem gemeinsamen Schlüsselring gespeichert. Darüber hinaus gibt es noch einige andere Technologien, wo wir uns gerade anschauen, wie wir diese abgleichen können.

(, derStandard.at, 25.08.11)