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"Die Universität ist ein andere Welt. Es wird eine andere Sprache gesprochen und es herrschen andere Spielregeln."

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Katja Urbatsch, selbst Arbeiterkind: "Arbeiterkinder stehen unter einem großen Erfolgsdruck und wenn einmal etwas nicht klappt, löst das eine Krise aus."

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An Österreichischen Unis sind sie Mangelware: Die Arbeiterkinder. Die Wahrscheinlichkeit ein Studium an einer Uni aufzunehmen ist für Maturanten aus der bildungsnahen "Schicht" dreimal höher als für jene aus der bildungsfernen "Schicht". Katja Urbatsch, Doktorandin und selbst ein Arbeiterkind, ist 2008 in Deutschland angetreten um Nicht-Akademikerkinder zu einem Studium zu motivieren. Nun wird sie auch in Österreich aktiv.

derStandard.at: Sie bringen das Mentoringprogramm von Arbeiterkind.de nun auch nach Österreich. Was werden Sie anbieten?

Urbatsch: Wir haben bereits erste Informationsveranstaltungen an österreichischen Schulen durchgeführt. Wir ermutigen Nicht-Akademikerkinder zum Studium und informieren sie über Studien- und Finanzierungsmöglichkeiten. In Wien gibt es außerdem einen Stammtisch. Man kann die Gruppe aber auch per Email kontaktieren und sich beraten lassen.

derStandard.at: Bieten die Mentoren auch während des Studiums Unterstützung?

Urbatsch: Ja, wir möchten einerseits Schüler zum Studium motivieren und bieten dann während des Studiums Unterstützung an. Die Unterstützung reicht vom Einstieg bis zum Abschluss.

derStandard.at: In welchen Angelegenheiten wird Ihre Unterstützung gebraucht?

Urbatsch: Viele haben Probleme mit ihrer Familie. Weil sie nicht vermitteln können, was sie im Studium eigentlich machen. Viele wollen sich einfach über ihre Situation austauschen. Aber wir helfen auch in konkreten Fällen. Zum Beispiel wenn es darum geht, ein Referat zu halten oder wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen. Viele brauchen auch Beratung was Finanzierungsfragen betrifft.

derStandard.at: Die Chance, dass man in Österreich ein Studium aufnimmt ist dreimal so hoch, wenn man aus einer Akademikerfamilie kommt statt aus einer Arbeiterfamilie. Müsste in der Schule nicht schon darauf hingearbeitet werden, dass mehr Arbeiterkinder an die Unis kommen?

Urbatsch: Die Lehrer laden uns in die Schulen ein und sind sehr begeistert von unserem Engagement. Aber sie selbst können nicht alles leisten. Lehrer haben einen großen Anspruch zu erfüllen, sie müssen für die optimale Bildung sorgen und sollen auch noch Studienberatung leisten und motivieren. Ich denke, es ist Unterstützung von außen notwendig. Aber das Österreichische Wissenschaftsministerium und die Hochschülerschaft betreiben große Anstrengungen in dieser Sache.

derStandard.at: Tatsächlich verzeichnen wir in den letzten zehn Jahren einen Rückgang von Studierenden aus der sogenannten "niedrigen Schicht" an unseren Unis. Wie erklären Sie das?

Urbatsch: Vor drei Jahren, als wir mit Arbeiterkind.de begonnen haben, gab es noch nicht so große Anstrengungen, mehr Arbeiterkinder auf die Unis zu bekommen. Das hat sich erst in den letzten Jahren so entwickelt. Es wird seine Zeit dauern, bis sich das auch in der Statistik niederschlägt. In den 70er-Jahren gab es eine große Initiative mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Damals dachte man, nun gibt es für alle die gleichen Chancen zu studieren. Man hat das Problem über die Jahre hinweg dann aus den Augen verloren.

derStandard.at: In Österreich wurde ein neuer Hochschulplan vorgestellt. Es gibt die Empfehlung 500 Euro pro Semester an Studiengebühren einzuheben. Schrecken Studiengebühren Arbeiterkinder ab?

Urbatsch: Die Finanzierung ist generell ein großes Problem für Nicht-Akademikerkinder. Die Studiengebühren sind ein weiteres finanzielles Problem, aber das ist nicht die einzige Hürde. Oft scheitert es schon daran, die eigenen Lebenshaltungskosten zu finanzieren.

derStandard.at: Neben den Finanzen leiden Arbeiterkinder auch oft an mangelndem Selbstvertrauen. Sehen Sie das auch so?

Urbatsch: Ja, da weiß ich aus eigener Erfahrung. Die Universität ist ein andere Welt. Es wird eine andere Sprache gesprochen und es herrschen andere Spielregeln. Ich habe mich am Anfang sehr verloren gefühlt. Ich habe versucht zu verstehen, was ich tun muss, damit ich in diesem System erfolgreich sein kann.

derStandard.at: Was sind die Spielregeln um in diesem System erfolgreich zu sein?

Urbatsch: Es geht etwa um die Frage, wie halte ich ein Referat das gut bewertet wird. Wie muss ich mich ausdrücken oder wie mache ich eine Hausarbeit.

derStandard.at: Oft treten Akademikerkinder besser auf und nehmen sich auch in den Lehrveranstaltungen mehr Raum, sind aktiver bei Diskussionen. Wie kann man Arbeiterkindern dieses Selbstbewusstsein geben?

Urbatsch: Das ist ein langer Prozess. Aber was hilft, ist das Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht an ihnen persönlich liegt, sondern dass Akademikerkinder von zu Hause eben ein besseres Rüstzeug für die Uni mitgebekommen. Dass sie eben nicht große Diskussionen am Mittags- oder Abendtisch geführt werden. Es geht darum sich gegenseitig zu helfen und sich dieses Rüstzeug zu erarbeiten.

derStandard.at: Sie haben gesagt, Arbeiterkinder fühlen sich von ihren Familien oft unverstanden. Oder die Familien haben die Angst, dass sich ihre Kinder entfremden, weil sie einen anderen Bildungsweg einschlagen. Kommt das oft vor?

Urbatsch: Das ist ein weit verbreitetes Problem. Man verlässt das Haus und geht in eine andere Welt. Zu Hause versucht man zu vermitteln, was man an der Hochschule eigentlich macht. Das ist sehr schwer, weil es jenseits der Erfahrungen liegt, die die eigenen Eltern gemacht haben. Da kann es schon zu großen Schweigen kommen, weil man das Gefühl hat, man findet keine Gesprächsthemen mehr. Oft haben Eltern Angst, dass die Kindern das abqualifizieren was die Eltern erreicht haben. Oder dass die Kinder gar nicht mehr nach Hause kommen.

derStandard.at: Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?

Urbatsch: Ich habe versucht, meine Eltern ein Stück weit mitzunehmen. Ich habe sie an die Hochschule und in die Mensa eingeladen. Für meine Eltern war das ein riesen Erlebnis. Ich habe versucht in der gewohnten Sprache zu erklären, was ich da mache. Manchmal muss man aber auch akzeptieren, dass die Eltern diese Sache nicht verstehen und sein Ding trotzdem weiter machen.

derStandard.at: Aber viele sind auch stolz auf ihre Kinder.

Urbatsch: Ja, vor allem dann, wenn sie das Studium abgeschlossen haben und einen Job gefunden haben. Zuvor sind die Eltern oft besorgt, ob sie die Kinder finanziell unterstützen können, ob sie das Studium schaffen können und später auch Arbeit finden.

derStandard.at: Die Statistiken zeigen, dass die Abbruchquoten von Arbeiterkindern höher sind. Woran liegt das?

Urbatsch: Da liegt daran, dass sie von zu Hause nicht so eine große Unterstützung haben und sich Arbeiterkinder erst einmal Kompetenzen erarbeiten müssen, die andere schon von ihrem Elternhaus mitbringen. Wenn man einmal eine negative Erfahrung macht, zum Beispiel man fällt durch eine Prüfung oder hat finanzielle Probleme, stellt man schneller das Studium in Frage. Man denkt sich, man hätte doch eine Lehre machen sollen. Bei Akademikerkindern heißt es, ach ja, dann machst du die Prüfung halt noch einmal. Aber diese Selbstverständlichkeit ist bei dieser Klientel oft nicht verhanden. Sie steht unter einem großen Erfolgsdruck und wenn einmal etwas nicht klappt, löst das eine Krise aus. Freunde von mir haben die Abschlussarbeiten noch gemeinsam mit ihren Eltern geschrieben. Aber Arbeiterkinder stehen alleine da.

derStandard.at: Arbeiterkinder entscheiden sich nur halb Mal so oft für ein Doktoratsstudium wie Akademikerkinder. Unter anderem soll das auch daran liegen, weil Professoren eher Akademikerkinder diesbezüglich motivieren. Deckt sich dieses Studienergebnis mit ihren Erfahrungen?

Urbatsch: Ich bin selbst Promovendin. Es kommt ein großer Druck aus seiner eigenen Herkunft heraus, dass man endlich Geld verdienen soll. Eine Doktorarbeit würde das weiter verzögert und sie muss finanziert werden. Drittens hängt es auch mit der Unterstützung der Professoren zusammen. Wenn man als Akademikerkind selbstbewusster auftritt und sich in Seminaren zu Wort meldet, bekommt man eher ein Angebot.

derStandard.at: Bemerken Sie einen Unterschied bei der Studienwahl?

Urbatsch: Arbeiterkinder hinterfragen stärker, ob man mit dem Studium eine Perspektive Geld hat, zu verdienen. Unter Studiengängen wie BWL, Medizin oder Jura können sich auch Nicht-AkademikerInnen etwas vorstellen.

derStandard.at: Werden Sie von einer österreichischen Einrichtung finanziert?

Urbatsch: Wir werden vor Ashoka Österreich ideell unterstützt. Aber wir sind noch auf der Suche nach finanzieller Förderung. (derStandard.at, 29. August 2011)