Im Detail malerisch: Ausschnitt aus "Winter" (2009).

Foto: KHZ/Gertsch

Zürich - Ein Waldstück, ein schmaler Fußweg biegt nach hinten, an Laubbäumen und Sträuchern vorbei. 2008 hat der Schweizer Maler Franz Gertsch diesen Landschaftsausschnitt, dieses unspektakuläre Sujet, das er gewissermaßen gleich hinterm eigenen Haus vorfand, zunächst im Herbst festgehalten. Drei Jahre später hat er den Zyklus der vier Jahreszeiten jetzt fertiggestellt.

Gut fünfzehneinhalb Quadratmeter misst jedes der Bilder, die (nicht nur deswegen) im Atelier entstanden. Im Kunsthaus Zürich gehört ihnen nun vorübergehend jeweils die Stirnseite eines Ausstellungsraumes. Aus der Distanz wirken sie wie Fotografien. Dieser Effekt hat den 1930 geborenen Schweizer Maler einst international bekanntgemacht. In den 1970er-Jahren setzte Gertsch zunächst alltägliche Menschenbilder nach Fotovorlagen auf riesige Leinwände: junge Frauen, die daheim letzte Hand ans schrille Styling legen, langhaarige Männer am Küchentisch und beim nächtlichen Streifzug oder die hagere Gestalt von Patti Smith, die vor Verstärkern kauert - überlebensgroß und hyperrealistisch.

Meterhohes Gras

Man ist zuerst jedes Mal überrumpelt von der bloßen Größe. So geht es einem etwa auch mit den wogenden meterhohen Grashalm-Close-ups in der laufenden Zürcher Ausstellung, wo man anlässlich der Komplettierung des Jahreszeiten-Zyklus insgesamt rund dreißig seit 1983 entstandene Werke versammelt hat. Dabei ist im Spiel mit den Dimensionen schon ein erster Verfremdungseffekt angelegt. In der Nähe entdeckt man dann einen fast impressionistischen Zugang. Die Bilder sind im Detail immer malerisch und materialistisch. Nur auf Distanz erscheinen sie als perfekt geschlossene Fläche, präsentieren scheinbar keine spezifische künstlerische Sicht, sondern die eines Kameraauges.

Das ist bei den Jahreszeitenbildern so, die im Übrigen nicht auf eine vergleichende Studie hinauslaufen - maximal zwei kann man im Kunsthaus nebeneinander in den Blick nehmen, wenn man sich geschickt postiert. Und das wirkt noch stärker bei den akribisch gestochenen, ebenso großformatigen Holzschnitten, die vor vier Jahren auch die Wiener Albertina zeigte: Aus unzähligen Bildpünktchen und Kerben sich formierende Frauenporträts, die Pestwurz oder das Schwarzwasser flankieren nun Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Buchstäblich gegenübergestellt sind diesen außerdem überdimensionale Gemälde von Johanna (1984) beziehungsweise - seit 2000 immer wieder - Sylvia. Und dann taucht im letzten Raum noch Maria (2001) auf: ein Holzschnitt von insgesamt 3,8 mal 5,66 Metern. Ein kleines Steinplateau an einer Waldlichtung, eine nackte Frau döst entspannt auf einem Handtuch. Licht schimmert auf ihrer Haut, die ganze Szenerie ist in ein sanftes, unterschiedlich dichtes Blau getaucht. Eine schöne Symbiose, ein buchstäblicher Akt der Vermittlung zwischen Gertschs bevorzugten Sujets. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 24. 8. 2011)