Wien/Graz/Alpbach  - Österreicher sehen eine starke soziale Ungerechtigkeit in ihrem Land. Wie eine neue Studie des Instituts für Soziologie der Universität Graz zeigt, empfinden 90 Prozent der Befragten die Ungleichheit als zu groß - etwa was die Chancen auf eine gute Bildung, Krankenversorgung und ein angemessenes Einkommen betrifft. Drei von vier Österreichern (76 Prozent) meinen, der Staat müsse etwas tun, um diese Ungleichheit zu reduzieren. Die Wissenschafter haben im Rahmen des weltweit durchgeführten International Social Survey Programme (ISSP) in einer repräsentativen Umfrage 1.007 Österreicher interviewt.

Nach seinen Befunden und im Vergleich mit internationalen Studien seien Österreicher "durch eine sehr kritisch-egalitäre Grundhaltung gekennzeichnet", so der Soziologe Max Haller in seinem Resümee der Studie, die er gemeinsam mit Bernadette Müller durchgeführt hat. Zwei Drittel finden es ungerecht, wenn wohlhabende Eltern ihren Kindern eine bessere Ausbildung zukommen lassen können, 70 Prozent empfinden bessere medizinische Versorgung für Reiche als unfair.

Selbstwahrnehmung: "Leistungsgesellschaft"

Dabei nimmt nach Ansicht des Soziologen die Mehrheit der Befragten Österreich durchaus als "Leistungsgesellschaft" wahr. Als wichtigste Faktoren für das Vorwärtskommen im Leben werden gute Ausbildung, Ehrgeiz und harte Arbeit angesehen. Allerdings glauben 61 Prozent, es sei wichtig, "die richtigen Leute zu kennen", immerhin noch 38 Prozent glauben an politische Beziehungen und 30 Prozent an eine wohlhabende Herkunftsfamilie.

"Zufriedenheit und Unzufriedenheit entsteht aus dem Vergleich mit anderen sozialen Gruppen im eigenen Land und mit anderen Ländern", so Haller. In einer "medial vermittelten Konsum- und Wegwerfgesellschaft jeden Euro dreimal umdrehen zu müssen" könne als ebenso schmerzhaft empfunden werden, wie absolute Armut in einer Gesellschaft, in der sie fast alle betrifft. Nach Berufsgruppen zeigte sich in der Befragung, dass vor allem Landwirte (86 Prozent), aber auch Hilfsarbeiter und Beschäftigte in einfachen Dienstleistungsberufen ihr eigenes Einkommen häufig als ungerecht empfinden.

Die Wahrnehmung von Ungleichheit werde überdies stark von Politik und Öffentlichkeit bestimmt, resümieren die Forscher. "So hat ein Vierteljahrhundert polarisierender, rechtspopulistischer Politik in Kärnten deutliche Spuren hinterlassen": Während in ganz Österreich im Schnitt 32 Prozent einen Konflikt zwischen Arm und Reich, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Arbeitern und Angestellten etc. sehen, seien es in Kärnten knapp 50 Prozent. An zweiter Stelle folgt die Steiermark mit 35 Prozent, am geringsten ist dieser Wert in Salzburg mit 17 Prozent. (APA)